/ Oktober 10, 2014/ Ausstellungstexte, Werkkommentare

 Alfred Flechtheim – Kunsthändler der Avantgarde

15 deutsche Museen präsentieren 2013–2014 ein gemeinsames Web- und Ausstellungsprojekt zum Leben und Schaffen des Kunsthändlers Alfred Flechtheim, einem der bedeutendsten Protagonisten der Kunstszene im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. Es werden Kunstwerke gezeigt, die durch ihre Herkunft in Verbindung mit den Galerien von Alfred Flechtheim stehen. Das Museum der bildenden Künste Leipzig beteiligt sich an dem Projekt mit sechs zwischen 1926 und 1930 von der Galerie Flechtheim erworbenen Werken: Hermann Hallers Tänzerinnen (1913) und Mädchenbüste (Chichio) (1920), Aristide Maillols Mädchen mit Krabbe (um 1926), Edvard Munchs Bildnis des Malers Dornberger (1889), Der Läufer Nurmi (1926) von Renée Sintenis sowie Zwei sitzende Akte (1926) von Giorgio De Chirico, das sich seit 2004 als Dauerleihgabe aus Privatbesitz in Leipzig befindet (zu sehen im Raum 5.11 in der ersten Etage des Museums). Max Beckmanns Stilleben mit Fernrohr (1927), 1932 vom Museum ebenfalls bei Flechtheim erworben, wurde 1937 in der Aktion ‚Entartete Kunst’ aus dem Museum entfernt. Es wird heute dank seines Ankaufs durch das Ehepaar Fohn, die auf diese Weise wichtige Werke vor der Zerstörung durch die Nationalsozialisten retten konnte, in der Pinakothek der Moderne in München ausgestellt.

Alfred Flechtheim

Alfred Flechtheim (1878–1937) gehört zu den wichtigsten Akteuren der europäischen Kunstwelt im frühen 20. Jahrhundert. Sein Einsatz für den rheinischen Expressionismus, die französische Avantgarde und die deutsche Moderne, die Förderung von Künstlerpersönlichkeiten wie Max Beckmann, George Grosz und Paul Klee haben ihn bereits zu Lebzeiten international bekannt gemacht. Doch die Machtergreifung der Nationalsozialisten zu Beginn des Jahres 1933 verändert sein Leben und das seiner Familie dramatisch. Als Kunsthändler jüdischer Herkunft wird er öffentlich diffamiert. Im Oktober 1933 flieht Flechtheim aus Deutschland nach London. Seine Galerien in Düsseldorf und Berlin werden bis 1935 liquidiert oder von früheren Partnern fortgeführt, wobei Flechtheim nur einen Teil seines Kunstbesitzes ins Ausland bringen lassen kann. In London stirbt er 1937 im Alter von nur 59 Jahren an den Folgen eines Unfalls. Seine Ehefrau Betty, die in Berlin verblieben war, nimmt sich 1941 angesichts ihrer bevorstehenden Deportation das Leben. Die in ihrer Wohnung zurückgelassenen Kunstwerke werden beschlagnahmt und gelten heute als verschollen. Viele der Werke aus dem Besitz Flechtheims sind bis heute verloren oder noch nicht identifiziert. Es ist die Verantwortung und Verpflichtung der deutschen Museen, die Herkunft ihrer Werke zu untersuchen und damit zur Aufklärung über den Verbleib seiner Kunstwerke beizutragen.

Edvard Munch (12.12.1863–23.1.1944)
Bildnis des Malers Karl Johannes Andreas Adam Dørnberger, 1889

vor 1930 in der Galerie Flechtheim, Berlin
am 5. Mai 1930 erworben durch das Museum der bildenden Künste Leipzig

Karl Dørnberger hatte wie Munch in den 1880er Jahren in Paris Kunst studiert und sich dann einen Namen als Maler von Schneelandschaften gemacht. Lässige Haltung, eleganter Anzug, Zylinder, Handschuh und Gehstock weisen ihn hier als großstädtischen Dandy aus. Von der Melancholie späterer Bilder Edvard Munchs ist wenig zu erkennen. Allein der leicht zweifelnde Blick verrät seine psychologisierende Sensibilität, während die Erscheinung des Malers Dørnberger insgesamt eher Frische und Lebensfreude ausdrückt. In der Entgegensetzung von offenem, bisweilen durchscheinendem und geschlossenem Farbauftrag bildet das Gemälde ein Scharnier zu Munchs spätimpressionistischen Malstil der 1890er Jahre.

Edvard Munch – und Alfred Flechtheim
Der norwegische Künstler Edvard Munch ist heute bekannt für seine symbolistischen Landschaftsgemälde und seine expressiven Darstellungen von Angst und Melancholie. Nach Anfangsjahren in Kristiania (Oslo) unter dem Eindruck des Naturalismus Christian Kroghs beeinflussten der französische Spätimpressionismus und Symbolismus den Künstler. Aufgrund familiärer Erfahrungen verarbeitete er in seiner Malerei und Grafik immer wieder die Themen Krankheit und Tod. Berühmtheit erlangte Munch durch seine erste Einzelausstellung in Berlin im Jahr 1892, die einen Skandal auslöste und zur Gründung der Berliner Sezession durch Max Liebermann und andere progressive Künstler führte. Große Anerkennung erlebte Munch spätestens seit der Sonderbund-Ausstellung 1912 in Köln, anlässlich derer er als einziger lebender Künstler neben Picasso einen Einzelraum mit 32 Arbeiten und damit seine Kanonisierung als Künstler der Moderne erhielt. Trotz der offiziellen Anerkennung ereilten Munch immer wieder Lebens- und Schaffenskrisen. 1916 zog er sich auf ein Landgut in der Nähe von Kristiania zurück, wo er mit Unterbrechungen bis zu seinem Tod 1944 lebte.
Der Versuch einer Instrumentalisierung als »nordisch-germanischer« Künstler durch Joseph Goebbels schützte Munch nicht davor als »entartet« zu gelten. 1937 wurden 82 Werke Munchs in deutschen Privatsammlungen und Museen konfisziert, allerdings waren auf der Ausstellung Entartete Kunst keine Werke von ihm vertreten.
Zwar verkaufte Munch Werke über Galeristen wie Paul Cassirer, Israel Ber Neumann, Fritz Gurlitt, Hugo Perls und auch Alfred Flechtheim, doch regelmäßige und exklusive Kontakte zu deutschen Kunsthändlern ging er nach 1907 nicht mehr ein. Flechtheim besaß Arbeiten von Munch, hatte aber keinen festen Vertrag mit ihm geschlossen. 1914 stellte er Munch zum ersten Mal zusammen mit Ernst Barlach in seiner Düsseldorfer Galerie aus. Danach war Munch regelmäßig in Gruppenausstellungen bei Flechtheim zu sehen, erhielt aber erst 1931 eine Einzelausstellung.

 

  

Giorgio De Chirico (10.07.1888–20.11.1978)
Zwei sitzende Akte, 1926

vor 1930 in der Galerie Flechtheim, Berlin
vor 1930 erworben von Hermann Lange, Krefeld, seither im Privatbesitz
1994 bis 2004 Dauerleihgabe in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf
seit 2004 Dauerleihgabe im Museum der bildenden Künste Leipzig

Entstanden 1926 in Paris, gehören die Zwei sitzenden Akte zur ‚postmetaphysischen’ Schaffensphase De Chiricos nach dem Ersten Weltkrieg. Dem Klassizismus Pablo Picassos Anfang der 1920er Jahre hier nahestehend, wendet sich De Chirico einer klassischeren Thematik und Darstellungsweise als noch während seiner Phase der pittura metafisica zu. Monumental nehmen sich die beiden Frauendarstellungen aus, fast statuarisch geformt, in Form, Haltung und Textur einer barock anmutenden Spielart antiker Skulpturen gleich. Die Farbgebung ihrer kolossalen Körper changiert zwischen starken Kontrasten in Hellblau und Rotbraun bzw. in Dunkelblau und Ockerorange auf Steingrau. Während der gemalte Hinter- und Untergrund die Szene in ein zeitgenössisches Interieur versetzen, verweist die angeschnittene Säule links auf die Antike und enthebt damit die Darstellung der Gegenwart. Wie so oft bei De Chirico erhalten die Figuren keine individuellen Züge, sondern sind als Verweis auf Archetypen zu verstehen. Körperliche Präsenz und zugleich Erinnerung an Vergangenes, zeitlose Stärke und Weiblichkeit evoziert de Chirico in den Zwei sitzenden Akten. Das Gemälde diente als Titelmotiv des De Chirico-Katalogs für die Ausstellung in der Galerie Flechtheim Berlin 1930.

Giorgio De Chirico – und Alfred Flechtheim
Giorgio De Chirico gilt als der wichtigste Vertreter der pittura metafisica, der Metaphysischen Malerei, einem Vorläufer des Surrealismus. De Chirico war zutiefst beeinflusst von der Kunst Arnold Böcklins und der Idee Friedrich Nietzsches, dass es keine absoluten, sondern nur relative Wahrheiten gebe. Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelte er eine eigene Formensprache, die sich durch ihre Rätselhaftigkeit in der Darstellung auszeichnete. In seinen Bildern begegnet de Chirico der Welt als einem Mysterium, das es zu interpretieren gilt. Gesichtslose Gliederpuppen, rätselhafte Objekte oder Statuenfragmente bevölkern die verlassenen Idealarchitekturen zahlreicher seiner Gemälde. Jene assoziativ gestalteten Kompositionen, die einem klassizistisch geprägten Bildinventar entspringen, wie auch eine große technische Präzision in der Ausführung sind gleichsam kennzeichnend für seinen Malstil. Ende der 1920er Jahre änderte sich der Stil de Chiricos und der Maler wandte sich einer pathetisch-klassizistischen Bildsprache zu. Anfang der 1930er Jahre kehrte der Künstler Frankreich den Rücken und lies sich in Italien nieder, wo er die Kriegsjahre verbrachte. In deutschen Museen wurden seine Werke im Rahmen der Aktion Entartete Kunst beschlagnahmt, darunter neben einem Ölgemälde auch grafische Arbeiten.
In der Geburtstagsausgabe des Querschnitt von 1928 gratulierte de Chirico Alfred Flechtheim mit einer Zeichnung. Zeitgleich zeigte Flechtheim ein Werk des Künstlers in seiner Galerie. Im gleichen und in den zwei darauffolgenden Jahren war er in drei weiteren Gruppenausstellungen bei Flechtheim vertreten. 1930 und 1932 würdigte der Kunsthändler in seinen Galerien in Berlin und Düsseldorf de Chirico in zwei umfassenden Einzelpräsentationen.

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