/ März 15, 2008/ Rezensionen

Im Oktober letzten Jahre518bt8uby-ls eröffnete in der New Yorker Frick Collection eine Ausstellung über den Zeichner, Stecher und Maler Gabriel de Saint-Aubin (1724–1780), die in Zusammenarbeit mit dem Pariser Louvre entstanden ist und dort anschließend bis zum 26. Mai 2008 zu sehen sein wird. Der auf Französisch und Englisch im Buchhandel erhältliche Ausstellungskatalog umfaßt neben den 77 Katalogeinträgen zu den Werken der Ausstellung, vor allem Zeichnungen, fünf Aufsätze, die den Forschungsstand über diesen von der kunsthistorischen Forschung eher nachlässig behandelten Künstler wiedergeben.

Gabriel de Saint-Aubin gehört zu jenen Künstlern, die nie komplett in Vergessenheit gerieten, die aber auch nie ein sehr großes Interesse auf sich zogen. Ohne aus ihm einen großen Meister des 18. Jahrhunderts machen zu wollen, versucht das Kuratoren- und Autorenteam, bestehend aus Colin B. Bailey von der Frick Collection sowie Kim de Beaumont und Suzanne Folds McCullagh auf der amerikanischen und Christophe Léribault und Pierre Rosenberg auf der französischen Seite, die ihm gebührende Aufmerksamkeit zu verschaffen. Der Katalog ist die erste umfassende wissenschaftliche Publikation über sein Schaffen seit über 70 Jahren, die Ausstellung – neben einer kleineren Ausstellung 1975 in Baltimore – seine erste umfassende, internationale Retrospektive.

Es ist den Brüdern Goncourt zu verdanken, daß die Familie Saint-Aubin mit ihren so unterschiedlichen Talenten und Werken in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch ihr Art au XVIIIe siècle (ab 1859) zumindest in Frankreich wieder ins kulturelle Bewußtsein rückte. Weniger literarisch, dafür um so stärker auf systematisierende Wissenschaftlichkeit achtend, brachte der Konservator der Bibliothèque nationale in Paris Emile Dacier zu Beginn des 20. Jahrhunderts das ganze Schaffen Gabriel de Saint-Aubins in verschiedenen Publikationen heraus: ab 1909 die Skizzen in den Verkaufskatalogen der 1750er bis 1770er Jahre, ab 1929 den 2-bändigen Catalogue raisonné mit über 1130 verzeichneten Arbeiten.

Seit den Forschungen Daciers ist es zwar immer wieder zu Einzeluntersuchungen gekommen, vor allem zu Aufsätzen zu seinen Zeichnungen, doch eine grundsätzliche Neubewertung des Werkes und eine historische Kontextualisierung standen (und stehen) bis heute aus. Alle in dem Katalog schreibenden Autoren beziehen sich immer wieder auf Dacier als die weiterhin gültige Referenz. Mit Kim de Beaumont und Suzanne Folds McCullaghs hatte Colin B. Bailey, der die treibende Kraft zu dieser Ausstellung war, zwei Kunsthistorikerinnen gewinnen können, die beide ihre Dissertationen über Gabriel de Saint-Aubin geschrieben hatten und nun eine Essenz ihrer zurückliegenden Forschungen veröffentlichen konnten. Da die beiden Dissertation (von 1998 bzw. 1981) unpubliziert blieben, ist es dem Katalog also zu verdanken, diese Lücke zum Teil geschlossen zu haben.

Nach einem einleitenden Überblicksaufsatz (S. 10–17) von Pierre Rosenberg, der 2002 bereits in der kleinen Monographie Le Livre des Saint-Aubin des Louvre einen knappen Einblick in sein Wissen über die Künstlerfamilie gegeben hatte, zeichnet Kim de Beaumont in ihrem biographischen Aufsatz (S. 18–47) das Leben des Künstlers als Hintergrund seines Schaffens nach. Suzanne Folds McCullaghs widmet sich der künstlerischen Entwicklung Saint-Aubins als Zeichner (S. 48–57). Bevor sich Colin B. Bailey in seinem Aufsatz (S. 70-107) den Zeichnungen Saint-Aubins in den Pariser Verkaufskatalogen, seiner Vernetzung mit den wichtigsten Akteuren des Pariser Kunstmarkts und der Kultur, dem Geschmack und der Bildung des Künstlers anhand seiner Anmerkungen in den Katalogen zuwendet, begleitet Christophe Léribault, Kustos der graphischen Sammlung des Louvre, in seinem Text (S. 58–69) den Leser in das Paris des ausgehenden Ancien Régime. Paris mit seinen Monumente und allgemein mit seiner Kultur war zentraler Gegenstand des Schaffens Saint-Aubins.

Die einzelnen Aufsätze sind gut geschrieben und zumeist klar in ihrer Argumentation. Es zeigt sich hier der positive Einfluß der angelsächsischen Wissenschaftstradition, die häufig einen komplexen Inhalt mit einer ansprechenden sprachlichen Form verbindet. Einige der älteren Beurteilungen Saint-Aubins werden revidiert, wie etwa von Kim de Beaumont die von den Brüdern Goncourt geschaffene Idee von Gabriel de Saint-Aubin als einem Bohémien, der aus seinem akademischen Versagen eine Tugend machte und außerhalb der gesellschaftlichen und künstlerischen Norm seinen heroischen Pfad ging. Sie kann nachweisen, daß Saint-Aubin zwar von der Akademie als Historienmaler abgelehnt wurde, er aber früh bereits als Auftragszeichner mit einem guten Netzwerk, auch dank der eigenen Großfamilie mit guten Verbindungen zum Adel und zum Hof, erfolgreich eine eigenständige Karriere fortsetzte.

Der Leser findet in ihrem Text einen in der Detailfülle überzeugenden, chronologischen Abriß der Werke und Schaffensperioden Saint-Aubins – allein eine stilkritische Untersuchung seiner aus dem Geist der Rocaille entspringenden Kunst vor dem sich wandelnden Geschmack der Zeit sucht er vergebens. Auch ist es wohl dem Format des Ausstellungskatalogs geschuldet, daß leider auf Verweise auf die Verwendung von Archivmaterial, der Königsdisziplin der französischen Kunstgeschichte, in den Anmerkungen fast vollständig verzichtet wurde. Die in allen Texten des Katalogs bisweilen wiederkehrenden Zitate aus den selben Quellen sowie die ständigen Verweise auf Emile Dacier, die noch als Verbeugung vor dessen Arbeit verstanden werden könnten, lassen befürchten, daß entweder keine neuen Archivalien bekannt sind oder daß sie aus Gründen der Rücksicht auf ein größeres Zielpublikum weggelassen wurden.

Die kunsthistorische Analyse des graphischen Werks unternimmt schließlich Suzanne Folds McCullagh, die dieses nicht wie bei Saint-Aubin üblich nach Sujets, sondern in chronologischer Abfolge gedanklich ordnet. Sie zeigt an ausgewählten Beispielen die verschiedenen Stilelemente und Einflüsse auf, von den frühen an Watteau und Boucher inspirierten Zeichnungen der 1750er und 1760er Jahre hin zu den ganz eigenen, ‚atmosphärischen‘ Bildkompositionen der 1770er Jahre, die mit einem freieren Strich einen ganz eigenwilligen und unverwechselbaren, vor dem Hintergrund des aufkommenden goût grec aber auch etwas altmodischen Charakter besitzen.

Die Zeichnungen Saint-Aubins sind keine objektiven Zeitzeugnisse, sondern mit viel Phantasie und Verve überhöhte Augenblicke des Pariser Lebens im ausgehenden Ancien Régime. Zwar entzieht sich Saint-Aubin den kritischen Diskussionen der Aufklärung und verschwindet in seinen Skizzen zumeist im Reich der Allegorie und des Phantastischen – politische oder Sozialstudien sucht man hier meist vergebens, auch Portraits stammen in erster Linie nur aus dem engeren Familienkreis –, doch vermitteln diese sehr stark eine hohe Beobachtungsgabe, eine starke Empfindsamkeit gepaart mit einem leicht ironischen Blick, eine große Begeisterung für seine eigene Stadt, die er nie verlassen hat, für deren Monumente und ihre Bewohner. Er zeichnet Ikonen seiner Zeit und benutzte die Stadt Paris als Projektionsfläche seiner Phantasie.

Zu den bekanntesten Zeichnungen Saint-Aubins gehören seine Ansichten der Salon-Ausstellungen des Louvre von 1765 und 1769. Sie bezeugen Saint-Aubins Passion für die Kunstszene und das kulturelle Leben der Stadt Paris in den 1750er bis 1770er Jahren. Er besuchte die Kunstauktionen – neben den Salonausstellungen eine der wenigen Möglichkeiten zu der Zeit, Kunstwerke zu sehen –, und fertigte von einer Auswahl der zum Verkauf stehenden Werke seine bekannten Skizzen an. Sie sind eine Hommage an die Künste an sich und eventuell, wie Colin B. Bailey in seinem Essay überzeugend argumentiert, auch ein kommerzielles Unternehmen als Auftragsarbeit für Sammler, die sich ein Bild von den verkauften Objekten machen wollten. Nicht nur zeichnete Saint-Aubin sie in Verbeugung vor dem Schaffen anderer Künstler in ihren wesentlichen Umrissen so präzise, daß sie heute noch als unverzichtbare Quellen für die Provenienzgeschichte zu bewerten sind, sondern er hatte sich durch sie in einer Zeit, in der die Lithographie noch nicht erfunden und die Reproduktionsgraphik zu aufwendig war, eine neue Marktlücke im boomenden Kunstmarkt erschlossen.

Der Katalog hat den großen Verdienst, Gabriel de Saint-Aubin durch die Aufsätze, durch die hochqualitative, farbige Wiedergabe einer guten Auswahl seiner Zeichnungen und durch Vergleichsabbildungen wieder ins Gedächtnis eines größeren Publikums zu rufen, ihn neu zu entdecken. Einige ältere Ansichten wurden revidiert, einige neue Ansätze etwa in bezug auf die Zeichnungen in den Katalogen entwickelt, ohne daß man hier jedoch grundsätzliche Neuerungen nach der gründlichen Arbeit Emil Daciers erwarten sollte. Offen bleiben noch viele Fragen, wie zum Beispiel die nach den ästhetischen und geistesgeschichtlichen Traditionen, in die sich Saint-Aubin stellte, oder die nach den visuellen Strategien, die er für sein eigenes visionäres Parisbild benutzte; auch Fragen nach dem sozialen Umfeld seines Schaffens, nach dem Verhältnis von Künstler und Gesellschaft im ausgehenden Ancien Régime, die nur am Rande gestreift werden, und dem größeren künstlerischen Kontext bleiben in weiten Teilen noch offen, doch darf dies von einem Ausstellungskatalog, der einen unbekannteren Künstler wieder in den Vordergrund stellen will, nicht erwartet werden. Dies sind Aufgaben, die sich hoffentlich noch andere Kunsthistoriker stellen werden. Auf dem Weg dahin kann ein Besuch der Ausstellung im Louvre, der in unmittelbarer Nähe zum heute nicht mehr stehenden Wohnhaus des Künstlers liegt, nur sehr empfohlen werden, denn was ist schon eine Reproduktion neben dem Original?

Dr. Frédéric Bußmann
Deutsches Forum für Kunstgeschichte, Paris
<fbussmann@dt-forum.org>

 

Colin B. Bailey und Pierre Rosenberg (Hrsg.), Gabriel de Saint-Aubin, 1724–1780, Ausstellungskatalog New York, The Frick Collection, 30. Oktober 2007–27. Januar 2008, Paris, Musée du Louvre, 21. Februar–26. Mai 2008, Paris, Somogy 2007, ISBN (Louvre): 978-2-35031-138-8, ISBN (Frick Collection): 978-0-912114-37-8, ISBN (Somogy): 978-2-7572-0110-7, veröffentlicht in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 3 [15.03.2008], URL: http://www.sehepunkte.de/2008/03/13990.html

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