Freie Presse: Herr Bußmann, es scheint, als hätten Kunstmuseen vor allem mit großen Gemäldeschauen wie etwa ihrer David‑Schnell‑Ausstellung Erfolg. Was macht denn gerade Gemälde so überaus attraktiv?
Frédéric Bußmann: Ich weiß nicht, ob das so ist. Unsere Bauhaus‑Textil‑Ausstellung läuft zum Beispiel auch sehr gut. Es gibt im Augenblick durchaus auch eine Rückbesinnung auf das Künstlerisch-Handwerkliche. Aber klar, die Malerei gilt nach wie vor als Königsdisziplin der Künste. Vielleicht nicht unbedingt immer zurecht, ein Gemälde ist ja nicht zwangsläufig auch künstlerisch immer das Interessanteste. Andererseits gibt es aber auch viele wirklich sehr gute Malerinnen und Maler. Wir werden im Herbst im Museum Gunzenhauser eine Ausstellung zeigen, 53 Positionen, Künstlerinnen und Künstler zwischen 30 und 40 Jahren jeweils mit zwei, drei Gemälden, die wir zeitgleich mit Bonn und Wiesbaden präsentieren. Das heißt, wenn man alle drei Ausstellungen anschaut, sieht man dieselben Künstlerinnen und Künstler mit immer unterschiedlichen Werken, insgesamt etwa 150 Gemälden. Das ist ein Riesenprojekt, das einen Blick ins Labor der heutigen Malergeneration öffnen wird.
Erleichtert Malerei den Zugang zur Kunstbetrachtung?
Nicht unbedingt, aber als Betrachter sind wir Malerei vielleicht am ehesten gewöhnt. Meiner Meinung nach ist es die Aufgabe eines Museums, auch etwas ungewohntere Künste zu zeigen. Das Gesagte würde ich gern am Beispiel der “M+M”‑Ausstellung in den Kunstsammlungen am Theaterplatz erläutern. Zu sehen ist in der Ausstellung bis zum 22. September 2019 vorrangig Video‑ und Installationskunst. Lässt man sich darauf ein, sind das Kunstformen, die auch sehr zugänglich sein können. Aber für den Rundgang ist Zeit nötig. An Gemälden kann man auch mal mit einem kürzeren Blick vorbeischlendern. Nimmt man sich die Zeit, können zum Beispiel Rauminstallationen eindringlicher sein als Gemälde. In den “Panic‑Room Chemnitz” von M+M kann man sich gut einfühlen. Man kann das aber nicht verallgemeinern, es hängt immer von der Qualität der einzelnen Arbeiten ab.
Sehen Sie in solchen Schauen eine Chance auf junges Publikum?
Das ist der Wunsch, ja. Wir müssen als Museum ein breites Publikum ansprechen. Neue Kunstformen richten sich an Besucher, die man mit Gemälden nicht unbedingt lockt, die eher medienaffin sind und sich in Installationen, Fotografie oder Videokunst wiederfinden.
Sie finden, die Instagram‑Generation hat bereits über ihre modernen Medien einen recht guten Zugang zu Kunst?
Natürlich ist nicht jeder Instagram‑Post schon Kunst. Oft ist das erstmal nur eine visuelle Auseinandersetzung mit der Umwelt. Aber als Beuys gesagt hat, jeder Mensch sei ein Künstler, meinte er ja nicht, dass alles bereits Kunst ist, was Menschen machen. Sondern, dass in jedem Menschen in seinem Sinne kreatives Potenzial steckt. Die meisten Instagram‑Nutzer haben gar nicht den Anspruch, Kunst zu machen. Trotzdem erhöht so ein Medium auf jeden Fall die ästhetische Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt. Jedes Foto erfordert Überlegungen zum Motiv, zur Umsetzung, zur Darstellung, auch zur Rezeption. Das finde ich gut. Abgesehen davon gibt ja auch gar keine klare Definition für Kunst, die Grenzen sind fließend.
Sie sind angetreten mit dem Anspruch, das Museum zu öffnen, neue Formen anzubieten. Wenn man aber eine Tür öffnet, wird sie ja nicht automatisch auch durchschritten. Braucht das Museum Impulse von außen wie etwa den Kosmos Chemnitz?
Der Kosmos Chemnitz hat eine andere Zielsetzung, entspricht aber im Prinzip dem, was wir sowieso machen: den Dialog mit der Stadt zu fördern. Wir gehen mit dem Museum bereits in den Stadtraum rein, mit dem Chemnitz Open Space am Nischel, oder aber mit dem Kunstwochenende zum Thema Wendungen am 28. und 29. September, das wir gemeinsam mit Vereinen und Galerien in Chemnitz organisieren. Aber, ja, es ist gut, wenn noch mehr ins Museum kommen. Da war der “Kosmos” einfach eine tolle Sache, es waren sehr viele sehr junge Menschen bei uns im Haus. Das hat mich gefreut. Ich hoffe, sie haben beim Besuch der Bands, die hier gespielt haben, auch mal nach rechts und links geschaut und gemerkt: Man kann in die Kunstsammlungen reingehen, ohne dass es wehtut. Sehr gefreut habe ich mich auch, dass das Autorengespräch mit Prof. Ziblatt „Wie Demokratien sterben“ bei uns im Haus viele Zuhörer hatte.
Warum sind denn die Schwellen vor einem Kunstmuseum oft immer noch so hoch?
Erst einmal hat so ein Haus ja schon allein als Bau eine gewisse Würde, die durchaus auch einschüchternd wirken kann. Insofern müssen wir schauen, wie wir noch mehr Angebote machen können, die das lindern. Zum anderen muss man aber auch damit leben, dass eben nicht jeder ins Museum gehen will.
Sie haben vor einiger Zeit die Videoinstallation “Again / Noch einmal” des Dresdner Künstlers Mario Pfeifer zur Flüchtlingsthematik, zusammen mit seiner Videoarbeit „Über Angst und Bildung“, gezeigt. Das waren rund zehn Stunden Filmmaterial. Haben heutige Besucher überhaupt so viel Zeit?
Ich weiß nicht, ob die Leute weniger Zeit für Kunst haben. Sie sind durch die konstante Nutzung des Internets stark auf schnell konsumierbare Inhalte fokussiert. Da kostet es durchaus erstmal etwas Anstrengung, Lust und Energie, um umzuschalten und sich auf eine andere, auch langsamere Betrachtungsweise einzulassen. Ein Museumsraum ist da durchaus vergleichbar mit einem Kirchenraum: Man ist mit sich selbst beschäftigt, muss sich einerseits auf eine Sache konzentrieren, kann andererseits aber auch die Gedanken schlendern lassen. So etwas wird durch unseren Alltag nicht gerade gefördert.
Andererseits scheint es da ja großen Bedarf ja zu geben: Gefühlt jeder geht heute zum Yoga …
Deshalb bieten wir tatsächlich auch Yoga im Museum an. Museen sind Orte, die dem Funktionalismus des Alltags entzogen sind. Da kann man eine andere Welt betreten. Ich finde, es ist unsere Aufgabe, das als bereicherndes Angebot im täglichen Leben darzustellen, und nicht als eine Art “Bildungspflicht”.
Ein Effekt, den viele ja aus dem Urlaub gut kennen: Da erfährt man im Museen genau das …
Ja, und das ergibt eine Schere: Die erfolgreichen Museen in den großen Städten wie Berlin, München oder Dresden werden nach wie vor zu einem großen Teil von Touristen besucht. Museum, das scheint bei vielen eben nur im Urlaub interessant zu sein, das passt scheinbar nicht gut in den Alltag. Chemnitz ist aber keine stark touristische Stadt ‑ man muss ausdrücklich wegen einer Ausstellung herkommen wollen. Zugleich nehme ich die Chemnitzerinnen und Chemnitzer als interessiert am Ausstellungsprogramm wahr. Sie, und vor allem auch die Mitglieder der beiden Freundeskreise unserer Museen, kommen regelmäßig in die Ausstellung und zu Veranstaltungen. Mein Bestreben ist es, durch attraktive Programme noch mehr Besucher ans Haus zu binden.
Und dazu braucht man erfahrungsgemäß die so genannten Blockbuster‑Schauen?
Ich halte es für sehr wichtig, Ausstellungen zu machen, die auch großes Interesse generieren. Aber die Besucherzahlen sind nicht das alleinige Kriterium für museale Arbeit. Wir müssen sehen, dass die künstlerische Qualität stimmt, und im Idealfall treffen wir damit auch den Nerv der Besucher. Das hat mit Themensetzungen und Bekanntheit der Persönlichkeiten, aber auch mit Marketing und im Lokalen stark mit Vermittlung zutun: Wie sprechen wir die Leute an? Wie holen wir sie ins Haus? Viele Faktoren haben Einfluss auf den Erfolg. Und man darf natürlich nicht vergessen, dass viele andere Museen wie etwa das Barberini in Potsdam da andere Möglichkeiten haben als wir.
Zum Beispiel?
Mehr Mittel für große Ausstellungen. Ein Problem für alle Museen weltweit, besonders aber für die mittleren bis kleineren, sind die steigenden Kosten für solchen Veranstaltungen. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass sich der Wert von Kunstwerken in den letzten Jahren vervielfacht hat. Das führt unter anderem dazu, dass Transport- und Versicherungskosten sehr gestiegen sind: Bei großen Namen muss man schnell bis zu 200.000 Euro allein für die Versicherung einer Ausstellung bezahlen, etwa für die Teilrekonstruktion der Galerie der Moderne hier in Chemnitz, die wir in der Jubiläumsausstellung der Kunstsammlungen im kommenden Jahr zeigen wollen. Diesen Betrag zahlt man nur, um die Werke überhaupt ins Haus holen zu dürfen. Weitere Kosten entstehen durch Transporte, konservatorische Betreuung, Katalog, Ausstellungsarchitektur und Bewerbung der Präsentation. Für sehr große Ausstellungen ist unsere finanzielle Ausstattung sehr limitiert. Größere Häuser haben dabei natürlich den Vorteil, dass sie selbst im Gegenzug lukrative Werke für Blockbuster‑Ausstellungen verleihen können, ohne dass dies in der Sammlungspräsentation zu großen Lücken führte.
Im nächsten Jahr bestehen die Kunstsammlungen Chemnitz 100 Jahre. Eine Chance für einen großen Aufschlag?
Auf jeden Fall. Wir bereiten eine umfassende Ausstellung und eine große wissenschaftliche Publikation vor, zur Geschichte des Hauses und auch zur kulturellen Wechselwirkung des Museums mit der Stadt, aber auch mit anderen Städten. Dass Chemnitz in den 20er Jahren zu den führenden Museen der Moderne gehört hat, wird ja oft betont, wir wollen diesem spannenden Fakt nun ein Gesicht geben. Wir wollen den ganzen Reichtum der Sammlung präsentieren, die ja die Sammlung der Chemnitzer Bürgerinnen und Bürger ist, sowohl die bekannten Höhepunkt als auch Dinge, die man noch entdecken kann.