/ März 11, 2019/ Aufsätze, Publikationen

Licht wurde in der europäischen Kultur seit jeher religiös und metaphysisch überhöht. Die biblische Schöpfungsgeschichte beginnt sogar damit: mit der Erschaffung des Lichts. Zugleich wurde es stets als Voraussetzung für Erkenntnis verstanden, nicht zuletzt im Zeitalter der Aufklärung, als die zentrale Metapher für geistige Erleuchtung durch die Vernunft. Schon seit dem frühen Mittelalter gelten gestaltete Glasfenster daher als wichtiges Medium für die materielle und künstlerische Umsetzung dieser Auffassungen. In Kathedralen, Kirchen, Synagogen, Moscheen oder anderen sakralen Gebäuden verbindet es architektonische Erfordernisse mit spirituellem Gehalt. Frühe und bekannte Beispiele sind die Pariser Sainte-Chapelle oder die Kathedrale von Chartres, wo bis heute eines der wichtigsten Zentren für Glasmalerei beheimatet ist.

Zur Kontextualisierung der von David Schnell für die Kunstsammlungen Chemnitz entworfenen Glasfenster soll ein kursorischer, keineswegs erschöpfender Überblick zur Glasmalerei in Deutschland und Europa geboten werden. Nach dem Mittelalter und dem Wiederaufleben der Glasmalerei im Zuge historistischer Kunstströmungen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts in Europa, etwa der Neugotik und der Arts-and-Crafts-Bewegung, dann auch des Jugendstil, spielte farbiges Licht durch Glasfenster auch in der Moderne eine bedeutende Rolle. Dabei handelte es sich häufig nicht wie im Mittelalter um Glasmalerei mit bisweilen heilsgeschichtlichem Inhalt,[1] sondern um architektonische Gestaltung in Glas, die bei Sezession und Werkbund ebenso Beachtung fand wie beim Bauhaus. Als gleichsam ikonisches Exempel sei etwa Bruno Tauts Glaspavillon auf der Werkbund-Ausstellung von 1914 in Köln genannt, über dessen Eingang stand: „Das bunte Glas zerstört den Hass.“[2] Im Jahr des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs verband sich mit der farbigen Glasarchitektur der explizite Wunsch nach Frieden und Licht – Glas wurden einmal mehr Träger utopischer Ideen.

Sakrale Glasmalerei im 20. Jahrhundert

Aufgrund der immateriellen Qualitäten ihrer Wirkung, die im Sinne einer reinen Vergeistigung verstanden wurde, bleibt die Glasmalerei im 20. Jahrhundert, insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg,[3] aber auch noch im 21. Jahrhundert vor allem mit dem sakralen Raum verbunden. Immersiv und transzendent, mit einer hohen atmosphärischen Präsenz, zog und zieht sie seit der Moderne bis in die Gegenwart viele bildende Künstlerinnen und Künstler in ihren Bann, deren Schaffen sonst nicht übermäßig auf Arbeiten im sakralen Kontext fokussiert ist. Als zu den bekanntesten Beispielen zählend seien hier die Glasfenster der Chapelle du Rosaire de Vence von Henri Matisse (1949) erwähnt, die jener mit Wandmalereien kombinierte und damit „eine Renaissance der Glasmalerei“ einleitete.[4] Genannt seien hier zugleich die Betonglasfenster von Fernand Léger für die Kirche Sacré-Cœur in Audincourt (um 1950), die Glasfenster Marc Chagalls für verschiedene Synagogen, Kirchen und Kapellen, etwa für die Kathedralen von Metz (1968) und Reims (1974), die Chapelle des Cordeliers in Sarrebourg (1976) oder die Kirche St. Stephan in Mainz (1978–1985).  Als herausragende Beispiele für jüngere, abstrakter gestaltete Glasmalereien gelten Pierre Soulages’ Fenster für die Abteikirche von Conques (1994; Abb. 1,2), Sigmar Polkes Isaak-Fenster für das Zürcher Großmünster (2007–2009), Gerhard Richters Fenster für den Kölner Dom (2007) oder auch jene Imi Knoebels für die Kathedrale von Reims (2014; Abb. 3,4). Vor allem aufgrund der höheren Bekanntheit der nun zumeist vereinzelt auch in Glas arbeitenden Künstler wie Soulages, Polke, Richter oder Knoebel erhielt die Glasmalerei in den letzten Jahren durch ebendiese Künstlerfenster eine erhöhte Aufmerksamkeit und stellte einmal mehr die gemeinhin angenommene Trennung von freier und angewandter Kunst infrage.

Pierre Soulages, Fenster für Sainte-Foy de Conques, 1994                        Pierre Soulages’ Fenster der Abteikirche Sainte-Foy de Conques, die er von 1986 bis 1994 schuf, gelten aufgrund ihrer reduzierten und die Architektur respektierenden Farbigkeit, die zu einer hoch kontemplativen Atmosphäre im Kirchenraum führt, als ein Meilenstein der zeitgenössischen Glasmalerei. Pierre Soulages hatte eine ganz persönliche Beziehung zu der im 19. Jahrhundert wiederaufgebauten Kirche, da er in der Nähe in Rodez geboren und aufgewachsen war und in Conques sein künstlerisches Erweckungserlebnis hatte.[5] Anders als in seinen Werken in Öl auf Leinwand fokussierte Soulages bei seinen Glasmalereien für Conques auf helle, opale alabasterartige Flächen mit horizontalen und geschwungenen Streifen, rhythmisiert durch die Bleiruten und Windeisen. Seit 1986 arbeitete er an den Entwürfen und anschließend mit dem Glasmeister Jean-Dominique Fleury an der Entwicklung des erwünschten Materials, das unregelmäßig, farblos, transluzid, aber nicht transparent sein sollte. Im Ergebnis fügen sich seine 104 minimal gestalteten Fenster ein in die romanische Architektur, halten sich zurück und verhelfen dem diffus von außen hereinscheinenden natürlichen Licht im Kirchenraum zu harmonischer Entfaltung. „Dieses Licht, das man ‚umgewandelt‘ nennen könnte“, so Pierre Soulages 1994, „hat einen emotionalen Wert, eine Innerlichkeit, eine metaphysische Qualität in Übereinstimmung mit der Poesie dieser Architektur und Funktion: Ort der Kontemplation, Ort der Meditation.“[6]

Imi Knoebel, Fenster für die Kathedrale von Reims, 2011/2015              Neben Soulages’ Fenstern für Conques sind auch jene, die Gerhard Richter für Köln geschaffen hat, und die von Imi Knoebel für die Kathedrale von Reims wichtige Referenzen der zeitgenössischen Glasmalerei. Gerhard Richter war etwa zeitgleich zu seinen Fenstern in Köln eingeladen worden, jene der beiden Apsiden seitlich des Hauptschiffs der Kathedrale von Reims zu gestalten, in Nachbarschaft zu den von Marc Chagall entworfenen mit Motiven der Passionsgeschichte. Da der Auftrag zeitlich und inhaltlich zu nah an dem in Köln war, kam er für Richter nicht infrage. Die Kommission in Frankreich wählte daraufhin Imi Knoebel aus, die Fenster zu gestalten. Dass die Entscheidung explizit für einen deutschen Künstler fiel, ist gleichsam relevant und vor dem politisch-historischen Hintergrund zu sehen, dass die Kathedrale von Reims seit dem 4. Jahrhundert die Krönungsstätte der fränkischen und dann französischen Könige war, im Ersten Weltkrieg massiv von deutschen Verbänden beschädigt wurde und in Brand geriet. Dem Auftrag immanent war eine politische Geste der Versöhnung. Imi Knoebels Entwürfe für diese Fenster – die auch in den Kunstsammlungen Chemnitz gezeigt wurden, wo David Schnell sie kennenlernte[7] – sind ebenso abstrakt gehalten wie jene Gerhard Richters für den Kölner Dom. Auch er verneint jede Bedeutung etwa in Form einer Erzählung oder Figuration – bei Richter durch den Gebrauch eines computerbasierten Algorithmus zur Festlegung der Farbfelder noch auf die Spitze getrieben. Grundlage der Knoebel’schen Entwürfe hingegen ist die Serie Messerschnitte / Rot Gelb Blau von 1978/1979, die in ihrer Anmutung an Scherben erinnern. Die Übertragung dieser Collagen in Glasmalerei ist nicht nur in der Verweigerung einer narrativen oder gar heilsgeschichtlichen Botschaft schlüssig, sondern kann zugleich als Verweis auf die vorindustrielle Produktion von Glasfenstern verstanden werden, die aus einzelnen kleineren Teilen, manchmal Scherben, zusammengesetzt wurden. Die einzelnen Formen erinnern an solche Fragmente oder auch Splitter, die als geschwungene Formen in den Primärfarben, verbunden durch strukturierende Bleiruten, die Bildfelder beherrschen und in alle Richtungen dynamisieren.

Über die Form- und Farbgebung bettet Knoebel seine Arbeiten ein in eine lange Tradition der abstrakten Malerei des 20. Jahrhunderts von Kasimir Malewitschs Schwarzem Quadrat über Piet Mondrians neoplastisches Spätwerk bis zum abstrakten Expressionismus. Die in den Fenstern von 2011 verwendeten Farben Rot, Gelb und Blau erinnern zugleich an eine der Inkunabeln der US-amerikanischen Farbfeldmalerei, Barnett Newmans Variationen Who’s Afraid of Red, Yellow and Blue aus den Jahren 1966 bis 1970 – von dem Knoebel sich stets abgrenzte, ohne auf den Bezug ganz zu verzichten.[8] Das Transzendentale dieser Malerei ist Knoebels Fenstern dennoch nicht fremd, unterstützt durch die sakrale Funktion ihres Ortes. Entscheidend ist hierbei, dass Knoebel seine Fenster jeder ikonografischen Bedeutung entzog und damit „Freiheitsbilder“ erschuf,[9] die sich in die Architektur einfügen,[10] zugleich sich selbst in ihrer Bildhaftigkeit behaupten und zum Hinschauen, Wahrnehmen führen. Im Jahr 2015 erweiterte Knoebel seine Arbeit in Reims um weitere drei Fenster für die Jeanne-d’Arc-Kapelle als Schenkung, die eine größere Spannbreite an Farbtönen umfassen als die bereits bestehenden Fenster.[11]

David Schnells Glasmalereien in sakralen Räumen, 2009 bis 2018

Seit dem Fall der Mauer kommt es auch in Sachsen-Anhalt und Sachsen, wo der im Rheinland aufgewachsene David Schnell seit Mitte der 1990er-Jahre lebt, vermehrt zu Aufträgen an zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler zur Gestaltung von Fenstern in sakralen Räumen.[12] Das Wiederaufleben der Glasmalerei vor allem in Sachsen-Anhalt ist maßgeblich auf das Engagement des dortigen Landeskonservators Holger Brülls zurückzuführen: unter anderem gestaltete Max Uhlig Glasfenster für den Dom von Merseburg und für die St.-Johannis-Kirche in Magdeburg; drei Fenster für den Naumburger Dom wurden von Neo Rauch geschaffen (2014). Rauchs Glaswerke mit den narrativen Titeln Abschied – Kleiderspende – Krankenpflege erweisen sich dabei als eine malerische Intervention auf den Spuren der Heiligen Elisabeth, ästhetisch angelehnt an Druckgrafiken auf transluzidem rotem Grund. Neben Rauch haben Günter Grohs und David Schnell neue Fenster für Naumburg gestaltet. Auch eine Vielzahl kleinerer Kirchen und Kapellen wurde in diesem Zusammenhang mit neuen Fenstern ausgestattet, etwa 2013 die Dorfkirche von Gütz durch Markus Lüpertz, der bereits Glasfenster für Nevers, Köln, Koblenz und Lübeck schuf und 2018 für die Marktkirche in Hannover ein Reformationsfenster entworfen hat. Für 2019 ist die Realisierung weiterer Projekte in Sachsen-Anhalt geplant, für die unter anderem Sebastian Muhr (Altjeßnitz) und David Schnell (Priorau) eingeladen wurden.

Friedensfenster, Thomaskirche Leipzig, 2009 bis 2010   Parallel zu den sachsen-anhaltinischen Projekten konnten auch in Leipzig Künstler Konzepte entwerfen und umsetzen, wie Falk Haberkorn, der 2012 für das 22 Meter lange Fenster der neuen Propsteikirche St. Trinitatis eine rein textliche Gestaltung (Am Anfang war das Wort) entwickelte, und wiederum David Schnell, der das Friedensfenster der Thomaskirche realisierte. Die Kirchen entdeckten in Leipzig, wo Schnell an der Hochschule für Grafik und Buchkunst bei Arno Rink studiert hatte, die Glasmalerei wieder, auch um an historische Ereignisse zu erinnern. Zum Gedenken an die Friedliche Revolution von 1989 wurde 2009 ein Wettbewerb ausgelobt, der jedoch nicht von der Nikolaikirche, dem Ausgangspunkt der Ereignisse, sondern vom Kirchenvorstand der Thomaskirche initiiert worden war.[13] Als Bedingungen für die Beiträge war neben dem Bezug zu den Ereignissen des Herbstes 1989 auch eine Orientierung am Motto der Friedensbewegung „Schwerter zu Pflugscharen“ (aus dem Zwölfprophetenbuch des Tanach, Micha 4,3) und an der Bergpredigt des Matthäusevangeliums vorgegeben. Letztere hatte eine wichtige spirituelle Grundlage für die Friedensgebete und den passiven, gewaltlosen und schließlich erfolgreichen Widerstand vieler Demonstranten von 1989 durch das Wort Jesu geliefert.[14]

Obwohl David Schnell bis dahin noch nie in und mit Glas gearbeitet hatte,[15] gewann er den Wettbewerb und wurde eingeladen, seinen Entwurf zusammen mit der Firma Derix Glasstudios in Taunusstein umzusetzen (Kat. ##, Abb. 5). Allein die Platzierung seiner Arbeit oberhalb der Empore in einer Reihe von älteren Fenstern stellte durch die eingeschränkte Sicht eine Herausforderung dar. Hinzu traten die technischen Spezifika des Materials und die inhaltlichen Vorgaben der Ausschreibung. Schnells Vater war Religionslehrer, sodass der Künstler mit religiösen Themen durchaus vertraut ist. Im Vordergrund stand für ihn aber nicht eine – letzten Endes unzeitgemäße – bildliche Übersetzung der erwähnten Bibelstellen als vielmehr das Visualisieren einer heutigen Erinnerung an die Rolle der Kirchen in ihrer Opposition zum einstigen SED-Regime. Zugleich kann Schnells Friedensfenster als zeitgenössischer Kommentar zum gesamten Bildprogramm ebenjener protestantischen Hallenkirche, in der Johann Sebastian Bach als Thomaskantor wirkte, verstanden werden. Ihre Glasfenster auf der Südseite stammen aus dem 19. und 20. Jahrhundert und umfassen Personenfenster zu Ehren Martin Luthers (zusammen mit Kurfürst Friedrich dem Weisen und dem Humanisten Philipp Melanchthon), der Komponisten Johann Sebastian Bach und Felix Mendelssohn Bartholdy, je ein Fenster zu Ehren des schwedischen Königs Gustav Adolf und des deutschen Kaisers Wilhelm I. sowie ein Kriegergedächtnisfenster, das nach dem Ersten Weltkrieg eingesetzt wurde. Letztgenanntes ‚feierte‘ den Heldentod gefallener Soldaten, wie es in dieser Zeit üblich war. Die schwierige Aufgabe bestand also darin, eine aktualisierte Form des Historienbildes in Glas zu erfinden, das kommemorativ, dem Gedenken angemessen, aber nicht plakativ oder narrativ sein sollte. Zugleich sollte es Bezug auf die Architektur nehmen sowie mit der bereits bestehenden Dekoration und den vorhandenen Kunstwerken harmonieren, ohne daneben ‚unterzugehen‘.

David Schnell entwickelte für sein Fenster, das aus Denkmalschutzgründen den äußeren Butzenfenstern innen vorgeblendet ist, einen Entwurf, der nicht von einem Bildgegenstand, sondern von einer formalen Bildfindung ausging: Die Fotos von Demonstranten und hochgehaltenen Transparenten im Hinterkopf rückte für ihn die große Anspannung hinsichtlich der Frage, ob die Staatsmacht mit Gewalt gegen die Protestierenden vorgehen würde, ins Zentrum. Dieser Anspannung versuchte er in der Komposition eine Form zu geben: in der Kombination von ihm in seiner künstlerischen Arbeit bis dahin genutzter Elemente – des tektonischen Bildaufbaus, der starken Betonung von Perspektive, von abstrahierten Landschaften, Bäumen und Brettern. Schnell verschmolz Ruhe und Dynamik; der Eindruck des Schwankens entsteht. Wird alles in sich zusammenbrechen oder stützen sich die einzelnen Elemente gegenseitig? Der Ausgang ist offen, Unsicherheit bestimmt die Lage – symbolisch zu verstehen als Hinweis auf die zugespitzte und im Vorfeld nicht einzuschätzende Gefahrensituation von 1989. Die Fluchtpunkte in Schnells Komposition sind so angelegt, als würden die einzelnen Elemente explosionsartig aus dem Inneren in den Außenraum herausschießen. Die Kenntnis kubistischer Bildauffassungen ist hier erkennbar, die Idee einer dekonstruktivistischen Formfindung wird evoziert. Bei längerer Betrachtung verfestigt sich der Eindruck des Fensters im Hinblick auf den Kerngedanken des Herbsts 1989: raus aus den Innenräumen – hier Kirchen –, rein in die Stadt und auf die Straße, um für Selbstbestimmung und Freiheit einzustehen! Anstelle die Reihe von Personalfenstern fortzusetzen, die den Raum einschließen und die im Kern die Idee von Kirche als Schutzmantel vor dem Außen verstärken, setzte Schnell eine abstrakte Komposition, die Gedanken von Spannung, Aufbruch und Öffnung transportiert, ins Bild. Ein Freiheitsfenster!

In Technik, Form und Farbe bezog sich Schnell ebenfalls auf den spezifischen Kontext der Thomaskirche: Er verwendete für die Konstruktion des Fensters zum einen die traditionelle Bleiverglasung, wie sie schon bei den älteren Fenstern zu finden ist; zum anderen greift die Komposition mit ihren lang gezogenen, nach oben wegkippenden Flächen die schmalen, vertikalen Architekturelemente der spätgotischen Pfeilerkirche auf. Diese wecken formal zugleich Assoziationen an die pazifistische Leitidee von „Schwertern zu Pflugscharen“. Die starke Präsenz von Rosa- und Purpurtönen verweist farblich auf den Rochlitzer Porphyr, der viele historische Bauten in Leipzig, etwa das Alte Rathaus, prägt und auch in der Thomaskirche verbaut wurde. Um sich deutlich von den anderen Fenstern abzusetzen, die mehrheitlich in dunklen Nuancen gehalten sind, nutzte Schnell insgesamt lichte und bunte, zum Teil pastellartige Farben. Er setzte so einen lebendigen und eher freundlichen Gegenakzent zum Gedächtnisbild für die Toten des Ersten Weltkriegs. Utopisches Potenzial und friedlicher Ausgang der Demonstrationen werden so ebenfalls farblich hervorgehoben.

Einen besonders genauen Blick verdient, bei Glasarbeiten generell, die langwierige Umsetzung des Fensters, die das Werk entscheidend mitbestimmt hat. David Schnell stellte bald fest, dass er nicht nur den Entwurf liefern und die Ausführung ausgewiesenen Fachleuten überlassen, sondern selbst in den Entstehungsprozess eingreifen wollte. Dabei löste er sich zunehmend von seinem Ausgangspunkt, um die Besonderheiten der Glasmalerei, des Materials und seiner Veränderung in der Bearbeitung zu berücksichtigen. Er erprobte verschiedene Techniken wie das Ätzen von unterschiedlich farbigen Glasflächen im Überfangglas, die er dann zum Teil wieder übereinanderlegte und so neue Farben entstehen ließ. Er ätzte, kratzte, klebte, entschied über die Verbleiung, malte aber auch mit Schmelzfarbe, deren Wirkung auf der aufgetragenen Farbdicke beruht und erst nach dem Brennen sichtbar wird. Das Friedensfenster geriet zum künstlerischen Experimentierfeld, bei dem David Schnell den vielleicht wichtigsten Akteur der Glasmalerei kennenlernte: das Licht. Denn bei jedem Fenster, das in direktem Kontakt zum natürlichen Außenraum steht, sind die Lichtverhältnisse kontinuierlich in Bewegung und verändern damit ständig die Wirkung des Werkes. Gerade diese nicht kontrollierbaren Zufälle des gestaltenden Lichts reizten David Schnell, da sie seiner künstlerischen Herangehensweise im Spannungsfeld zwischen Ordnung bei gleichzeitigem Stiften von Chaos entsprechen. Im Fall des Friedensfensters von Leipzig wird das veränderliche Licht überdies zur Metapher für die 1989 herrschende latente Dramatik zwischen gewaltlosen Demonstranten und der bedrohlichen Staatsmacht. Der phänomenale Aspekt weist über sich hinaus auf das Unfassbare des Lichts, seine nicht greifbare Transzendenz. Auch wenn er eigenen Aussagen zufolge nichts Übersinnliches oder Mystisches erschaffen wollte, kann sich der Künstler Schnell dieser Faszination nicht entziehen.

Exkurs: Die freie Glasarbeit Musterfeld, 2012   Die Arbeit mit und in Glas kommt in ihrer konstruktiv-schematischen Anlage dem Interesse David Schnells für Druckgrafik entgegen. Selbst die hier angewandten Techniken entsprechen zum Teil denen der Grafik, etwa wenn er durch Ätzungen, deren künstlerische Anwendung er durch die Aquatinta bereits kannte, neue Farbtöne und Flächen entstehen lässt. Infolge der Arbeit am Friedensfenster intensivierte Schnell seine künstlerischen Recherchen im Medium Glas. Für die zweite Ausstellung in seiner Galerie Eigen + Art in Leipzig fertigte er 2012 die freie Glasarbeit Musterfeld an (Kat. ##). Das Experimentieren mit Glas zeigte bereits hier Schnells grundsätzliche Offenheit, auf neue und aufwendige Techniken in einem profanen Umfeld zu setzen. Die hochformatige Glasmalerei ähnelt einem Ausschnitt aus einer Landschaftsdarstellung, dem prägenden Genre des Leipziger Malers. Geometrische vertikale Flächen in Rot-Braun-Abstufungen bestimmen den Vordergrund und verkürzen sich perspektivisch in die Tiefe, wo sie sich über einen organisch geformten Hintergrund in Grün- und Blautönen legen. In der Studie sind die Konstruktionslinien der Zentralperspektive deutlich zu erkennen. Der Künstler konzentrierte sich hier besonders auf das Kleben und Schichten von verschiedenfarbigen Glasflächen, einer Technik, die seiner eigenen Malweise des lasierenden Farbauftrags durchaus entspricht. Das Musterfeld diente aber nicht nur der technischen Perfektionierung, sondern kann ohne Zweifel als eigenständiges Werk betrachtet werden, das die künstlerischen Überlegungen Schnells auf grafischem und malerischem Gebiet in die Form eines gläsernen und farbig leuchtenden Tafelbilds überführt.

Das Musterfeld sollte ursprünglich Ausgangspunkt sein für eine Wandgestaltung mit künstlich hinterleuchteter Glasmalerei sein, einem Fenster vergleichbar.[16] Während in früheren Zeiten die Malerei auf Leinwand als ‚Fenster zur Welt‘ galt – als Blick aus dem Ausstellungsraum hinaus in den imaginären, konstruierten Raum des Tafelbildes –, sollte hier eine Malerei in Glas entstehen, die durch künstliches Licht von der Wand her in den Raum gestrahlt hätte.[17] Im weiteren Verlauf der Arbeit erschien ihm dieser Ansatz jedoch nicht mehr fortführbar. Seine Glaskunst sollte sich auf eine natürliche Lichtquelle beziehen und nicht artifiziell die Idee der Malerei als Fenster in die Welt umkehren.

Johanneskapelle Naumburg, 2014 bis 2015        Bekannt geworden als Glasmaler durch das Leipziger Friedensfenster, wurde David Schnell 2014 zur Ausstellung Glanzlichter nach Naumburg eingeladen, um den Innenraum der dortigen Johanneskapelle zu gestalten. Da der Künstler damals kurz vor seinem einjährigen Aufenthalt als Stipendiat der Villa Massimo in Rom stand, fertigte er erst im Jahr 2015 zwei neue Fenster für die aus dem 13. Jahrhundert stammende und 1864 etwas abseits auf den Friedhof des Naumburger Doms umgesetzte Kapelle (Kat. ##, Abb. 6).[18] Während besagter Italienaufenthalt in seiner Malerei deutliche Spuren, insbesondere in der Motivwahl, hinterlassen hat, ist das zu diesem Zeitpunkt in der Glasmalerei noch nicht der Fall.

Bei den kleinformatigen Fenstern für die Naumburger Johanneskapelle ist auf den ersten Blick die Wahl des Kolorits auffallend: Ein Fenster ist von Rottönen dominiert, das andere durch Blau geprägt. Bipolarität war hier ein Leitgedanke, im Helldunkel ebenso wie in den Farbkontrasten. Die Farben wecken Assoziationen an elementare Kräfte wie Feuer und Wasser, die lebensspendend oder zerstörerisch sein können. Deutlich nimmt David Schnell hier Bezug auf das Patrozinium der Kapelle, die Johannes dem Täufer geweiht ist. Das rote Fenster weist architekturähnliche Elemente auf, erinnert an eine Mauer oder einen Weg als entfernte Anleihen an den Außenraum. Motivisch stehen die Fenster zugleich abstrahierend einem Spektrum von Landschaften nahe, zusammengesetzt aus organisch geformten, camouflageartigen Farbflächen in perspektivischer Verjüngung. Ihre Formen erinnern diffus an Wolken oder auch träge, flüssige Massen und nehmen damit den farblichen Assoziationsraum von Lava beziehungsweise Feuer und Wasser auf. Sie korrespondieren zugleich mit den Naturmotiven der Kapelle, die etwa in ihren Schlusssteinen Pflanzenornamente zeigt.

Anders als beim Leipziger Friedensfenster verzichtete Schnell hier nicht zuletzt aufgrund der geringen Maße auf die traditionelle Bleiverglasung und arbeitet wie bereits bei Musterfeld von 2012 allein mit Klebetechniken und Ätzverfahren. Mit konzentrierten Farbakzenten und Anleihen bei der Landschaftsmalerei, die seit der Romantik zudem religiös aufgeladen sein kann, schaffen die Fenster eine überraschende visuelle Struktur innerhalb der hochgotischen Kapelle. Schnell gelang, mit der Glasmalerei eine zwischen Dramatik und Kontemplation changierende Atmosphäre zu erzeugen und der Kapelle – zusammen mit der passenden Tür, die er mit dem Architekten Michael Grzesiak entwickelte – eine neue und intensive Stimmung zu verleihen.

Christuskirche Köln, 2016 bis 2018          Den dritten Auftrag für die Schaffung von Glasfenstern in sakralem Kontext erhielt David Schnell im Jahr 2016 für den Neubau der Christuskirche am Kölner Stadtgarten, nachdem er sich im Rahmen des Ideenwettbewerbs der Evangelischen Gemeinde Köln gegen fünf weitere eingeladene Künstler durchsetzen konnte.[19] In Köln waren die Ausgangsbedingungen völlig andere als etwa in Leipzig: Die Christuskirche, ein Sakralgebäude aus dem 19. Jahrhundert, war im Zweiten Weltkrieg zerstört worden, einzig ihr Turm hatte sich erhalten; dieser war in den 1950er-Jahren durch ein provisorisches Kirchenschiff ergänzt worden, das schließlich wegen Baufälligkeit abgerissen werden musste und nun durch den Neubau eines Kirchenschiffs und zweier Nebengebäude ersetzt wurde. Der Künstler musste sich hier also nicht einem bestehenden architektonisch-künstlerischen Kontext annähern, sondern konnte im Zuge des Neubaus durch seine Fenster die Wirkung des künftigen Innenraums ästhetisch aktiv mitgestalten.

Schnell, der in Köln aufgewachsen war und sich für diesen Auftrag vor Ort auch mit Gerhard Richters Fenstern für den Kölner Dom oder Markus Lüpertz’ Fenster für St. Andreas auseinandersetzte, sollte Entwürfe für vier Fensterflügel liefern – je ein hochformatiges links und rechts des Kirchenschiffs auf der Ostseite (Altarfenster) und auf der Westseite (Turmfenster), dort zugleich als Verbindung zu den Nebengebäuden. Überdies war das Rosettenfenster der Westseite zu gestalten. Ziel sollte sein, die „sakrale Wirkung des Raums zu vertiefen“, wie es in den Ausschreibungsunterlagen heißt.[20] Bisher wurde allein das Rosettenfenster im Winter 2018 realisiert und eingesetzt, die übrigen sind aus finanziellen Gründen noch nicht ausgeführt.

Die Entwürfe Schnells offenbaren Parallelen zu seinen vorangegangenen Fensterwerken, unterscheiden sich aber zugleich: Sehr viel stärker als in Leipzig – und anders als in Naumburg – sind die Kompositionen durch lang gestreckte Flächen bestimmt, die auf den Höhenzug der gesamten Architektur rekurrieren (Kat. ##, ##, ##). Vom Boden bis zur Decke angelegt, suggerieren die Vertikalen eine Bewegung des Lichts nach oben, die als Verweis auf Transzendenz zu verstehen ist und damit hohe Symbolkraft besitzt. Die Farbgebung der Seitenfenster ist in pastellfarbig-hellen Purpur- und Blautönen gehalten. Wie in Leipzig reagierte Schnell damit auf den Porphyr des neugotischen Kirchenturms. Die lichten Blautöne nehmen den großflächig durchscheinenden Himmel wieder auf. Auch wenn der Künstler jede intendierte Farbsymbolik verneint,[21] könnten diese Fenster von den Gläubigen als Verbindung des Irdischen mit dem Himmlischen verstanden werden. Anders als es die neugotischen Kirchenfenster, die hier bis 1944 existierten, erlaubt haben, strebt Schnell mit seinen Entwürfen einen möglichst hellen Kirchenraum und damit Durchlässigkeit an, eine gleichsam diaphane Auffassung der Glasmalerei in der Vermittlung zwischen Innen und Außen, wie sie schon für die Architektur gotischer Kathedralen im Mittelalter prägend war.

Zu diesem Zeitpunkt wurden Impulse seines Romaufenthalts 2014, der in seiner Malerei früh Niederschlag gefunden hatte, auf die Glasfenster übertragen. In Rom hatte Schnell begonnen, sich verstärkt für Innenräume – häufig von Kirchen – zu interessieren, für die Themen Licht und Illusion in der Inszenierung von Interieurs. In seiner Malerei setzte er dies unter anderem durch die Darstellung geschlossener Räume mit stakkatohafter Staffelungen geometrischer Farbfeldern um. Die perspektivische Wirkung der derart komponierten Flächen ist für Köln bei den großen vertikalen Fenstern jedoch weniger stark ausgeprägt als beim Rosettenfenster, das durch seine erhöhte Position und Westausrichtung in der künstlerischen Gesamtkonzeption als Impulsgeber der Raumerfahrung fungiert. Darüber hinaus hat der Künstler direkte Allusionen, etwa an Landschaften oder Innenräume, sehr abgeschwächt. Der allen Fenstern gemeine vertikale Zug der Farbflächen unterstützt die Hinwendung zum Himmlischen. Mithilfe der Abstraktion verlässt der Betrachter die Wirklichkeit; es offenbart sich der transzendentale Charakter des Kirchenraumes als Ort der Kontemplation und Reflexion.[22]

Profane Glasmalerei in deutschen Museen des 20. Jahrhunderts: Düsseldorf, Leipzig, Chemnitz

Während die Glasmalerei in Sakralbauten einen fast natürlichen Verbündeten der Architektur sowie der religiös konnotierten Funktion der Gebäude darstellt und in den letzten Jahren eine wahre Renaissance erlebte, ist sie in profanen Bauten nur mehr vereinzelt anzutreffen. Anders als etwa bei plastischen oder malerischen Kunst-am-Bau-Projekten wird die Glasmalerei in nichtsakralen öffentlichen Gebäuden heute, zu Unrecht, allgemein als wenig zeitgemäß angesehen. Zu prägend wirken vielleicht ihre Bindungen an sakrale Kontexte respektive Bauten, mit denen Museen zwar ebenso gelegentlich verglichen werden, die aber einem rationalen und demokratischen Verständnis öffentlicher Institutionen zu widerstreben scheinen. Es gab sie dessen ungeachtet, insofern seien hier drei bekannte Glasgestaltungen der Moderne in Museumsgebäuden in Deutschland vorgestellt – von Johan Thorn Prikker, Josef Albers und K. O. Götz –, um die Fenster, die David Schnell nun für die Kunstsammlungen Chemnitz entwirft und realisiert, in Bezug auf den nichtsakralen Raum zu kontextualisieren.

Johan Thorn Prikker, Museum Kunstpalast, Düsseldorf              , 1925–1926        Der aus Den Haag stammende Johan Thorn Prikker hatte 1904 an der Kunstgewerbeschule in Krefeld als Lehrer angefangen und war 1910 von Karl Ernst Osthaus nach Hagen eingeladen worden, um sich dort an der künstlerischen Reformbewegung des Werkbundes zu beteiligen. Einer seiner Schwerpunkte lag auf der Glasgestaltung respektive der Glasmalerei, die er an vielen unterschiedlichen Bauvorhaben der Zeit umsetzte, so unter anderem 1911 im Treppenhaus in Osthaus’ Villa Hohenhof in Hagen, entworfen von Henry van de Velde – der in Chemnitz auch die Villa Esche erbaut hat. Thorn Prikker gilt als wichtigster Glaskünstler der damaligen Zeit in Deutschland, der mit seiner Auffassung einer Malerei mit Glas und nicht auf Glas noch die jüngere Künstlergeneration nach dem Ersten Weltkrieg maßgeblich beeinflusste.[23] Anfang der 1920er-Jahre erhielt er als Professor der Düsseldorfer Kunstakademie den Auftrag, neben Mosaiken auch ein vielteiliges Glasfenster für das Treppenhaus des umgestalteten dortigen Kunstpalastes von Wilhelm Kreis zu entwerfen,[24] das schließlich von 1925 bis 1926 realisiert wurde (Abb. 7, 8). Anders als bei vorherigen Aufträgen arbeitete Thorn Prikker hierfür direkt mit dem Werkstattmeister Otto Wiegmann in der Düsseldorfer Kunstakademie zusammen. Das monumentale Fenster besteht aus drei vertikalen Reihen mit fünf hohen Öffnungen im unteren Bereich, zehn mittelgroßen in der mittleren Zone und 20 kleineren im oberen Bereich, also insgesamt 35 Fensterfeldern. Ihre Formensprache ist abstrahierend-geometrisch, zeigt Dreiecke und Rechtecke in orangenen, schwarzen und grau-weißen Farbtönen; in den oberen Farbfenstern sind auch Petrol und Magenta benutzt worden. Die einzelnen Flächen sind zum Teil diagonal, zum Teil orthogonal angelegt, von denen sich andere wiederum in einer Aufwärtsbewegung absetzen. Die Grundmuster werden wiederholt, gespiegelt und „ergeben so ein asymmetrisch-konstruktiv anmutendes Glasgefüge“.[25] Im Treppenhaus setzen sich die Fensterfelder als Blindwerk in Stein in die Architektur fort. Mit Thorn Prikkers Konzeption wird zugleich der Anmutung des Eingangsbereichs als Sakralraum Rechnung getragen. In Farbgebung, Form und Komposition nahm er außerdem Bezug auf die monumentale sachlich-expressive Backsteinarchitektur des Ehrenhofs des Museums und überführte ihren Charakter in eine konstruktivistische Glasmalereikomposition.

Die Fenster, deren Beziehung zur Architektur in der einschlägigen Literatur immer wieder betont wird, wurden im Zweiten Weltkrieg zerstört und erst in den Jahren 1983 und 1984 rekonstruiert.

Josef Albers, Grassimuseum, Leipzig, 1926–1927           1926, im gleichen Jahr also, in dem Thorn Prikkers Fenster in Düsseldorf eingesetzten werden, entwarf der Bauhauskünstler Josef Albers monumentale Fenster für das Treppenhaus des Leipziger Grassimuseums (Abb. 9, 10), das zwischen 1925 und 1929 erbaut wurde. Ein Jahr später, 1927, sind sie als Beitrag zu einer Ausstellung zum Europäischen Kunstgewerbe realisiert worden. Albers, der 1923 die Leitung der Glaswerkstatt des Bauhauses in Weimar übernommen und seitdem immer wieder Aufträge für Glasfenster erhalten hatte, entwarf zeitgleich zum Beitrag im Grassi vergleichbare Fenster für die Eingangshalle des expressionistischen Gebäudes des Berliner Ullstein Verlags, die 1928 enthüllt wurden. In der heutigen interpretierenden Rekonstruktion der sechs schmalen, hohen und im Zweiten Weltkrieg zerstörten Leipziger Fenster durch die Hallenser Künstlerin Christine Triebsch ist das Grundprinzip von Albers’ Entwurf klar nachzuvollziehen: Er erweist sich als eine mathematisch-geometrische Konstruktion, in der vertikale Ruten jedes Fenster mittig teilen und sich in einer weiteren, jedoch nicht durchgehenden Untergliederung neuer Flächen modular entwickeln, die zum Teil aus gelblich grünem, mundgeblasenem Echtantikglas mit weiß-opalem Überfang gebildet werden. Grafische Akzente wurden in der Rekonstruktion mit Schwarzlotüberzügen sowie durch Keil- und Flachschliffe gesetzt.[26] Anders als bei Thorn Prikker in Düsseldorf ist Albers’ abstrakte Komposition in Leipzig bestimmt durch Reduktion und Beschränkung in Form und Farbe, durch modularen Aufbau und eine Systematik, die jede persönliche Entscheidung und den individuellen Stil des Künstlers zugunsten einer ökonomischen sowie der architektonischen Aufgabe gemäßen Ausführung in den Hintergrund treten lassen. Durch ihre Lichtdurchlässigkeit waren Albers’ Grassi-Fenster auf die Verbindung von Innen- und Außenraum gerichtet und stellten einen Bruch mit der bis dahin vorherrschenden, vornehmlich sakralen Glasmalerei dar. Albers’ Fenster gelten zusammen mit den Fenstern im Museum Kunstpalast von Thorn Prikker heute als die wichtigsten ihrer Art in Deutschland.

K. O. Götz, Kunstsammlungen Chemnitz, 1995 Der systemisch und rational agierenden Bauhaus-Moderne stand in der Nachkriegszeit in Westdeutschland die informelle Malerei diametral gegenüber. Spätere Ausläufer dieser konträren Position finden sich in den Glasfenstern, die einer der wichtigsten Vertreter der informellen Malerei in Deutschland, K. O. Götz, in den 1990er-Jahren für die Kunstsammlungen Chemnitz entwarf. Nach dem Fall der Mauer waren er und seine Ehefrau, die in Chemnitz geborene Künstlerin Rissa, der Stadt und dem Museum eng verbunden; bereits 1993 wurde Götz hier mit Arbeiten auf Papier präsentiert, 2004 und 2014 folgten zwei weitere Ausstellungen.[27] Zu DDR-Zeiten befanden sich im Treppenhaus der Kunstsammlungen Fenster von Fritz Diedering und Michael Morgner, die sie in den Jahren 1969 und 1970 zum Themenkomplex ‚Feuer – Erde – Wasser – Luft‘ entworfen hatten (Abb. 11).[28] Diese waren während der Renovierung des Museumsgebäudes am Theaterplatz und teilweisen Rekonstruktion des Inneren Anfang der 1990er-Jahre durch einfache Glasflächen ersetzt worden.[29] Anlässlich der Ausstellung 1993 kamen K. O. Götz und die damalige Direktorin Susanne Anna überein, dass der Künstler eine neue Gestaltung für die jetzt ‚nackten‘ Fenster entwickeln würde. K. O. Götz legte daraufhin einen Entwurf vor, der seiner Malerei mit gestisch bewegten Flächen entsprach (Abb. 12). Dieser wurde dann vom Glaser Jochen Köthe in Antikglas in weißen, gelblichen und mauvefarbenen Pastelltönen, verbunden durch Bleiruten, ausgeführt und knapp zwei Jahre später 1995 enthüllt. Es war die erste und letzte Glasmalerei von K. O. Götz und im Ergebnis eine Eins-zu-eins-Umsetzung des Entwurfs, er selbst hatte an dem Produktionsprozess keinen Anteil genommen. Formal erfüllen diese Fenster eine wichtige Anforderung an Glasmalerei, da sie sich aller Monumentalität zum Trotz durch ihre zurückhaltende Farbigkeit und vegetabile Bewegtheit sehr gut in die Museumsarchitektur des späten Jugendstils einpassen und die Wirkung des Treppenhauses steigern.

David Schnell, Splitter, 2018, Kunstsammlungen Chemnitz       Die Fenster von K. O. Götz waren direkte Anregung für David Schnell, auf Einladung des Museums erneut Fenster im Zuge einer eigenen Ausstellung zu realisieren. Obwohl er die informelle Malerei von K. O. Götz mit ihrer künstlerischen Energie sowie der ästhetischen Präzision gestischer Setzungen schätzt, sieht er ihre expliziten Qualitäten in den Glasfenstern des Treppenhauses „gezähmt“, da sich Götz wie viele andere Künstler nur wenig mit den Möglichkeiten der modernen Glasmalerei auseinandergesetzt hatte.[30] So ließ Schnell sich eher von Götz als Maler inspirieren, nahm dessen Freude an Dynamik und Bewegung auf, mit denen sich seine eigenen Fenster ikonografisch gegenläufig zur gleichmäßigen Stilisierung und getragenen Atmosphäre der Museumsarchitektur verhalten sollen. Wo Götz’ Bildfindung sich eher anschmiegt, bricht Schnell aus dem Rahmen heraus: Nach Nordwesten, in Richtung des benachbarten Opernhauses ausgerichtet, sind seine Fenster aus Gründen des Denkmalschutzes allein im Inneren des Museums zu sehen. Ihr bläuliches Licht erfüllt einen nicht sehr großen, aber von den Dimensionen mit einer Kapelle vergleichbaren Durchgangsraum, der durch die Glasmalerei verändert und aufgewertet wird.

Schnell hat in seinem dreiteiligen Entwurf – dem diaphanen Charakter der Aufgabe gemäß lasierend in Öl auf Hartfaser gemalt (Kat. ##, Abb. 13) – die Fenster kompositorisch als ein Bild gedacht, das realiter durch die Wandbereiche zwischen den Öffnungen unterbrochen wird. Die einzelnen Bildfelder sind jedoch so angelegt, dass sie im Kopf des Betrachters gedanklich zu einem Ganzen zusammengeführt werden können. Ihre immanente Dynamik überfängt die Trennung der drei Einzelzonen. Der architektonische Rahmen – Fenster, Wandfläche, Raum – wird so als Teil der Arbeit mitgedacht, was für die Glasmalerei nicht nur eine wichtige, sondern zwingende Voraussetzung ist. In abgestuften Blautönen ist Schnells Komposition zentralperspektivisch von tiefen Fluchtpunkten gehalten, von denen – wie schon beim Leipziger Friedensfenster – explosionsartig Farbflächen wie Splitter ausstrahlen. Diese Splitter, in denen sich die künstlerische Energie des Malers und die Verneinung einer großen Erzählung zugunsten eines fragmentierten, bruchstückhaften Moments bündeln, geben dem Fenstertriptychon und der Ausstellung ihren Titel. Die Farbe Blau trägt zur Beruhigung der durch die berstenden Flächen sehr bewegten Komposition bei und verweist auf die Funktion des Fensters als Mittler zwischen Innen- und Außenraum. Rote und weiße Akzente durchbrechen vereinzelt die Dominanz der Blautöne, vertikale Setzungen dynamisieren das Bild im Zusammenklang mit den auseinanderstrebenden Flächen. Zugleich tritt die Struktur zur Statik des dahinter durchscheinenden Rasters der drei Sprossenfenster in ein spannungsvolles Verhältnis. Ruhe und Bewegung, Ordnung und Chaos befinden sich in einem Widerstreit – ein wichtiges und häufig eingesetztes Moment in David Schnells Werken.

In Splitter fließen wiederkehrende künstlerische Prinzipien David Schnells ebenso ein wie seine Erfahrungen mit dem Material Glas seit dem ersten, knapp zehn Jahre zuvor entstandenen Friedensfenster in Leipzig. Seinem generellen Ansatz gemäß ist auch die Glasmalerei in Chemnitz nicht von Narration und Figuration geprägt, sondern weist abstrahierend vor allem ästhetische und phänomenologische, originär künstlerische und nicht inhaltliche Aspekte auf. Mit Splitter knüpft er auch an jene Tradition von zeitgenössischen abstrakten Künstlerfenstern an, in der etwa Imi Knoebel zu sehen ist. Doch selbst wenn David Schnell sich nicht komplett von jeglicher Figuration löst und mit seinen Anleihen bei Illusionsräumen und landschaftlichen Elementen den Besucherinnen und Besuchern visuelle Anker zum Einstieg ins Bild anbietet, ist in seinem Chemnitzer Fenster eine vergleichbare Zersplitterung und Negation von Bedeutung zu erkennen, die ebenso Knoebels ungleich prominenteres Werk prägt. Dabei unterstreicht Schnell nicht zuletzt den sakralen Charakter des Museumsraums als Ort der Reflexion und Kontemplation, was bisweilen – hinsichtlich der Auffassung vom Museum als Musentempel – kritisiert wird, ihm aber gleichsam eine besondere Aura und Würde verleiht. In Zeiten zunehmenden medialen Rauschens von Zeichen und Bildern ist dies ein durchaus relevanter, beachtenswerter und bewahrenswürdiger Aspekt. Die berstenden und unkontrollierten Farben des Lichts, Splitter seiner künstlerischen Intervention, werden eigenständiger Teil der Ausstellung. Schnell schuf in Chemnitz eine zeitgemäße Synthese von expressiven und konstruktiven Ansätzen, die seit der Moderne die Glasmalerei prägen.

 


[1] Auch für moderne Glasmalerei gibt es Beispiele, unter anderem bei expressionistischen Künstlern wie Karl Schmidt-Rottluff (etwa Christuskopf, um 1921, Berlin, Brücke-Museum) und Max Pechstein (neben vielen Aufträgen etwa die acht Fenster, die nach seinen Entwürfen von Gottfried Heinersdorff für das Neue Stadtbad in Berlin 1928 ausgeführt wurden und heute im Kunstgewerbemuseum Berlin bewahrt werden) oder konstruktivistischen Künstlern wie Theo van Doesburg (etwa seine Fenster für das Huis De Lange, Alkmaar, 1917, heute im Kröller-Müller Museum, Otterlo).

[2] Siehe u. a. Kristallisationen, Splitterungen: Bruno Tauts Glashaus, Ausst.-Kat. Berlin, Werkbund-Archiv im Martin-Gropius-Bau 1.10.1993–16.1.1994, Darmstadt, Institut Mathildenhöhe 4.2.–13.3.1994, und Hagen, Karl-Ernst-Osthaus-Museum 16.4.–22.5.1994, hrsg. vom Werkbund-Archiv, Basel u. a.: Birkhäuser 1993.

[3] In Westdeutschland erreichte die moderne sakrale Glasmalerei einen Höhepunkt in der unmittelbaren Nachkriegszeit aufgrund des Wiederaufbaus der (teil-)zerstörten Kirchen und Kathedralen mit Fenstern etwa von Georg Meistermann, Vincenz Pieper, Ludwig Schaffrath, Johannes Schreiter oder Hans Gottfried von Stockhausen. Keineswegs ausschließlich, aber trotz der eingeschränkten Produktionsmöglichkeiten vergleichsweise häufig diente die Glasmalerei in Ostdeutschland in den 1950er- und 1960er-Jahren der politischen Propaganda, genannt seien etwa Walter Womackas Monumentalfenster über die Geschichte der Arbeiterbewegung in Deutschland für das Staatsratsgebäude der DDR, entstanden 1962 bis 1964 in Berlin.

[4] Horst Bredekamp, „Die Wiederkehr des Lichts. Ein Wunderwerk: Die Glasfenster von Imi Knoebel im Chor der Kathedrale von Reim“, in IMI KNOEBEL – Fenster für die Kathedrale von Reims, Ausst.-Kat. Kunstsammlungen Chemnitz 24.11.2013–9.2.2014, hrsg. von Ingrid Mössinger, Anja Richter, Köln: Wienand Verlag 2013, 35–38, hier 36. Siehe für einen größeren Kontext der Glasmalerei im 20. Jahrhundert, vor allem auch zu Frankreich, Glasmalerei der Moderne. Faszination Farbe im Gegenlicht, Ausst.-Kat. Karlsruhe, Badisches Landesmuseum 9.7.–9.10.2011, bearb. von Jutta Dresch, Karlsruhe: Info Verlag 2011.

[5] „Conques est le lieu d’une de mes premières émotions artistiques.“ („Conques ist der Ort meiner ersten künstlerischen Gefühlsregungen.“ Pierre Soulages, „Notes de travail“, in Christian Heck, Pierre Soulages, Conques. Les vitraux de Soulages, Paris: Éditions du Seuil 1994, 37–99, hier 39, zit. n. Mark R. Hesslinger, „Outrenoir und outreblanc – zur Metaphysik des Lichts im Werk des Künstlers Pierre Soulages“, in Pierre Soulages. Noir / Lumière. Farbe und Geste in den 1950er Jahren, Ausst.-Kat. Koblenz, Museum Ludwig 4.11.2018–6.1.2019, hrsg. von Beate Reifenscheidt, Mailand: Silvana Editoriale 2018, 39–42, hier 40.)

[6] „Cette lumière que l’on pourrait dire ‚transmutée‘ a une valeur émotionnelle, une intériorité, une qualité métaphysique en accord avec la poésie de cette architecture comme avec sa fonction : lieu de contemplation, lieu de méditation.“ (Pierre Soulages, zit. n. Hesslinger 2018 [wie Anm. 5], 41.)

[7] Siehe Ausst.-Kat Chemnitz 2013 (wie Anm. 4). – Soweit nicht anders nachgewiesen, beruhen alle Darstellungen auf einem Gespräch des Künstlers mit dem Autor in Leipzig am 4. Oktober 2018. Ich danke Cornelia Posselt für ihre Anregungen und Unterstützung.

[8] „Die Wahl der drei Grundfarben ist nicht zu verstehen als eine Hommage an Piet Mondrian oder Barnett Newman, der sich einst die Frage stellte: ‚Who’s Afraid of Red, Yellow and Blue?‘ […] – und dem Knoebel entgegnete – ‚Ich nicht!‘ (so auch der Titel seiner gleichnamigen Ausstellung im Juni 2009 im Deutschen Guggenheim Berlin).“ (Marc Nouschi, „Die Herausforderungen eines Projekts“, in Imi Knoebel. Buntglasfenster für die Kathedrale zu Reims, hrsg. von Jean-Paul Ollivier, Bielefeld: Kerber Verlag 2011, 9–11, hier 11.)

[9] „Die Negation jedes Rückgriffs auf die alten Bilder, überhaupt auf Bilder, geschweige denn heilsgeschichtlich-sakrale Inhalte und Muster, die Negation jedes Rückgriffs auf Bedeutung. Nichts mehr von alledem – Scherben, Tabula rasa, Sinnstoff pur. […] Aus der Zersplitterung aller Formen der Vorstellung entsteht ein Freiheitsbild – schärfer: entsteht die Entstehung des Freiheitsbildes.“ (Johannes Stüttgen, „Heiliges Sehen“, in Ollivier 2011 [wie Anm. 8], 51–52, hier 51.)

[10] Vor dem Hintergrund des von ihm geführten Vergleichs zwischen Barnett Newmann und Imi Knoebel schreibt Horst Bredekamp: „Vor allem aber liegt die Differenz in der konvulsivischen Zersplitterung der Kompositionselemente. […] Hierin liegt die Größe von Knoebels Farbformen. Sie sind in ihrer Zersplitterung nicht flüchtig, sondern binden sich in die Architekturform zurück. Das Wunder liegt in ihrer Fähigkeit, Explosionsbilder sein zu können, die sich im selben Zug in die Architektur reintegrieren, um Expansion und Kontraktion in eine Balance zu bringen.“ (Bredekamp 2013 [wie Anm. 4], 37–38.)

[11] Diese Fenster gelten als Antwort auf den französischen Auftrag an Knoebel. Sie wurden mithilfe des Auswärtigen Amts der Bundesrepublik Deutschland und der Kunststiftung NRW finanziert. Siehe zu speziell den Fenstern von 2015: Imi Knoebel – Reims, hrsg. von der Kunststiftung NRW, Berlin: Hatje Cantz 2017.

[12] Zur zeitgenössischen Glasmalerei in Deutschland siehe Holger Brülls, L’art contemporain du vitrail en Allemagne, hrsg. von Jean-François Lagier, Chartres: Centre International du Vitrail 2012, und Glanzlichter. Gegenwartskunst. Glasmalerei, Begleitbuch zu der von Holger Brülls kuratierten Ausstellung Glanzlichter. Meisterwerke zeitgenössischer Glasmalerei im Naumburger Dom, Naumburger Dom 2014, Petersberg: Michael Imhof Verlag 2014.

[13] Der Beschluss dazu wurde vom Kirchenvorstand bereits 1998 gefasst; die Finanzierung gelang 2006 durch die Rotarier aus Leipzigs US-amerikanischer Partnerstadt Houston, TX.

[14] „Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin.“ (Mt 5,39.)

[15] Holger Brülls wägt in einem Artikel zum Fenster hinsichtlich des „Ausscherens der freien Malerei in das Gebiet der angewandten Kunst […] ästhetische Risiken und Chance einer solchen Expedition in ein fremdes Kunstterrain“ ab (ders., „Schnellschuss in Glas. Kritische Notiz zur Glasmalerei der ‚Neuen Leipziger Schule‘“, in das münster 2 [2011], 105–111, hier 106). Der Autor scheint das Terrain des Kunsthandwerks gegen eine Intervention der freien bildenden Kunst zu verteidigen; er kritisiert an Schnells Fenstern, dass sie durch die hellen Farben zu stark von der Reihe der anderen Fenster und aus dem architektonischen Rahmen herausstechen würden.

[16] Schnells erste große Museumsausstellung in Deutschland trug bezeichnenderweise den Titel Fenster. Siehe David Schnell. Fenster, Ausst.-Kat. Duisburg, MKM – Museum Küppersmühle für Moderne Kunst 10.3.–18.6.2017, hrsg. von Walter Smerling, Eva Müller-Remmert, Köln: Wienand Verlag 2017, insbesondere den Aufsatz von Christoph Türcke, „Schnells Fenster“, in ebd., 9–11. – Seine Malweise des lasierenden Farbauftrags auf Leinwand, bei dem transluzid wirkende Schichten übereinanderliegen, und sein tektonischer Bildaufbau weisen bereits eine hohe Affinität zur Glasmalerei auf, sodass die Analogie der Malerei als ‚Fenster zu einer anderen Welt‘ hier durchaus passend ist.

[17] Interessanterweise verfolgte Daniel Buren bei seiner Ausstellung Quand le textile s’éclaire in den Kunstsammlungen Chemnitz 2018 einen teilweise vergleichbaren Ansatz: Seine von oben beleuchteten und strahlenden Glasfasertextilien konnten zugleich als von Sonnenlicht durchdrungene Markisen wahrgenommen werden. So wurde die Architektur des Ausstellungsraums infrage gestellt bzw. geöffnet und nach außen ‚transzendiert‘. Siehe Daniel Buren, Ausst.-Kat. Kunstsammlungen Chemnitz 18.3.–10.6.2018, hrsg. von Ingrid Mössinger, Dresden: Sandstein Verlag 2018, 28–59.

[18] Siehe Ausst.-Kat. Naumburg 2014 (wie Anm. 12), 200–205: „In für die Glasmalerei ganz ungewohnter Weise sind hier Landschaft und kosmischer Raum als bildnerische Ausgangspunkte neu erschlossen – so eindringlich, wie es zuletzt vor mehr als einem halben Jahrhundert dem jungen Johannes Schreiter mit seinen epochalen, auf Clyfford Still verweisenden Arbeiten gelungen ist.“ (Ebd., 201.)

[19] Eingeladen waren daneben Jürgen Drewer, Günter Grohs, Karl-Martin Hartmann, Celia Mendoza und Anna Pauli. Der Neubau wurde von der Arbeitsgemeinschaft Klaus Hollenbeck Architekten, Köln, und Maier Architekten, Köln, entworfen.

[20] Die neuen Kirchenfenster der evangelischen Christuskirche Köln von David Schnell, Broschüre zum Spendenaufruf, Köln 2016, online: https://www.christuskirche-mitten-im-leben.de/de/david-schnell-projektbeschreibung-kirchen-fenster-2.pdfx [14.10.2018].

[21] Siehe Videointerview mit David Schnell, in Kirchenfenster von David Schnell für die Christuskirche Köln, 23.3.2018, hier 3:40 Min., online: https://www.christuskirche-mitten-im-leben.de/de/david-schnell-kirchenfenster.aspx [14.10.2018].

[22] „Es geht darum, eine Art Reflexionsraum zu schaffen, in dem der Besucher sich vertiefen kann und aufgrund der visuellen Eindrücke dann Muße hat zu verweilen […].“ (Ebd., 5:16 Min.)

[23] In den 1910er- und 1920er-Jahren war Thorn Prikker wohl einer der meistbeschäftigten Glaskünstler in Deutschland und den Niederlanden, unzählige Innenraum- und Glasgestaltungen von Kirchen, öffentlichen und privaten Gebäuden gehen auf den vom Jugendstil über den Expressionismus bis hin zum Konstruktivismus gewandelten Künstler zurück. Zu seinen Schülern gehörten beispielsweise Heinrich Campendonk, Anton Wendling, Hubert Spierling oder Georg Meistermann. Siehe zu Thorn Prikker u. a. Johan Thorn Prikker, mit allen Regeln der Kunst. Vom Jugendstil zur Abstraktion, Ausst.-Kat. Rotterdam, Museum Boijmans van Beuningen 13.11.2010–13.2.2011, Düsseldorf, Museum Kunstpalast 26.3.–7.8.2011, hrsg. von Christiane Heiser, Düsseldorf: Museum Kunstpalast 2011, insbesondere den Aufsatz von Barbara Til, „‚Das Nützliche mit dem Schönen durchdringen …‘ Glasfenster und Mosaiken der Düsseldorfer Zeit“, in ebd., 212–231.

[24] Anlass war die Große Ausstellung Düsseldorf 1926 für Gesundheitspflege, soziale Fürsorge und Leibesübungen (GeSoLei) vom 8. Mai bis 15. Oktober 1926 in Düsseldorf, eine Messe, die wirtschaftliche und gesundheitliche, aber auch ästhetische Neuerungen bewarb.

[25] Til 2011 (wie Anm. 23), 224.

[26] Siehe zur Rekonstruktion der Fenster und zur technischen Ausführung Renate Lucker-Bien, „Bauhauserbe im Grassimuseum. Die Albers-Fenster“, in Art Aurea 4 (2011), 64–69.

[27] Siehe K. O. Götz. Arbeiten auf Papier 1934–1993, Ausst.-Kat. Städtische Kunstsammlungen Chemnitz, 10.10.1993–2.1.1994, hrsg. von den Städtischen Kunstsammlungen Chemnitz, Düsseldorf: Concept Verlag 1993. – Zur Ausstellung Hommage à Karl Otto Götz zum 90. Geburtstag 2004 erschien kein Katalog. – Schließlich: K. O. Götz – Zum 100. Geburtstag, Ausst.-Kat. Kunstsammlungen Chemnitz, 23.2.–4.5.2014, hrsg. von Ingrid Mössinger, Dresden: Sandstein Verlag 2014.

[28] Siehe Kunstausstellung 74 Bezirk Karl-Marx-Stadt. 25 Jahre DDR – 25 Jahre Kunstentwicklung im Bezirk Karl-Marx-Stadt: Architekturbezogene Kunst, Malerei, Grafik, Plastik, Industrieformgestaltung, Kunsthandwerk, Gebrauchsgrafik, Werkverzeichnis, Ausst.-Kat. Karl-Marx-Stadt, Städtische Museen am Theaterplatz 27.5.–13.10.1974, hrsg. vom Rat des Bezirkes sowie dem hiesigen VBK DDR, Karl-Marx-Stadt 1974, Nr. 16.. Michael Morgner gestaltete 2006 die Glasfenster in der Kirche St. Josef in Dresden-Pieschen.

[29] In der „Denkmalpflegerischen Rahmenzielstellung zu Instandhaltungs- und Rekonstruktionsmaßnahmen“ hieß es bereits am 9.5.1989, dass das  Glasgemälde „sowohl in seiner Spezifik als auch hinsichtlich seiner der Zeit entsprechenden Gestaltung […] nicht zur originalen Jugendstilgestaltung von Treppenhaus und Foyer“ passen würde. (Bauaktenarchiv Stadt Chemnitz, K9087, AZ 93/1284/4/B200.)

[30] David Schnell im Gespräch mit dem Autor (wie Anm. 7). – Schon Johan Thorn Prikker machte auf diesen Widerspruch zwischen Entwurf und Ausführung aufmerksam und formulierte seinen Wunsch, mit dem Material zu arbeiten, in einem Brief an Heinrich Dieckmann aus dem Jahr 1921: „Könnten wir nur selbst schaffen und arbeiten mit Glas oder Mosaiksteinen als Material, wir kriegten dann wohl schöne Sachen heraus. […] Der Entwerfer hat seine Formen wirklich gezeichnet, die Hand lebte während dieser Arbeit. Derjenige[,] der ausführt[,] paust Linien und Formen einfach ab; anders ist es nicht möglich. Jede abgepauste Linie ist selbstredend tot.“ (Zit. n. Til 2011 [wie Anm. 23], 214.)

BussmannSchnellSplitter_KunstsammlungenChemnitz2019
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