/ November 26, 2016/ Aufsätze

Der Leipziger Künstler Markus Matthias Krüger malt Landschaftsbilder: Ansichten der heimatlichen Gefilde zwischen Äckern und Plattenbauten, Wäldern und Vorortsiedlungen. Seine Gemälde bedienen jedoch keine vorgefertigten Vorstellungen von heimatlichen Landschaften – Heimat wird nicht heimelig, Natur wird nicht natürlich gemalt.  Ihn interessieren nicht die trivialen Erzählungen einer Geborgenheit vorgaukelnden Idylle. Seine Bilder stehen vielmehr in der Tradition der romantischen Landschaftsmalerei. Die Romantiker revolutionierten mit dem Blick auf die eigene Natur, die vor und in ihnen lag, die Landschaftsmalerei im frühen 19. Jahrhundert. Sie transzendierten das Bild der Natur, den Blick auf eine höhere Ordnung gerichtet, die sie in den heimatlichen Landschaften wiederzufinden meinten. So konzentrierte sich Caspar David Friedrich auf die ihm vertrauten Landstriche, vornehmlich auf der Insel Rügen und dem Dresdener Umland, und konstruierte aus vielen, in der Natur präzise gezeichneten Einzelbeobachtungen in seinem Atelier Stimmungslandschaften als Spiegel der Seele. Auch Krüger malt zwei Jahrhunderte später Stimmungsbilder, denen ein irritierendes Gefühl existenzieller Absurdität anhaftet und von denen etwas Unheimliches ausgeht.

1981 in Gardelegen geboren und in der Altmark aufgewachsen, lebte Krüger zuerst in Halle und kam 2005 nach Leipzig, wo er an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Malerei studierte. Seine Heimatbezüge stützen sich auf diese ihn prägenden Landstriche in der Altmark und auf das Umland zwischen Halle und Leipzig, die er zu neuen, nicht mehr direkt verortbaren und bisweilen sehr unwirtlichen Landschaften entwickelt.
Auch wenn seine Landschaftsbilder durch die feine Malweise kühl und hyperrealistisch anmuten und Anklänge an eine am Computer entworfene virtuelle Realität hervorrufen, ist sein Vorgehen doch ganz traditionell. Er beginnt mit Skizzen, in denen er seine Umwelt und erste Ideen festhält. Unzählige Skizzen verdichten sich dann zu Bildkonzepten für Gemälde, die er nach einem längeren Arbeitsprozess in einer kleineren farblichen Kompositionsstudie in Acryl vorformuliert und schließlich in größerem Format in Acryl und Öl auf die Leinwand überträgt. Während dieses Malprozesses verändert er die Komposition, entfernt oder fügt Neues hinzu, reduziert die Bildelemente, verändert, vergrößert oder ordnet sie neu an. Dieses Festhalten an den Möglichkeiten des Malerischen, das er an der Leipziger Akademie als Meisterschüler von Annette Schröter erlernt hat, und die wirklichkeitsnahe Präzision in der Darstellung einzelner Motive bilden die Grundlage, um Sachlichkeit und Realitätsnähe vorzutäuschen. In der konstruierten Wirklichkeit seiner Bilder erhebt er aber die Fantasie über den äußeren, scheinbar objektiven Eindruck. Seine Heimat ist die Kunst als Möglichkeit und nicht als Zeugnis.

Krügers Gemälde, vornehmlich kleinere und mittlere Formate, zeichnen sich neben dem glatten Malstil durch einige ikonografische Gemeinsamkeiten aus. Das Bildrepertoire besteht aus wiederkehrenden Elementen wie Bäumen, Ackerflächen, Wiesen, Seen, Einfamilienhäusern, Plattenbauten oder Industrieruinen, bisweilen ergänzt durch Zivilisationsschrott wie brennende Autos oder abgestürzte Flugzeuge. Porträts, Stillleben oder Interieurs sucht man ebenso vergebens wie Genrehaftes oder Anekdotisches. Menschenleer sind seine endzeitlich gestimmten Landschaften; er konfrontiert die Ruinen menschlicher Kultur mit einer Naturgewalt, die sich in Form von Wasser, Eis oder Feuer der Zivilisation überlegen zeigt. Er malt Bilder einer Natur, die vom Menschen grundlegend transformiert wurde, die durch Industrie und Tagebau umgewühlt, durch Siedlungen neu geordnet oder durch Landwirtschaft diszipliniert wurde. Die Objekte werden von Krüger isoliert präsentiert und durch eine kontrastreiche Lichtregie künstlich inszeniert. Serielle Wiederholungen, übertriebene, auch unnatürlich erscheinende Formationen, abstrahierend gemalte Farbflächen oder distanzierende Perspektiven verstärken den künstlichen Charakter vieler Gemälde und betonen den Anspruch, Kunst und nicht Dokument zu sein.

Die landschaftlichen Motive erlauben es ihm alle Möglichkeiten der Malerei auszureizen und so zum Beispiel starke Lichtverhältnisse bei Unwetter und Stürmen, Spiegeleffekte bei Wasserflächen oder auch den Kontrast zwischen geometrischer Präzision und natürlichen Phänomenen darzustellen. Gemälde wie Unwetter (2011), Überschwemmtes Dorf (2011), Große Flut (2012), Insel (2012), Insel II (2012) und Abwärts (2013) zeigen einzelne Häuser oder größere Siedlungen, in denen steigendes Wasser oder absinkende Erde Gefahr für die ursprünglich Schutz bietenden Häuser bedeutet. Krüger malt diese Szenen aber nicht alarmistisch; nichts kennzeichnet sie etwa als Appell gegen Umweltzerstörung. Sie versprühen keine Dramatisierung, die man mit menschlichen Existenzängsten in Verbindung bringen könnte, sondern sie sind ruhige, nüchtern gemalte Ansichten einer anderen, einer der Imagination verpflichteten Realität. Im Gemälde Sonnenuntergang (2012) (Abb.) wiederum wird eine Hallenser Vorortsiedlung zum Inbegriff einer gleichgerichteten Norm und eines monotonen Planungsexzesses, bei der die Häuser gleiche Formen und Maße aufweisen, die Straßen ebenso perfekt gebaut sind wie der Rasen gestutzt ist. Krüger hat jede Störung und jeden Menschen aus diesen perfekten Ansichten entfernt, es sind präzise gemalte Bilder sauberer und kalter Vororte. Diese Ansichten von Einfamilienhäusern und Siedlungen, die isoliert in der Landschaft stehen, sind in ihrer seriellen Anlage Ausdruck eines genormten Lebens.

In Bildern wie Hain (2013), Zwei Wäldchen (2011), Wasserspiegel oder Feldversuch (beide 2012) arbeitet Krüger weiter mit der Isolierung einzelner Elemente wie Bäumen oder Häusern, die er vor einem flächigen, geometrisch komponierten Hintergrund, bestehend aus Weide- und Ackerflächen, darstellt. Durch die motivische Reduktion und das Fehlen jeder Lebensspur strahlen die Bilder eine gewisse Einsamkeit aus, die bedrückend wirken kann. Der Verzicht auf jegliche menschliche Figuration, Narration oder psychologisierende Darstellung erlaubt es ihm, sich stärker Fragen des Malerischen, dem Verhältnis von Farben, Flächen, Linien und Formen zu widmen. Zu sehen ist diese Auseinandersetzung etwa im Bild Wasserspiegel, in dem der kleine See aus Kompositionsgründen verdoppelt wird, oder im Feldversuch, wo den streng geometrischen und lokalfarbigen Ackerflächen eine grellgrüne entgegengesetzt wird. Eingebettet in die Landschaft wird die Farbfläche zum Zeichen eines Abstraktions- und eines sich auf sich selbst beziehenden Malprozesses.

Dem gegenüber stehen Bilder des Verfalls industrieller und städtischer Landschaften, die nach dem Mauerfall sich selbst überlassen wurden und die noch häufig auf dem Gebiet der ehemaligen DDR zu finden sind. Die Gemälde Villa am Hang (2011), Große Ruine mit Schornstein (2011), Garten (2011) oder Relikt (2012) zeigen ausschnitthaft durch Verwitterung und Vernachlässigung zerstörtes Gemäuer und die Rückeroberung desselben durch die Natur. Die Gemälde Nachmieter und Nachmieter II (beide 2012), Wintergarten und Haus der Flora (beide 2013) geben den Blick frei auf isoliert stehende Gebäude, in deren Inneren bereits Bäume gewachsen sind und die Dächer emporgehoben haben. Die Hausdächer schweben hierbei völlig intakt in fragiler Balance in den Baumkronen. Nicht ohne Witz zeigt Krüger die Häuser nicht mehr als schützendes Heim für Menschen, sondern als Raum zur Entfaltung der Natur. Das Überraschende ist dabei weniger, dass sich die Natur in ruinösen Häusern ausbreitet, sondern dass die Gebäude noch weitgehend intakt zu sein scheinen; abgesehen von den aufgesprengten Dächern zeigen sie keine Spuren eines fortschreitenden Verfalls, sie stehen zu den ausgewachsenen Bäumen im Verhältnis einer zeitlichen Inkohärenz.

Bühnenartig präsentiert Krüger bisweilen das Zusammenspiel seiner Bildelemente. In Junges Bäumchen (2011) (Abb.) arrangiert er einen zerfallenen Mauerrest um einen kleinen Baum. Am Horizont setzen sich drei dunkel qualmende Feuer vor dem schwarzen Hintergrund ab, die bedrohliche Assoziationen an einen Kriegsschauplatz wecken. Der Vordergrund wird durch eine helle und nicht definierte Lichtquelle beleuchtet und die Bildkulisse erscheint somit noch stärker inszeniert. Im Bild Camouflage (2012) (Abb.) hingegen spielt Krüger mit der Gegensätzlichkeit von streng geometrisch gebauter Mauer und der organisch wachsenden, mäandernden Natur. Der Betrachter sieht noch den Rest einer Betonwand – vielleicht eine Kasernenmauer? – über die Efeu rankt und dabei ein schützendes Tarnmuster bildet. Auch hier irritiert die Kombination aus harter Funktionalität des Betons und der weicheren, die Begrenzung überwuchernden Pflanze.

Eine filmartige und unnatürlich erscheinende Lichtregie wendet Krüger auf den Arbeiten Eis (2011) und Blocks (2012) (Abb.) an. In dem Bild Eis, das annähernd spiegelsymmetrisch komponiert ist, blickt man auf zwei zentralperspektivisch in der Mitte zusammenlaufende Ziegelsteinmauern, die das übrige Gemälde in zwei gleichgroße, fast dreieckige Flächen teilen. Wie so häufig bei seinen Werken, ist es sichtlich geometrisch komponiert und weist einen starken Hang zur perspektivischen Verjüngung auf. Krüger greift hier auf eine optische Illusionstechnik zurück, die ebenfalls häufig bei Bühnenbildern angewendet wurde, um Raumtiefe zu simulieren. Die untere Fläche, eisig spiegelnd und leicht verkratzt, reflektiert die Lichtverhältnisse des klaren Himmels. Das Bild vermittelt eine beklemmende Atmosphäre, findet man doch keinen Ausweg aus der Umarmung durch die Industriemauern. In Blocks hingegen steht die spröde Schönheit der Architektur im Bildhintergrund in Analogie zur spröden Schönheit der gestutzten Tannenbäume im Vordergrund. Krüger strukturiert die beiden Plattenbauten durch den Einsatz unterschiedlicher kleinteiliger Muster, wie sie für die Verkleidung von Gebäuden in den 70er und 80er Jahren typisch waren. Durch die starken Lichtkontraste dramatisch inszeniert, bestimmen Uniformität und Zweckrationalität die Wirkung der Wohnblöcke, die in der DDR begehrte Lebensräume und ein Zeichen des Fortschritts waren, heute aber eher dem Verfall überlassen werden.

Das Gemälde Wache (2011) (Abb.) bezeugt einmal mehr den zivilisatorischen Willen zur Disziplinierung der Natur. Die gestaffelten und sich verdichtenden Baumstämme weiten sich zu einem endlosen Raum aus, an den Rändern unbegrenzt, durch einen Wachturm als Kontrollpunkt in der Mitte kompositorisch verankert. Diese Landschaft ruft die Idee der Kontrolle durch Symmetrie hervor. Einem Grenzgebiet gleich, an dessen Horizont sich eine sehnsüchtig erhoffte Freiheit erstrecken könnte, weckt die Landschaft entfernt Assoziationen an Wolfgang Mattheuers Hinter den sieben Bergen (1973) (Abb.), nur dass der Wachturm die Fatamorgana der Freiheit und der Waldweg die Straße ersetzt hat.

Die Gemälde Bresche (2013) und Kleiner Hain (2014) (Abb.) erwecken einen eher übernatürlichen Eindruck. Die Bresche auf dem gleichnamigen Werk wird gebildet durch eine kreisrunde Öffnung in einer bildparallelen Reihe von neun Pappeln auf einer Wiese; die mittleren beiden Bäume sind am unteren Stamm zerborsten; die Äste und das Laub der jeweils seitlich davon stehenden Bäume sind ebenfalls in einer Rundung abgerissen. Die wohl gewaltige Ursache kann man nur erahnen, wodurch der Maler der Fantasie freien Lauf lässt. Die Stämme und Äste der eng stehenden Bäume inmitten einer Heidelandschaft auf dem Bild Kleiner Hain sind ineinander verschlungen und bilden so einen dichten Block verwobener Baumteile, der in dieser Form in der Natur nur schwer vorstellbar ist. Vielmehr zeigt Markus Matthias Krüger hier einmal mehr, dass er nicht sklavisch eine natürliche Ordnung wiedergeben will, sondern durch die Kunst eine konstruierte Wirklichkeit kreieren kann, die dem inneren Auge, wie es Caspar David Friedrich formulierte, folgen soll. Friedrichs Auffassung nach sollte der Künstler nicht die Natur nachahmen, sondern seine Kunst sollte Ausdruck der inneren Anschauung der Welt sein. In eine solche der Imagination zugewandten Tradition kann man auch Krügers Kunst stellen, der in der Romantik wichtige Einflüsse für seine Kunst erkennt. Anders als bei den Romantikern vermittelt Krüger in seinen Gemälden aber keine Idee einer höheren Ordnung, die den Menschen mit der Natur vereint, vielmehr zeigt er die Natur im Gegensatz zum Menschen.

Nicht nur in der deutschen Romantik findet Krüger Vorbilder, auch die niederländische Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts mit ihrer handwerklichen Perfektion, der genauen Naturbeobachtung und der poetischen Dimension ihrer heimatlichen Ansichten, wie etwa bei Jacob van Ruisdael, ist eine wichtige Referenz für ihn. Aber auch in der Kunst des 20. Jahrhunderts finden sich Anregungen für Krügers Arbeiten, etwa bei René Magritte und dem Surrealismus. So rufen die inversen Lichtverhältnisse auf Blocks (2012), Junges Bäumchen (2011) (Abb.) und anderen Bildern Krügers Magrittes berühmte Gemäldeserie L’Empire des lumières (1949–1964) (Abb.) in Erinnerung. In den künstlichen Baumformationen in Krügers Bresche (2013) kann man etwa eine Resonanz auf Magrittes La recherche de l’absolu (1941, Lüttich, Musée d’Art Wallon) (Abb.) vermuten. Beide Künstler adaptieren durch die Präzision der Darstellung eine realistische Formensprache, die im Zusammenspiel mit dekontextualisierten und bisweilen verwirrenden Motivfindungen als Bildstrategie verstanden werden kann, um die vermeintlich logische Auffassungsgabe des Betrachters zu unterwandern.

In der sachlichen Malweise, die vereinzelt durch traumhaft-fantastische Elemente durchbrochen wird, kann man Krügers Arbeiten auch mit der Malerei des Magischen Realismus in Verbindung bringen. Der Anblick des brachliegenden Gartens (2011) (Abb.) und der verwaisten, im Erdgeschoss zugemauerten Fabrikantenvilla mit dem dazugehörigen Industriebau aus Backstein des späten 19. Jahrhunderts vermittelt eine Ahnung der düsteren Trostlosigkeit, wie sie Franz Radziwills Ansichten des städtischen Verfalls in Hinterhäuser in Dresden (1931, Darmstadt, Hessisches Landesmuseum) (Abb.) zeigen. Vor dem Hintergrund eines apokalyptisch anmutenden, dunklen Gewitterhimmels, effektvoll durch einen einfallenden Lichtstrahl als gebrochenes Zitat eines offensichtlich nicht mehr erlösenden göttlichen Hoffnungsscheins in Szene gesetzt, weckt Krügers Bild Assoziationen an die fantastische Seite der Neuen Sachlichkeit. Aber auch in Radziwills Faszination für die präzise Darstellung von gemauertem Ziegelwerk oder effektvoll spiegelnder Wasseroberflächen, wie zum Beispiel im Bild Siel bei Petershörn (1929, Privatsammlung) (Abb.) oder im Bild Auslaufendes U-Boot (1936, Städtische Gemäldesammlung Wilhelmshaven) (Abb.) kann man malerische Ähnlichkeiten mit Krügers Gemälden wie Eis (2011) erkennen. Nicht zuletzt durch den von beiden Künstlern gemalten dunklen und bedrohlich wirkenden Himmel suggerieren die vordergründig realistisch anmutenden Ansichten eine diffuse Bedrohung, in der die Landschaft einem apokalyptisch gestimmten Resonanzraum des ‚Unbehagens an der Moderne‘[1] gleicht.

Markus Matthias Krüger misstraut Eindeutigkeiten und findet auch in der Science-Fiction-Literatur, etwa von Stanislaw Lem oder Jorge Luis Borges, und in japanischen Zeichentrickfilmen, etwa von Hayao Miyazaki, stimulierende dystopische Fiktionen. Miyazakis Filme sind nicht als Apologetik der Moderne zu verstehen, sondern setzen sich kritisch mit den Auswirkungen der technischen Entwicklungen für das Leben der Menschen und der Natur auseinander. Auch Krügers endzeitlich gestimmte Landschaften können als Metapher auf das Scheitern der modernen Zivilisation und auf die menschliche Vergänglichkeit verstanden werden. Diese Sicht verbindet ihn auch mit Wolfgang Mattheuer, der sich ebenfalls mit dem Erbe der Romantik auseinandersetzte und sich in Bildern wie Oh, Caspar David … (Ausgekohlter Tagebau) (1975) (Abb.) der Naturzerstörung durch Technik zuwandte. Krüger steht Mattheuer nicht nur mit seiner linear betonten, distanzierten Malweise nahe, sondern teilt mit ihm einen melancholischen und bisweilen auch zivilisationsskeptischen Blick auf seine Umwelt, wie etwa in Mattheuers Ein weites Feld (1973) (Abb.) sichtbar wird. Mattheuer hat darüber hinaus für seine Landschaftsbilder, die als Gattung seit den 1950er Jahren einen wichtigen Korpus in seinem Œuvre ausmachen, die gleichen Bezüge zur eigenen, heimatlichen Umgebung gesucht wie heute Krüger. Nicht nur bedingt durch die restriktiven Reisebestimmungen der DDR bilden das heimatliche Vogtland, Leipzig und Umgebung und auch Ansichten der Ostsee die motivischen Schwerpunkte der Landschaften Mattheuers, deren Naturalismus im Laufe der Zeit zunehmend einer symbolischen Überhöhung weicht. Krüger teilt mit Mattheuer den zumeist hoch angesetzten Standpunkt, der distanzierte, panoramaartige Überblickslandschaften erlaubt. Und wie dieser komponiert Krüger in sich geschlossene Gemälde, die inhaltlich zwar mehrdeutig, malerisch aber in der Tradition des Verismus präzise und eindeutig formuliert sind. Ohne dieselben politischen und gesellschaftlichen Bezüge, die bei Mattheuer neben der Auseinandersetzung mit dem Leben im realexistierenden Sozialismus von der zunehmenden Umweltzerstörung seiner Heimat gekennzeichnet waren, kann man bei Krüger eine Weiterentwicklung der neusachlich-metaphorischen Bildersprache Mattheuers erkennen. Bisweilen scheint in Krügers Gemälden eine Beschäftigung mit den räumlichen und industriellen Hinterlassenschaften der DDR durch, die in einer Form der zeitgenössischen Ruinenromantik zwischen Vorortsiedlung, Industriebrache, Plattenbau und Grenzmauern die Ambivalenz von utopischem Potential und autoritärem System aus heutiger Sicht neu zur Anschauung bringen.

Krügers unheimliche und doch vertraut wirkenden Bilder erzeugen eine magisch-surreale, aber auch bedrückende Atmosphäre, bei der man sich an David Lynchs Serie Twin Peaks erinnert fühlt. Als geheimnisumwobene Kriminalgeschichte revolutionierte Lynch durch die theatralisch-übertriebene und stark ästhetische Inszenierung die Fernsehkulturder frühen 1990er Jahre. Die allzu perfekte Oberfläche verweist bereits auf das Unheimliche hinter der Fassade, wo die dunklen Seiten der Zivilisation zum Vorschein kommen. Sowohl Lynch als auch Krüger nähern sich mit ihrem Werk Sigmund Freuds Verständnis des „Unheimlichen“ an, der im Unheimlichen zugleich das Vertraute erkennt: „Es mag zutreffen, dass das Unheimliche das Heimliche-Heimische ist, das eine Verdrängung erfahren hat und aus ihr wiedergekehrt ist, und dass alles Unheimliche diese Bedingung erfüllt.“[2] Krüger entwickelt im Bewusstsein kunsthistorischer Traditionslinien eine Landschaftsmalerei, in der der regulierenden Kultur eine chaotische Natur gegenübergestellt und Utopisches bedrohlich wird. Die Poesie der Vergänglichkeit wird der Imagination des Möglichen zur Seite gestellt. Der Blick auf die heimatlichen Landstriche gerät zur Introspektion des eigenen Bewusstseins. Seine Bilder von heimatlichen Gegenden und Orten scheinen auf den ersten Blick Bekanntes zu zeigen. Gerade deswegen lösen sie ein Gefühl des Unbehagens, vielleicht auch eine Erinnerung an Verdrängtes aus und können so als künstlerische Feldversuche des Unheimlichen verstanden werden

 

 

[1] S. Charles Taylor, „The Malaise of Modernity“, 1991 (dt. „Das Unbehagen an der Moderne“, 1995).

[2] Sigmund Freud, „Das Unheimliche“, in Imago. Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften V, 1919, S. 297–324, hier S. 318.

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