Infolge der Museumsreformbewegung erfuhren die Museen in Deutschland einen wichtigen Professionalisierungs- und Internationalisierungsschub wie in keinem anderen Land in Europa.[1] Seit dem späten 19. Jahrhundert spielten Museen und einige Museumsdirektoren, etwa durch Hugo von Tschudi in Berlin und München, Alfred Lichtwark in Hamburg oder etwas später auch Gustav Pauli in Bremen und Hamburg,[2] eine wichtige Rolle für die Verbreitung der Moderne und die Entwicklung der Museen als gesellschaftlich relevante Orte der ästhetischen Bildung. Neben der Auswahl von Werken für Ausstellung und Ankäufe – erinnert sei an die Kontroversen, die Tschudi in Berlin durchstehen musste, als er impressionistische Malerei in Paris erwerben und in Berlin ausstellen wollte – stand auch die Frage der Grundausrichtung von Erwerbungen und Ausstellungen im Fokus der Diskussionen, im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert im Spannungsbogen eines (deutschnationalen) Historismus, angelehnt an die deutsche akademische Historienmalerei, auf der einen Seite oder eines eher kosmopoliten Liberalismus, der sich eher dem (französisch inspirierten) Impressionismus zuwandte. Museums- und Ausstellungspolitik war und ist immer auch Machtpolitik und immer auch Interessenpolitik, sorgten doch lange Zeit auch in Chemnitz Kunstverein, lokale Künstler und Sammler dafür, dass ihre Bilder jenseits kunstwissenschaftlicher Maßstäbe Zugang ins Museum fanden bzw. aus den Ausstellungen heraus wieder Käufer fanden. Mit der Etablierung von Friedrich Schreiber-Weigand als hauptamtlicher, städtischer Museumsdirektor beginnt eine (und schließlich im Nationalsozialismus revidierte) Emanzipation des Museums von museumsfernen, unwissenschaftlichen Interessen. Dazu dienten ihm seine Ausstellungspolitik ebenso wie die Vernetzung des noch jungen Museums in die deutsche Museumslandschaft in der Weimarer Republik.
Vernetzungen der deutschen Museen
und die Diskussionen um Gegenwartskunst
Deutscher Museumsbund
Friedrich Schreiber-Weigand agierte als Leiter erst der Kunsthütte und dann des städtischen Museums in einem Netzwerk von Kollegen und Künstlern, zu dem Künstler wie Karl Schmidt-Rottluff, aber auch wichtige Direktoren in den verschiedenen Kunstmuseen in Deutschland gehörten. Persönliche Kontakte und Korrespondenzen, Einladungen zu Vorträgen, eigene Mitarbeit an Zeitschriften, aber auch institutionelle Verbindungen wie die Mitgliedschaft des Städtischen Museums Chemnitz im Deutschen Museumsbund gehörten zum Repertoire seiner Netzwerkbindung. Der Deutsche Museumsbund (DMB) hatte sich noch während des Ersten Weltkriegs 1917 maßgeblich auf Initiative von Karl Koetschau, Direktor der Städtischen Kunstsammlung Düsseldorf, Gustav Pauli, Direktor der Hamburger Kunsthalle, und Georg Swarzenski, Direktor des Städel, in Frankfurt am Main als liberale Vertretung der deutschen Kunst- und Kulturhistorischen Museen, vor allem der kleineren und mittleren Museen, gegründet. Ziel des DMB war es, „sämtliche deutsche Museumsbeamte zu umfassen“ und diese in der Öffentlichkeit als Interessengruppe auch gegenüber der Politik zu vertreten.[3] Die Direktoren der wichtigsten deutschen Kunstmuseen waren Mitglied des DMB, so auch Schreiber-Weigand, der schließlich 1927 auf Vorschlag seines Geschäftsführers Gustav Pauli zum Mitglied gewählt wurde.[4]
Neben eher technischen Fragen wie Bibliografien, Faksimiles, Versicherungsfragen oder auch dem Verkauf von Kunstwerken spielt in den 1920er Jahren vor allem die Frage der Demokratie, Bildung und Vermittlung und, damit zusammenhängend, die der Ausrichtung der Museen auf die Gegenwartskunst eine große Rolle in den Vorträgen und Diskussionen. Bereits in der programmatischen Gründungspublikation des DMB, die 1919 herausgebrachte Schrift Das Kunstmuseum und das deutsche Volk, geht Gustav Pauli unter dem Titel „Das Kunstmuseum der Zukunft“ auf die demokratische Vokation des Museums als wichtigste Herausforderung in der eben gegründeten Weimarer Republik ein: „in Wahrheit steht das Museum schon deswegen zur Verhandlung, weil es eine Schöpfung der modernen sozialen Gesinnung und das demokratischste aller Bildungsinstitute ist, das jedermann ohne Legitimationsprüfung den Vorteil seiner stummen Belehrung gewährt.“ Kunstmuseum haben eine Sonderstellung unter den Museen, da sie nicht nur die „Vermehrung von Erkenntnis“ zum Zweck haben, sondern auch der „Bildung des Gefühls“ dienten und diese auch etwas mit der eigenen Lebenswirklichkeit zu tun hat.[5]
10 Jahre später hält der Hamburger Direktor Max Sauerlandt, einer der vehementesten Verfechter der Gegenwartskunst unter den deutschen Museumsdirektoren, auf den Tagungen des DMB zuerst 1929 in Danzig und dann noch mal 1930 in Essen die Hauptvorträge zur Frage der „deutschen Museen und die deutsche Gegenwartskunst“. Gerade unter den kleineren und jüngeren Museen macht er ideale Museen für Gegenwartskunst aus, da sie nicht auf dieselbe Traditionen und Sammlungen zurückgreifen können wie die großen Fürstensammlungen und ein eigenes Profil jenseits regionaler Schwerpunkte zu entwickeln. „Wir leiden in Deutschland unter einer Hypertrophie des Museumswesens“, so warnt er vor einer Zunahme an Museen ohne klares Profil, „die katastrophal werden wird, wenn es nicht gelingt, gerade dies kleineren Museen zu Kristallisationspunkten lebendiger Teilnahme an der Gegenwartskunst zu machen.“[6]
Dieser Erkenntnis folgte auch Schreiber-Weigand in seiner Erwerbungs- und Ausstellungspolitik, die er durch den Ausbau von Netzwerken wie der institutionellen Mitgliedschaft beim DMB und später bei der Zeitschrift Museum der Gegenwart von Ludwig Justi vertiefte. Zu der Generation wichtiger Museumsleute in Deutschland, die auch für Schreiber-Weigend wichtige Partner waren und die sich in unterschiedlicher Haltung und Schwerpunkten sich besonders für die Moderne und die Gegenwartskunst engagierten, zählen neben anderen Alexander Dorner in Hannover, Ernst Gosebruch in Essen, Gustav Friedrich Hartlaub in Mannheim, Carl Georg Heise in Lübeck, Ludwig Justi in Frankfurt bzw. Berlin, Karl Koetschau in Düsseldorf, Gustav Pauli in Hamburg, Max Sauerlandt in Halle bzw. Hamburg, Alois Schardt in Halle bzw. Berlin, Erich Wiese in Breslau, Georg Swarzenski in Frankfurt, Hildebrand Gurlitt in Zwickau oder eben auch Friedrich Schreiber-Weigand in Chemnitz. Besuche und Briefkontakte, Vorträge und Textbeiträge belegen die guten Verbindungen von Schreiber-Weigand zu vielen dieser Kollegen.[7] Schreiber-Weigand baute dieses Netzwerk, das eine wichtige Grundlage für seine eigene Ausstellungsarbeit war, aus, indem er unter anderem namhafte Kollegen als Experten für Einführungstexte in Katalogen, Eröffnungsreden und Vorträge gezielt einlud.
Ausstellungen und Vermittlung
Zu den wichtigen Fragen, die in der Weimarer Republik (und natürlich zum Teil auch schon davor) diskutiert wurden, gehörten neben technischen Aspekten vier Themenbereiche: die Ausstellungstätigkeit, die Erwerbungspolitik, die Präsentationszusammenhänge der Kunst, heute würde man vom Display sprechen, und die Vermittlungstätigkeit – im Grunde genommen sind dies auch 100 Jahre später zentrale Fragen für eine zeitgemäße Museumsarbeit. Vor allem das Museum als Ort der Bildung und damit der Ermächtigung des Volkes zur Demokratie wurde bereits im ausgehenden Kaiserreich von Alfred Lichtwark in Hamburg in den Vordergrund gestellt: „Die Museen, die dem ganzen Volke offen stehen, die allen zu Dienste sind und keinen Unterschied kennen, sind ein Ausdruck demokratischen Geistes.“[8]
Dem ausgebildeten Lehrer Schreiber-Weigand werden die museumspädagogischen Fragen nicht fremd gewesen sein. „Im Morgenlichte der deutschen Republik“, wie Schreiber-Weigand rückblickend 1950 zum 30-jährigen Jubiläum der städtischen Kunstsammlung in Fortführung dieser Gedanken von Lichtwark ein halbes Jahrhundert später schrieb,[9] hatte die Vermittlungstätigkeit, die museumspädagogische Arbeit, eine neue gesellschaftliche Bedeutung des Museums für die Bildung der Bürger der Weimarer Republik vor dem Hintergrund zunehmender sozialer und politischer Konflikte erhalten. Museen standen in einem höheren Legitimationsdruck, was zu einer Stärkung der Vermittlung führte, um die gesellschaftliche Notwendigkeit des Museums als identitäts-und gemeinschaftsgebende Bildungsinstitution in einer auseinanderdriftenden Gesellschaft zu unterstreichen.[10] Wichtigstes Element der Vermittlung waren neben Vorträgen und Einführungen die Sonderausstellungen selbst, die sich in dieser Zeit unabhängig von Verkaufs-und Sammlungsausstellungen entwickelten. Den künstlerischen Sonderausstellungen stellte Schreiber-Weigand dann immer wieder auch sogenannte Lehrausstellungen zur Seite.
Vorträge
Begleitet wurden Ausstellungen durch Vorträge als Teil der Vermittlungstätigkeit und „um den einzelnen Ausstellungen mehr Nachdruck zu verleihen und ihnen ein größeres Interesse zu sichern“, so Schreiber-Weigand.[11] Die Jahresberichte der Kunsthütte listen für diesen Zeitraum jährlich zwischen 6 und 7 Vorträge auf. So gab es 1924 zum Beispiel 5 Einführungen im Rahmen von Ausstellungen und 6 allgemeine Vorträge, unter anderem von William Cohn, Alfred Kuhn, Hildebrand Gurlitt, Cornelius Gurlitt, Wilhelm Pinder und Max Sauerlandt. Unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg hielt 1919 bereits Will Grohmann einen Vortrag „Vom Erleben expressionistischer Bilder“ im Rahmen der Dresdener Sezessions-Ausstellung. Das Themenspektrum der Vorträge in den 1920er Jahren umfasste alle denkbaren Bereiche von der „Altdeutschen Holzbildnerei“ über „Die bildenden Kunst Indiens“, den „Selbstbildnissen Rembrandts“ über „Die Kaiserdome am Rhein“ hin zur modernen und zeitgenössischen Kunst mit Vorträgen zu „Emil Nolde“, „Vincent van Gogh“, „Edvard Munch“, „Lovis Corinth“, „Karl Schmidt-Rottluff“, „Max Pechstein“, „Die Brückekünstler“ oder auch „Pablo Picasso“. 1926 gab es etwa einen Lichtbildvortrag zu „Lyonel Feininger“ oder zu „Käthe Kollwitz“ von Paul Fechter im selben Jahr, 1929 zur „Umformung der Wirklichkeit in der Malerei der Gegenwart“ des Dresdener Kunstkritiker Will Grohmann, zu „Malerei, Film und Foto der Zukunft“ vom Bauhaus-Künstler und Fotografen László Moholy-Nagy oder 1930 zu „Ernst Barlach“ von Alexander Dorner.
Allerdings, so räumt Schreiber-Weigand 1926 im Jahresbericht der Kunsthütte ein, sei es schwierig, die Menschen durch Ausstellungen und Vorträge zu erreichen, die stattdessen „äußere Zerstreuung und nicht innere Sammlung, die Genuß und nicht Bildung suchen, denen die Beschäftigung mit künstlerischen Fragen und die Betrachtung von Kunstwerken nicht eine seelische Bereicherung, sondern die Augenblicksbilder im Kino, Varieté und Kabarett den Ewigkeitswerten vorziehen, die uns die reine Kunst geschenkt hat und täglich neu schenkt.“[12]
Lehrausstellungen
Zum Zwecke der museumspädagogischen Arbeit avant la lettre führte Schreiber-Weigand neben Sonderausstellungen sogenannte Lehrausstellungen ein, die sich – vermutlich didaktisch aufbereitet – einzelnen Aspekten der Kunstgeschichte widmeten, wie etwa den deutschen Domen, den Kupferstichen Albrecht Dürers in den Reichsdrucken oder dem Bamberger Dom in einer Reihe von Fotografien aus der Sammlung von Hans Vogel. „Solche Ausstellungen sind außerordentlich lehrreich und wichtig“, so Schreiber-Weigand im Ausstellungsbericht 1922. In den Ausstellungsberichten der Kunsthütte wird 1921 diesbezüglich eine wesentliche Steigerung der „gemeinsamen Besuche von Klassen höherer Lehranstalten“ und von „verschiedenen Jahrgängen der Gewerbe-Akademie“ verzeichnet.[13] Aus Raumnot wurden diese Ausstellungen dann aber schnell wieder eingestellt, was nicht auf eine besonders hohen Stellenwert dieser didaktischen Ausstellung hinweist. 1932 greift er aufgrund finanzieller Engpässe für andere Ausstellungsplanungen den Gedanken der Lehrausstellung wieder auf und zeigte zum einen als Übernahme aus der Kunsthalle Mannheim die Ausstellung Neues von gestern mit Bildern aus Zeitschriften der letzten 70 Jahre über die Kultur dieses Zeitraums und zum anderen den Bilddruck in den Niederlanden und den Kupferstich im 18. Jahrhundert mit den sogenannten Reichsdrucken.
Ausstellungen der Kunsthütte zu Chemnitz zur Zeit der Weimarer Republik
Die Erwerbungen Schreiber-Weigands und die Diskussionen um das ‚Display‘, die Hinzuziehung von Künstlern wie etwa Schmidt-Rottluff für die konsequente farbige Ausgestaltung der Galerie der Moderne, werden in diesem Band bereits an anderer Stelle vorgestellt.[14] Im Folgenden soll nun die Ausstellungstätigkeit Schreiber-Weigands in der Weimarer Republik näher erläutert werden. Dabei muss darauf hingewiesen werden, dass Schreiber-Weigand offiziell die Ausstellung als Ausstellungsleiter der Kunsthütte im Städtischen Museum organisierte und nicht für das Museum selbst, das am Anfang nur für die Kunstsammlung gegründet wurde und noch nicht über die Ressourcen noch den Auftrag für Ausstellungen verfügte.[15] Die folgende Darstellung basiert in erster Linie auf den Ausstellungsberichten des Vorstands der Kunsthütte zu Chemnitz aus der Hand Friedrich Schreiber-Weigands, die immer auch der Selbstdarstellung dienten, um die eigene Arbeit zu rechtfertigen.
Funktion von Ausstellungen
Ausstellungen waren zuerst Ergebnis wissenschaftlicher Recherche und dienten der Präsentationen kunsthistorischer Zusammenhänge und künstlerischer Positionen für ein größeres Publikum. Waren Museen bis zum Ersten Weltkrieg vor allem als Orte von Sammlungen gedacht, nahmen Ausstellungen danach eine größere Rolle ein und wurden zunehmend als Teil des Bildungsauftrags. Zusätzlich konnten Ausstellungen in noch höherem Maße als Sammlungen der Imagepflege auch mit Blick auf die anderen Städte in Deutschland dienen. „Die öffentliche Kunstpflege erschöpft sich nicht in dem Vorhandensein einer ‚Kunstsammlung‘“, so heißt es in einem Schreiben des Vorstands der Kunsthütte an den Stadtrat, verfasst 1924 durch Schreiber-Weigand, „sondern sie erfordert auch wechselnde Kunstausstellungen. Diese Ausstellungen sollen einmal den hiesigen Einwohnern eine sie bildende und sie anregende Übersicht über das Kunstschaffen der Zeit geben, sie sollen aber auch über die Stadtgrenzen hinaus wirken und für Fremde ein Anziehungspunkt und für die Stadtgemeinde ein Mittel werden, über die Grenzen des engeren und weiteren Vaterlandes hinaus als Pflegestätte echter Kunst bekannt zu werden. Städte wie z.B. Berlin, Dresden, München, Düsseldorf, Karlsruhe verdanken ihren Ruf als Kunstpflegestätten nicht nur ihren Sammlungen, sondern auch diesen sich wiederholenden bedeutenden Kunstausstellungen, die die Stadtbewohner erfreuen und belehren, die Fremde anziehen und den bestehenden Sammlungen die erforderliche Ergänzung in Hinsicht auf die zeitgenössische Kunst geben.“[16]
Entsprechend wird etwa im Ausstellungsbericht der Kunsthütte – einem Bericht der Selbstdarstellung, freilich – für das Jahr 1924 anlässlich der Ausstellung Altdeutsche Plastik und Malerei aus Chemnitz und Umgebung der Nutzen einer solchen, viel beachteten Ausstellung unter anderem darin erklärt, dass namhafte Gelehrte sie besuchten.[17] Eine Analyse der Ausstellungsberichte der Kunsthütte zeigt, dass der Erfolg einer Ausstellung bestimmt wurde durch die nachhaltige Vermittlung der kunsthistorischen und wissenschaftlichen Forschungen an ein Fachpublikum ebenso wie an ein größeres Publikum, das Renommee in Fachkreisen ebenso wie Besucherzahlen,[18] die Bestellung des Katalogs durch andere Museen und Bibliotheken und Ausstellungsbesprechungen in Fachzeitschriften wie Kunst und Künstler, Cicerone oder der Zeitschrift für bildende Kunst und in der größeren Presse wie der Vossischen Zeitung oder der Leipziger Illustrierten Zeitung.
Ausstellungen nach dem Ersten Weltkrieg
Unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg ging der Ausstellungsbetrieb zunächst normal weiter, „Niederlage und Revolution hatten zunächst keinen Einfluß“, wie der Direktor schreibt.[19] Mit der Belegung des Museums durch Reichstruppen vom 18.8. bis 23.10.1919 wurde die Arbeit freilich unterbrochen und ging danach nur zögerlich wieder los, aus finanziellen und praktischen Gründen nicht mit Malerei, sondern mit grafischen Ausstellungen.
Seit dem Ende des Jahres 1919 werden in der wieder Kunsthütte Gruppen- und Einzelausstellungen vornehmlich, aber nicht ausschließlich zeitgenössische Kunst und die des späten 19. Jahrhunderts gezeigt. Es finden sich in den Ausstellungsverzeichnissen neben vielen heute in Vergessenheit geratenen Namen immer wieder bekannte Künstler wie Edvard Munch, Karl Schmidt-Rottluff, Erich Heckel, Peter August Böckstiegel, Otto Dix, Oskar Kokoschka, Käthe Kollwitz, Ernst Barlach, Karl Hofer, Max Beckmann und anderen, aber auch solche mit stärker lokalem Hintergrund wie Otto Th. W. Stein oder die der Künstlergruppe Chemnitz. Immer wieder präsentierte Schreiber Weigand in seinen sogenannten Monats-Ausstellungen parallel zeitgenössische Künstler, wie etwa 1920 Karl Schmidt-Rottluff und Otto Dill, 1926 Max Liebermann und Paul Klee oder Lyonel Feininger und Otto Th. W. Stein. Seit 1923 wurden dann auch die größeren Sommerausstellungen eingeführt, angefangen mit der Präsentation Aquarell und Kleinplastik. Abgeschlossen wurde der Jahreszyklus durch sogenannte Weihnachtsausstellungen.
Ein erster und überregional beachteter Höhepunkt war die XV. Ausstellung des Deutschen Künstlerbundes 1920 – Schreiber-Weigand hatte 1912 mit der 4. Grafischen Ausstellung des Künstlerbundes eine erste national wahrgenommene Ausstellung unter anderem mit Max Klinger organisiert. (Finanziert durch Hans Vogel, wurde Klinger zu seinem 60. Geburtstag eine Ausstellung eingerichtet, die aufgrund des Ersten Weltkriegs erst 1917 eröffnet wurde und mit 7000 Besuchern die wichtigste Ausstellung der Kunsthütte nach der des Künstlerbundes war.)[20] Bei der Präsentation 1920, die im Jahresbericht der Kunsthütte Chemnitz als das „Hauptereignis der letzten 5 Jahre“ bezeichnet wurde,[21] wurden von der Ausstellungsleitung der zweiten Künstlerbundausstellung in Chemnitz – der auch Schreiber-Weigand angehörte – 140 Künstler unterschiedlichster Qualität eingeladen.[22]
Alte Kunst
Schreiber-Weigand fokussierte aber nicht einseitig auf die Zeitgenossen, sondern zeigte zum Beispiel auch Präsentationen zu Albrecht Dürer 1921 und 1922. 1924 wurde eine Sonderausstellung zur Altdeutschen Plastik und Malerei aus dem Chemnitzer Umland mit Werken des Meisters H.W. (Hans Witten) bzw. Hans von Cöln aus Kirchen- und Museenbesitz, kombiniert mit Arbeiten von Peter Breuer, Hans Hesse, Lucas Cranach d. Ä. und anderen gezeigt, die Schreiber-Weigand in einem Schreiben an den Chemnitzer Stadtrat als „epochemachend“ bezeichnete.[23] Und auf Anregung des Leipziger Sammlers und Kunsthistorikers Karl Lilienfeld präsentierte die Chemnitzer Kunsthütte 1927 eine Ausstellung zum flämischen Maler des 17. Jahrhunderts Joos de Momper, die europaweite Beachtung erfuhr „die weitgreifendste und erfolgreichste des Ausstellungsjahres 1927“ war, da sie mit 55 Gemälden von europäischen und deutschen privaten und institutionellen Leihgebern die erste Einzelausstellung zu diesem Künstler überhaupt gewesen ist und der kunsthistorischen Forschung diente.[24] Auch wenn sein Schwerpunkt auf der Gegenwart lag, klammerte Schreiber-Weigand also keineswegs die ältere Kunst aus und kann die Kunstsammlung hier auch wissenschaftlich profilieren.
19. Jahrhundert und deutscher (Spät-) Impressionismus
Das späte 19. Jahrhundert war insgesamt unter den Ausstellungen nicht besonders stark vertreten, zu nennen wäre hier unter anderem die große Überblicksausstellung über die Deutsche Bildniskunst im 19. Jahrhundert in den Räumen der Textil- und Vorbildersammlung. Gezeigt wurden Positionen vom akademisch geprägten Historismus bis zu impressionistischen Anleihen, unter anderem von Karl Begas, Wilhelm Busch, Franz Ludwig Catel, Anselm Feuerbach, Caspar David Friedrich, Anton Graff, Karl Hagemeister, Robert Kummer, Franz von Lehnbach, Karl Friedrich Lessing, Ferdinand von Rayski, Friedrich Wilhelm von Schadow, Moritz von Schwind, Fritz von Uhde, Carl Christian Vogel von Vogelstein oder Anton von Werner.
Schreiber-Weigand organisierte vornehmlich aber wichtige monografische Sonderausstellungen mit Malerei oder Grafiken (bisweilen auch ‚Gedächtnis-Ausstellungen‘ anlässlich des Todes von Künstlern wie bei Hans Thoma oder Lovis Corinth), häufig gemeinsam mit den entsprechenden Künstlern, so 1925 Lovis Corinth zu Ehren, anlässlich seines Todes, mit Zeichnungen, Aquarellen, Lithografien und einer Bronze aus der Sammlung seiner Witwe und des Chemnitzer Industriellen und Sammlers Erich Goeritz; einen Monat zuvor waren neu erworbene Lithografien und Radierungen von Corinth zusammen mit Grafiken von Max Liebermann zu sehen gewesen. Im selben Jahr wurde die aus Chemnitz stammende und in Wien lebende spätimpressionistische Malerin Helene Funke, die bereits an der Eröffnungsausstellung des König Albert-Museums von 1909 teilgenommen hatte, in einer eigenen Ausstellung vorgestellt – mit Martha Schrag eine der wenigen Künstlerinnen, die Einzelausstellungen in Chemnitz erhielten. Ab 1926 erhielt die Kunsthütte die Möglichkeit, von April bis September den großen Oberlichtsaal im Westflügel zu nutzen, der im Winter wie gehabt der Vorbildersammlung vorbehalten war. Die erste Ausstellung dort wurde die Präsentation der Hauptwerke der Malerei von Lovis Corinth sein, ebenfalls aus dem Eigentum der Witwe und von Erich Goeritz. 1928 folgte eine Sonderausstellung zum Dresdener Maler und Akademieprofessor Robert Sterl, dessen umfassender Katalog mit einem Geleitwort von Max Liebermann und einer Einführung des Dresdener Galeriedirektor Hans Posse von den Ambitionen des Direktors, eine große und wichtige Retrospektive zu veranstalten, Zeugnis ablegt. Auch andere deutsche Künstler zwischen Spätimpressionismus und Frühexpressionismus wie Max Slevogt, Maria Slavona, Oskar Moll, Hans Purrmann, Otto Modersohn und Paula Modersohn-Becker waren zumindest in Gruppenausstellungen vertreten.
Edvard Munch
1921 war ein Höhepunkt des Ausstellungsjahres in der Kunsthütte eine Präsentation von Arbeiten auf Papier von Edvard Munch. Munch hatte 1906 seine erste Ausstellung in der Kunsthütte Chemnitz erhalten, nachdem er 1905 einige Monate in Chemnitz bei der Familie Esche gewesen war; es war Herbert Esche, der die 50 Holzschnitte, Radierungen und Lithografien der Munch-Ausstellung 1921, vor allem mit frühen Arbeiten, aus der eigenen Sammlung auslieh; 1929 folgte eine dritte Ausstellung, nachdem vorhergehende Versuche 1926 gescheitert waren.[25] Höhepunkt des Jahres 1929, das insgesamt stärker auf ausländische Künstler fokussiert war, war die Edvard Munch-Ausstellung. Munch, der „in Chemnitz seit langem im Blickpunkte lebendigen künstlerischen Interesses steht“,[26] wie der Direktor erklärte, wurde bei seiner dritten Einzelpräsentation innerhalb von 25 Jahren der gesamte Ostflügel für seine erst 80 Grafiken und dann 60 Gemälden eingeräumt. Der begleitende Katalog enthält eine Einführung von Will Grohmann. Der Künstler korrespondierte mit dem Direktor und begleitete die Präsentation von Ferne.[27] Es gibt nur wenige Künstler, um die sich der Chemnitzer Museumsdirektor mit einer solchen Beharrlichkeit bemüht hat, denn „in wenigen deutschen Städten hat eine solche Veranstaltung mehr Sinn und Berechtigung als in Chemnitz“, wie er mit Blick auf die frühen Aufträge zu den Portraits der Esche-Kindern im Ausstellungsbericht von 1930 schreibt. Die von Schreiber-Weigand auf Grundlage einer vorhergehenden Präsentation in der Kestner-Gesellschaft erweiterte Retrospektive zu Munch wurde im Anschluss dann im Leipziger und anschließend im Hamburger Kunstverein gezeigt.
Ausstellungsreihe zu expressionistischen Künstlern der Brücke und vereinzelte Präsentation aus dem Umfeld des Blauen Reiter
Noch vor der Munch-Ausstellung beginnt Schreiber-Weigand mit Emil Nolde 1920 eine Reihe von Ausstellungen zu den ehemaligen Mitgliedern der Brücke, die er im jährlichen Rhythmus vorstellen will. 1921 folgten je eine Ausstellung mit Gemälden von Karl Schmidt-Rottluff, zusammen mit dem Maler Otto Dill, und eine zu Erich Heckel, „die beiden aus dem Chemnitzer Kreise hervorgegangenen Künstler und Führer der neuen Generation“, wie Schreiber-Weigand sich äußert und die Auswahl auch auf künstlerische Entwicklungslinien stützt, „die beide von Munch Anregungen erhielten.“[28]
Zwar nicht direkt dem Expressionismus zugehörig, aber, einem expressiven Realismus verhaftet, in Berlin mit den Brücke-Künstler ausgestellt hat Karl Hofer, dem 1922 eine Sonderausstellung eingerichtet wurde. Im Vorfeld dieser Ausstellung entspann sich ein intensiver Kontakt zwischen Schreiber-Weigand und Hofer, der die ganzen 1920er Jahre anhalten sollte; aus dieser Ausstellung heraus wurde das 1937 beschlagnahmte Gemälde Die Begegnung von 1922 erworben, in den Jahren danach, vor allem anlässlich der Ausstellung 1925, wurden weitere Arbeiten erworben.
1922 war Max Pechstein als drittem wichtigen Expressionisten der Brücke-Künstler an der Reihe, gefolgt vom westfälischen Expressionisten Peter August Böckstiegel mit Arbeiten auf Papier. 1923 organisierte Schreiber-Weigand eine Ausstellung mit 83 Gemälden von Alexej von Jawlensky aus den Jahren von 1909 bis 1923 und konnte so dem Chemnitzer Publikum einen Vertreter des Münchener Expressionismus aus dem Umkreis des Blauen Reiter präsentieren. 1924 wurde mit Otto Mueller wieder ein Brücke-Künstler gezeigt, mit Malerei und Aquarellen. Schließlich erhielt 1927 Karl Schmidt-Rottluff, der in engem Kontakt zu Schreiber-Weigand stand und ihn 1925–1926 bei der Sammlungspräsentation der Galerie der Moderne beriet, als wichtiger Brücke-Künstler in den Räumen der Kunsthütte eine eigene Ausstellung mit Aquarellen.
1929 folgten wieder zwei weitere Ausstellungen der Brücke, zum einen zu Karl Schmidt-Rottluff und zum anderen zu Otto Mueller. Wie schon zuvor, sind Schreiber-Weigand die Querbezüge zwischen diesen Positionen und der etwas älteren internationalen Kunst wichtig, folgten die Brücke-Künstler doch unmittelbar auf die Munch-Präsentation von 1929 und wurden so damit auch in Zusammenhang gebracht. Der Katalog zu Schmidt-Rottluff war auf dem Umschlag mit der verkleinerten Abbildung des vom Künstler entworfenen Ausstellungsplakats und einem Text der befreundeten Hamburger Kunsthistorikerin und Sammlerin Rosa Schapire versehen. Es folgten in diesem Jahr noch der etwas jüngere Dresdener Expressionist Conrad Felixmüller und der im Umkreis der Neuen Künstlervereinigung München arbeitende Adolf Erbslöh, die Schreiber-Weigand aber beide qualitativ „in Distanz“ zu Schmidt-Rottluff und Mueller sieht.
Eine aus heutiger Sicht wichtige Ausstellung, die im Ausstellungsbericht 1930 jedoch eine untergeordnete Rolle spielte, ist die mit Aquarellen von Wassily Kandinsky zum 60. Geburtstag: „gegenstandslose klingende Farbenkompositionen, Beispiele der abstrakten Malerei, die in der Kunsthütte selten gezeigt wurden“, wie Schreiber-Weigand bekennt.[29] Neben Paul Klee und Lyonel Feininger gehörten die Kandinsky-Aquarelle zu den wenigen abstrakteren Arbeiten in der sonst eher von figurativ-gegenständlichen Haltungen geprägten Ausstellungspolitik.
Zusammen mit dem Künstler konzipiert und aus dem Bewusstsein heraus, „daß die Kunsthütte zum mindesten ein Mal im Jahre eine größere, über den engen Heimatkreise hinausweisende und auch kunstwissenschaftlichen Interessen dienende Ausstellung veranstalten müsse“,[30] wie der Direktor schreibt, wurde im März 1931 erneut eine große Einzelausstellung zu Erich Heckel gezeigt, die positiv von Erhard Göpel besprochen wurde.[31] Die Heckel-Ausstellung mit 100 Gemälden aus den Jahren 1906 bis 1930 ist das große Ereignis des Jahres 1931, sieht Schreiber-Weigand ihn doch auf „herausgehobenen Posten“ an der Seite seiner Brücke-Kollegen „in der nachimpressionistischen Entwicklung der deutschen Kunst in dem Suchen nach neuen künstlerischen Ausdrucksformen“ mit einer engen biografischen Beziehung zu Chemnitz.[32] Neben dem Umfang der Ausstellung mit wichtigen Leihgaben von Museen und Privatsammlern und dem relativ aufwendigen Katalog mit einem 2-farbigen Holzschnitt als Umschlag zeigen auch die bei der Eröffnung anwesenden Personen und Kollegen wie etwa Ludwig Justi der Berliner Nationalgalerie – sein Berliner Kollege Ludwig Thormaehlen hielt den Eröffnungsvortrag – sowie von Sammlern und Freunden von Erich Heckel die große Bedeutung der Ausstellung für den Künstler ebenso wie für das Museum. Heckel gestaltet neben dem Katalog auch das Plakat und die Einladungskarte. Mit der Heckel-Ausstellung 1931 endet die Reihe der wichtigen Einzelausstellungen von Brücke-Künstlern in Chemnitz, in der allein Ernst Ludwig Kirchner nicht mit einer Einzelausstellung gewürdigt wurde.[33]
Überregionale und lokale Künstlergruppen
Schreiber-Weigand zeigte die Künstler der Brücke einzeln, aber soweit aus den Akten einsehbar nicht als Gruppe. Er wendet sich aber immer wieder anderen Künstlergruppen und Bewegungen mit Gruppenausstellungen zu, so unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg 1919 mit einer Expressionisten-Ausstellung der „extremen Sezessions-Gruppe“ aus Dresden (unter anderem mit Peter August Böckstiegel, Otto Dix, Conrad Felixmüller und Lasar Segall), die von Will Grohmann eingeführt wurde. 1923 wurde die Norddeutsche Sezession, Stettin gezeigt, 1924 die Münchener Gruppe der Sechs, 1925 die Münchener Neue Sezession und die dem Expressionismus verbundene Gruppe Das Junge Rheinland um die Düsseldorfer Galeristin Johanna Ey.
1925 zeigte Schreiber-Weigand dann erneut einen aktuellen Einblick in das Schaffen seiner Zeitgenossen mit der Ausstellung Deutsche Malerei der Gegenwart, bei der unter anderem Charlotte Berend, Conrad Felixmüller, Ernesto de Fiori, Karl Hofer, Oskar Kokoschka, Oskar Moll, Hans Purrmann, Martha Schrag, Max Slevogt, Robert Sterl und ehemalige Mitglieder der Brücke gezeigt wurden. 1927 schaute er auf die österreichischen Nachbarn mit einem umfassenden Überblick über die neuesten Tendenzen der Österreichischen Kunst von Klimt bis Kokoschka.
Ein Experiment im Bereich der Gruppenausstellungen stellt die im Jahr 1927 durchgeführte Juryfreie Ausstellung, bei der ohne kuratorische Entscheidung alles gezeigt wurde, was eingesandt wurde, insgesamt 232 Gemälde und 164 Arbeiten auf Papier. Auch wenn eine solche Ausstellung viele Besucher anzog, war sie künstlerisch wohl wenig überzeugend: „Dem Eingeweihten bot sie keine Überraschung, auch förderte sie kein verborgenes und heimliches Talent zu Tage. Einer schnellen Wiederholung kann trotz günstiger Aufnahme nicht das Wort geredet werden, weil Ausstellungen dieser Art in kleinem Kreise zu leicht die Maßstäbe verschieben.“[34]
Systematisch zeigte Schreiber-Weigand immer wieder auch die lokalen Künstler, so zum Beispiel 1926, als er eine Einzelpräsentation von Werken Alfred Kunzes zu seinem 60. Geburtstags einrichtet, und Otto Th. W. Stein einlud, seine in Chemnitz entstandenen Gemälde zu präsentieren. Kunze war zuvor schon häufig in Gruppenausstellungen vertreten gewesen und hatte 1925 in einer Einzelausstellung seine Aquarelle zeigen können. Immer wieder wendet sich Schreiber-Weigand der Künstlergruppe Chemnitz und besonders der Chemnitzer Künstlerin Martha Schrag zu, so 1920 anlässlich ihres 50. Geburtstags. Zehn Jahre später, 1930, erhielt sie erneut eine Einzelpräsentation, wobei Schreiber-Weigand durchaus erkennen lässt, dass eher lokale kulturpolitische Gründe ausschlaggebend für diese Ehre als die Qualität der Arbeitend.[35] Die Künstlergruppe Chemnitz (Georg Gelbke, Alfred Kunze, Bernhard Mehnert, Rudolf Pleißner, Gustav Schaffer, Martha Schrag, Heinrich Brenner, Bruno Ziegler), die zu den am meisten präsentierten Künstlern in dieser Zeit in Chemnitz gehörte, wurde etwa 1926 umfangreich mit Gemälden, Plastik und Arbeiten auf Papier gezeigt. Die kleineren Ausstellungen mit lokalen Künstlern, die heute zum Großteil in Vergessenheit geraten sind, wurden von ihm konstant von Anbeginn bis 1933 realisiert.
Neue Sachlichkeit und vergleichbare Strömungen
Zu den vielleicht heute berühmtesten Gruppenausstellungen gehört die Übernahme der von Gustav Hartlaub zusammengestellten, epochemachenden Ausstellung zur Neuen Sachlichkeit, die 1925–1926 in leicht veränderter Form als dritte Station nach Mannheim und Dresden in Chemnitz gezeigt wurde, ohne Max Beckmann, dafür mit mehr Raum für Otto Dix, der allerdings nie mit einer Einzelausstellung in Chemnitz präsent war.[36] Anders als in Mannheim war die Ausstellung ein großer Publikumserfolg. Erstaunt stellte Schreiber-Weigand, geplagt von der Kritik an seinen Expressionismus-Ausstellungen bei Teilen der Bevölkerung, fest: „In dieser Schau, die einen Ausschnitt aus der deutschen Malerei seit dem Expressionismus geben wollte, erlebte man hier wie auch in Dresden und Mannheim das Merkwürdige, daß zum ersten Male in den letzten 75 Jahren der Kunstgeschichte ein neues Kunstwollen den Beifall des Publikums fand, während es bisher stets dem Kunstneuen oppositionell gegenüber gestanden hat. […] Die Ausstellung war die besuchteste im Jahr 1925.“[37]
1928 wurden zwei Gruppenausstellungen mit junger zeitgenössischer Kunst zusammengestellt, zum einen eine Themenausstellung zum Problem der Bildnisgestaltung in der jungen Kunst mit Gemälden der nachexpressionistischen, neusachlichen Künstlern, zum anderen eine mit dem Leipziger Kunstverein gemeinsam organisierte Ausstellung zur Künstlern der Gruppe Novecento Italiano, mit Arbeiten von italienischen Künstlern des Magischen Realismus, Carlo Carrá, Giorgio de Chirico, Ubaldo Oppi und anderen – eine der wenigen international ausgerichteten Ausstellungen in Chemnitz. Im Anschluss diese Präsentation der stilistisch vergleichbaren Künstler des italienischen Magischen Realismus erhielt 1928 Franz Radziwill als Künstler der nachexpressionistischen jüngeren Generation ebenfalls eine umfangreiche Ausstellung, aus der heraus die Kunstsammlung zwei Aquarelle erwarb.[38] Ebenfalls wie Radziwill dem konservativen Spektrum der Neuen Sachlichkeit zugerechnet wird der unter dem Einfluss von Otto Dix in Dresden arbeitenden Willy Kriegel, die schließlich 1930 ausgestellt wurden. (Kriegel feiert nach 1933 als NSDAP-Mitglied große Erfolge.) 1931 folgte die Ausstellung eines wichtigen lokalen neusachlichen Künstlers, Gustav Schaffer, mit 135 Werken und wurde anschließend im Kunstverein Gera gezeigt.
Grafisches Kabinett
Neben diesem thematischen Überblick über die Gruppen- und Einzelausstellungen mit vornehmlich Malerei, aber auch Arbeiten aus Papier soll im Folgenden ein besonderer Blick auf das Grafische Kabinett geworfen werden, denn aus dem am 1.11.1923 gegründeten Grafischen Kabinett wurden immer wieder wichtige Ausstellungen gezeigt, die eine große Aufmerksamkeit erhielten. So heißt es in der Deutschen Allgemeine Zeitung in einem Bericht über Chemnitz 1927, Schreiber-Weigand habe „ein graphisches Kabinett geschaffen, das nach Form und Inhalt vorbildlich ist“.[39] Regelmäßig wurden in den folgenden Jahren die Neuerwerbungen des Grafikkabinetts präsentiert, zumeist als Gruppenausstellung wie im Mai und im September 1925 (dort unter anderem Max Liebermann, Adolph Menzel, Edvard Munch und Henri de Toulouse-Lautrec) oder auch in Einzelpräsentation wie im August 1925 mit Blättern von Lovis Corinth. 1924 widmete sich Schreiber-Weigand der Deutschen Graphik der Gegenwart unter anderem mit Blättern von Max Beckmann, Lovis Corinth, Otto Dix, Lyonel Feininger, George Grosz, Karl Hofer, Oskar Kokoschka, Käthe Kollwitz, Max Liebermann, Max Slevogt, den ehemaligen Künstlern der Brücke und den Bildhauern Jussuf Abbo, Ernst Barlach, Wilhelm Lehmbruck und anderen, insgesamt 74 unterschiedliche künstlerische Positionen. Unmittelbar darauf folgte eine zweite Ausstellung mit den Neuerwerbungen der grafischen Sammlung mit vergleichbaren Positionen, wobei allerdings die Spannweite etwas größer gefasst war und auch wichtige Künstler wie Edvard Munch, Max Klinger oder Maurice de Vlaminck zu finden sind. Unter den wichtigen Ausstellungen im Bereich der Grafik sind daneben auch die 1926 der Lithografien von Honoré Daumier, Paul Gavarni, Alfred Kubin und Max Slevogt zu nennen oder die von Paul Klee im gleichen Jahr, 1928 von Olaf Gulbransson, 1929 eine wichtige Ausstellung mit Zeichnungen und Aquarellen von George Grosz, einer „Gipfelleistung“, wie Schreiber-Weigand stolz im Ausstellungsbericht 1929 schreibt.[40]
Fotografie
Eine Ausnahme in dem stark auf Malerei, Plastik und Arbeiten auf Papier fokussierten Ausstellungsprogramm bildete eine Ausstellung mit 100 Fotografien von Albert Renger-Patzsch 1929, begleitet von eher Fotografien des in England lebenden Emil Otto Hoppé. Während mit Renger-Patzsch einer der herausragenden Vertreter der neusachlichen Fotografie umfassend zu sehen war, stand ihm mit Hoppé ein künstlerisch nachgeordneter Vertreter der piktoralistischen Portraitfotografie zur Seite. Das Feld der Fotografie blieb aber für Schreiber-Weigand ein Gebiet, „das wohl neben der Kunst liegt“, was in der Zeit eine gängige Einschätzung war. Zwar wurde aus der Ausstellung von Renger-Patzsch nichts für die Sammlung angekauft, aber es folgte 1930 der Auftrag des Museums an den Fotografen, die 1926 erworbene Plastik Das Grauen von Ernst Barlach (1923) zu fotografieren.
Bildhauerei
Plastiken spielten von Anbeginn der Städtischen Kunstsammlung zwar eine quantitativ nachgeordnete, aber wichtige Rolle. Schreiber-Weigand versuchte auch auf dem Gebiet der Plastik, zum einen aus den Ausstellungen heraus den Bestand mit Gegenwartskunst zu erweitern und zugleich die Arbeiten der jüngeren Künstler in den Kontext der älteren Entwicklungen zu stellen. Da Plastiken schwieriger zu transportieren sind, wurden sie zumeist in kleinerer Zahl zusammen mit anderen Gattungen ausgestellt. Wichtige Bildhauer der Zeit wie Wilhelm Lehmbruck, Hermann Haller oder Renée Sintenis waren nur in Gruppenausstellungen vertreten. Immer wieder aber gab es auch Einzelausstellungen. 1920 fand eine Georg Kolbe-Ausstellung statt, 1920 bzw. 1923 fanden zwei bedeutende Köpfe von Wilhelm Lehmbruck Eingang in die Kunstsammlung.[41] 1923 erhielt etwa der Berliner Bildhauer Jussuf Abbo eine Einzelpräsentation.[42] 1926 wurde die Sammlung eines der wichtigsten Kunsthändler der Moderne, Alfred Flechtheim, mit dem der Direktor freilich ebenfalls in geschäftlicher Verbindung stand. Gegenstand der Ausstellung war eine von Flechtheim organisierte Präsentation von Südsee-Plastiken als dritte Station nach der Berliner Galerie Flechtheims und dem Kunsthaus Zürich.[43] 1927 wurde dem Münchener Bildhauer Alexander Fischer eine Ausstellung eingerichtet; 1929 wurden zwei europäische Bildhauer unterschiedlicher Generationen gezeigt, Georg Minne und Moissey Kogan, neben dem weniger bekannten Pariser Maler Henri Le Fauconnier. Diesen internationalen Positionen setzte er wiederum die ihm wichtigen mit regionalem Bezug an die Seite: den aus Chemnitz stammenden Bildhauer Richard Scheibe, der zuvor nur an Gruppenausstellungen beteiligt war.
Das Jahr 1930 wurde unter anderem geprägt durch zwei Ausstellungen: zum einen die Jubiläumsausstellung zum 10-jährigen Bestehen der Städtischen Kunstsammlung, die auf alle Ausstellungsräume des Museums verteilt die wichtigsten Erwerbungen in diesem Zeitraum zeigte, und zum anderen eine monografische Ausstellung mit 53 Plastiken des expressiven Bildhauers und Professors an der Burg Giebichenstein Gerhard Marcks, der vor dem Ersten Weltkrieg mit Richard Scheibe ein Atelier geteilt hatte. Die Marcks-Ausstellung wurde eröffnet durch den Direktor der Staatlichen Skulpturensammlung Dresden Bruno Schröder und begleitet von einer kleinere Präsentation aus dem Nachlass des 1930 junge verstorbenen Freundes von Marcks und Bauhaus-Schülers Johannes Driesch.
Die letzten Ausstellungsjahre 1931 bis 1933
Abschließend soll ein Blick auf die letzten Jahre des in den 1920er Jahren erfolgreichen ersten Museumsdirektors geworfen werden, dessen Handlungsmöglichkeiten sich nach der Weltwirtschaftskrise und Angriffen von rechtsextremer Seite zunehmend schwieriger gestalteten. Die Bemühungen Schreiber-Weigands um Einbindung in die deutschen Museumsnetzwerke hatten Frucht getragen. Nach der Aufnahme in den DMB 1927 wird er auch als als Mitarbeiter an der von Ludwig Justi seit 1930 herausgegebenen Zeitschrift Museum der Gegenwart geführt. Wie der Titel verrät, wurde die Zeitschrift gezielt mit der Programmatik der Gegenwartskunst gegründet, um, anders als etwa Fachzeitschriften wie die Museumskunde des DMB, den seit dem frühen 20. Jahrhundert für das Museumswesen akute Diskussion um Museen für Gegenwartskunst ein Sprachrohr zu geben. Gegenwartskunst hieß in den Museumskreisen der 1920er Jahre vor allem der inzwischen ein wenig in die Jahre gekommene Expressionismus, der eine besondere Aufmerksamkeit in der Zeitschrift, aber auch in der Museumspolitik einiger Direktoren der Zeit erhielt,[44] sehr viel seltener die abstrakte Kunst, der Futurismus, Dada oder andere Strömungen der Avantgarde.
In Chemnitz sind nach der großen Heckel-Ausstellung von 1931 die letzten zwei Jahre bis 1933 auch aufgrund gravierender wirtschaftlicher Schwierigkeiten eher als eine Zeit des Rückzugs von den ambitionierten Ausstellungen der vorhergehenden Dekade zu bezeichnen. Zugleich zeigt der Direktor nach den Angriffen gegen die französisch inspirierte Kunst von Oskar und Marg Moll eine zögerliche, ambivalente Haltung gegenüber den zunehmenden rechtsnationalen Positionen. Die Ausstellung des Ehepaars Oskar und Marg Moll, die im Umkreis zuerst von Lovis Corinth und dann von Henri Matisse zu ihrer künstlerischen Sprache hin zu abstrahierenden Formen fanden, ist die vielleicht letzte größere Präsentation von wichtigen auch international wahrgenommenen Positionen in der Kunsthütte zu Chemnitz. Hervorzuheben ist diese Ausstellung neben dem Brückenschlag zur abstrahierenden Malerei der Fauves in Frankreich auch deswegen, weil die seit den frühen 1920er Jahren bereits geäußerten Kritiken an Schreiber-Weigands Ausstellungen und Erwerbungen von rechtsnationalistischer Seite deutlich öffentlich äußerten: Der nationalsozialistische Kampfbund für deutsche Kultur äußerte sich in einem „Protest des deutschen Kulturwillens“ gegen die Werke der Molls als einer nicht-deutschen Kunst und sehen in ihrer angeblichen Zügel- und Regellosigkeit die Problematik unserer Zeit, woraufhin Schreiber-Weigand in seinem Ausstellungbericht erwidert: „Problematik ist unumgänglich und gehört zum sozialen und geistigen Gesundungsprozeß der Menschheit.“[45] Zwei Jahre vor seiner erzwungenen Pensionierung durch die Nationalsozialisten bezieht hier Schreiber-Weigand in dem unpublizierten Bericht Stellung für die internationalen Positionen zeitgenössischer Kunst, ohne dass diese freilich Eingang in die Presse gefunden hätte. Zugleich scheint er sich dem Druck zu beugen, wenn er im Rahmen der Ausstellung mit Aquarellen des ungarischen Künstlers E. Farkas im selben Jahr einräumt, „daß ausländische Kunst selten und nur zufällig bei uns zu sehen ist, ist selbstverständlich, verbietet sich auch heute in Rücksicht auf die deutschen Künstler.“[46]
Bereits im Ausstellungsbericht von 1921 sah sich Schreiber-Weigand in der Pflicht, sich gegen Vorwürfe zu wehren, er „befürworte den Expressionismus, wobei in das Wort alles hineingepackt wird, was von dem Landläufigen und Herkömmlichen abweicht, genau in derselben Weise, wie es noch vor 12 Jahren in Chemnitz mit dem Impressionismus geschah“.[47] 1922 hat Johannes Rentsch im Chemnitzer Kalender eine Ambivalenz zwischen Notwendigkeit zur Zeitgenossenschaft und konservativer Grundhaltung in der Stadt festgestellt. Er leitet seine „Betrachtungen zu den Chemnitzer Ausstellungen“ ein mit den Worten: „Als Kunststadt ohne eine Tradition kann Chemnitz nichts anderes tun, als möglichst weit der neuen Kunst entgegenzukommen, selbst wenn die überwiegende Zahl unserer Mitbürger – von den älteren ist das selbstverständlich – ihr nur kühl gegenüberstehen kann oder sie sogar ablehnt. Der Expressionismus ist nun einmal der spezifische Ausdruck unserer doch chaotischen Zeit, der Durchbruch der inneren Welt, deren Kommen der Künstler wittert.“[48] Wie dann auch Hildebrand Gurlitt in Zwickau sah sich auch Schreiber-Weigand Angriffen ob seines Engagements für den Expressionismus ausgesetzt, in einer Leserzuschrift im Chemnitzer Tageblatt vom 23.12.1923 prominent positioniert durch seinen Vorgänger als Ausstellungsleiter der Kunsthütte, dem Arzt und späteren Mitglied des nationalsozialistischen Kampfbunds für deutsche Kultur Alfred Streubel.
Und so zeigt sich im Jahr 1932, dass Schreiber-Weigand, der im Laufe der 1920er Jahre sich deutlich in seinen Ausstellungen zur national bedeutenden und immer wieder auch internationalen Gegenwartskunst zuwandte, sich auf Druck von rechter Seite in seiner Position unsicher fühlte und zurückhaltender wurde, sich verstärkt auch der lokalen Chemnitzer Kunst zuwandte, vielleicht auch um weiterer Kritik zu entgehen. Erneut wurde die Künstlergruppe Chemnitz ausgestellt, nun in einer Jubiläumsausstellung, worauf eine Aquarell-Ausstellung für Chemnitzer Künstler folgte. Aber auch die Ausstellung Der deutsche Norden mit Werken der „drei erdverbundenen deutschen Künstler“ Ernst Barlach, Emil Nolde und Christian Rohlfs, mit einer Einführung durch den Hallenser Museumsdirektor Alois Schardt, zeigt eine Veränderung der sprachlichen und inhaltlichen Setzungen mit der Deutung dieser drei Künstler als nordisch-erdverbundene Künstler. Obwohl die drei später als ‚entartet‘ galten, war die Rolle des Expressionismus im Nationalsozialismus anfangs unklar und galt die Sympathie von Künstlern wie Emil Nolde anfangs durchaus dem neuen Regime.[49] Diese Äußerungen Schreiber-Weigands zeigen die Nöte der Kulturschaffenden der Zeit, das kommende Regime richtig einzuschätzen und eine klare Haltung dazu zu finden.
Es bleibt der Spekulation überlassen, wie sich Schreiber-Weigand als Direktor hinsichtlich der Angriffe von rechtsextremen und nationalistischen Kreisen im NS-Staat weiter verhalten hätte, wäre er nicht 1933 seiner Aufgaben durch Pensionierung enthoben worden. Schreiber-Weigands Versuch einer Annäherung zeigt, wie anfällig vorgeblich politisch neutrale Amtsträger in Deutschland waren und wie schnell sie nach 1933 die Seiten wechseln konnten, auch solche, wie etwa Max Sauerlandt oder der Freiburger Museumsdirektor und Geschäftsführer des DMB Werner Noack, die sich zuvor vehement gegen die NSDAP ausgesprochen hatten.[50]
Fazit
Schwerpunkte der Sammlungspräsentation mit der Galerie der Lebenden und der Sonderausstellungen von Friedrich Schreiber-Weigand, aber auch seiner Netzwerke legen nahe, dass der Chemnitzer Direktor von Anfang an bemüht war, die städtischen Kunstsammlungen als Museum der Gegenwart aufzubauen und dieses in das Geflecht der wichtigsten deutschen Museen zu verorten. Rückgrat seiner Ausstellungspolitik lag dabei, auch aufgrund der biografischen Verbindungen der Künstler Schmidt-Rottluff, Heckel und Kirchner zu Chemnitz und ihren Verbindungen zum Direktor, auf den Expressionisten der Brücke, aber auch vereinzelt auf den dann folgenden neusachlichen Tendenzen. Damit war Schreiber-Weigand in guter Gesellschaft mit vielen deutscher Museumsdirektoren und keineswegs eine Ausnahme. Konstruktive oder abstrakte Tendenzen der 1920er Jahre, wie sie in der Region vereinzelt in Dresden oder dann vor allem auch in Hannover mit Alexander Dorners Wirken mit El Lissitzky und dem Raum der Abstrakten wichtige Spuren hinterließ,[51] sind in der Ausstellungs- und Erwerbungspolitik der Kunstsammlung Chemnitz eine Ausnahme. Nur vereinzelt zeigt Schreiber-Weigand solche Positionen wie etwa die Ausstellungen mit Paul Klee oder Wassily Kandinsky, vielleicht wäre auch Lyonel Feininger zu nennen. Ansätze von Dada oder des Futurismus sind nicht zu finden und wären wohl beim Chemnitzer Publikum auch nicht ansatzweise auf Akzeptanz gestoßen. Auch bezog er eher wenig internationale Entwicklungen mit wichtigen Ausnahmen wie Edvard Munch mit ein, was aber angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Situation in den 1920er und frühen 1930er Jahren nicht Wunder nimmt. Schreiber-Weigands Fokus war auch nicht auf neueren Medien wie der Fotografie oder den Film gerichtet, die Renger-Patzsch-Ausstellung und der begleitenden Vortrag von László Moholy-Nagy zu Film und Fotografie der Zukunft 1929 waren eine Ausnahme.[52]
Die zeitgenössisch ausgerichtete Ausstellungs- und Erwerbungspolitik Schreiber-Weigands, die aber durchaus auch die ältere Kunst im Auge behielt und bei Künstlern, Kollegen und auch bei einem – wohl eher kleineren – Teil von Publikum und Politik auf Anerkennung stieß, war durch seine Tätigkeit beim Vereins Kunsthütte Chemnitz zwar vorbereitet gewesen, wurde von ihm aber gezielt und in kürzester Zeit mit großen Renommee durch ein gutes Netzwerk aufgebaut. Seine Arbeit erhielt durch die Institutionalisierung des Museums eine höhere Professionalisierung und größere Reichweite. So schrieb 1927 Paul Fechter, der 1914 die erste Monografie über den Expressionismus vorgelegt hatte, in der Deutschen Allgemeinen Zeitung: „In Chemnitz entsteht heute dank Schreiber-Weigand ein Museum, das durch seinen Inhalt wie durch seine Ausstellungen in vielem vorbildlich selbst für große Zentralinstitute sein kann.“[53] Bei den Chemnitzerinnen und Chemnitzer selbst stieß diese Ausrichtung, auf die die Stadt Chemnitz heute voller Stolz zurückschaut, eher auf Zurückhaltung.
Nach nur 13 Jahren erfuhr die Ausrichtung des Museums auf die Gegenwartskunst ein jähes Ende, da Schreiber-Weigand wie viele seiner Kollegen 1933 durch die neuen nationalsozialistischen Machthaber im Zusammenspiel mit kunstfeindlichen, reaktionären Kräften und Konkurrenten zwangsweise pensioniert und die kurze Blütezeit der (expressionistischen) deutschen Moderne in Chemnitz beendet wurde.
Frédéric Bußmann
Dieser Text ist die ungekürzte Fassung eines Aufsatzes im Jubiläums-Band 100 Jahre Kunstsammlungen Chemnitz, Leipzig 2020.
Archivalien
Ausstellungsbericht Kunsthütte
Kunsthütte zu Chemnitz, Ausstellungsberichte, Karton Vorstandsakten, Archiv der Kunstsammlungen Chemnitz.
Jahresbericht Kunsthütte
Kunsthütte zu Chemnitz, Jahresberichte, Karton Vorstandsakten, Archiv Kunstsammlungen Chemnitz.
Literatur
Ausst.-Kat. Abbo 2019–2020
Jussuf Abbo, Berlin, Kunsthaus Dahlem 8.11.2019–20.1.2020, hrsg. von Dorothea Schöne, Köln: Wienand 2019.
Ausst.-Kat. Berlin/München 1996
Manet bis van Gogh. Hugo von Tschudi und der Kampf um die Moderne, Ausst.-Kat. Berlin, Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin 20.9.1996–16.1.1997, München, Neue Pinakothek, Bayerische Staatsgemäldesammlungen 24.1.–11.5.1997, hrsg. von Johann Georg von Hohenzollern, München, New York: Prestel 1996.
Ausst.-Kat. Berlin 2019
Flucht in die Bilder? Die Künstler der Brücke im Nationalsozialismus, Ausst.-Kat. Berlin, Brücke-Museum 14.04.2019-11.08.2019, hrsg. von Meike Hoffmann, Lisa Marei Schmidt, Aya Soika, München: Hirmer 2019.
Ausst.-Kat. Dix 2011–2012
Otto Dix in Chemnitz, Ausst.-Kat. Kunstsammlungen Chemnitz – Museum Gunzenhauser 13.11.2011–15.4.2012, hrsg. von Ingrid Mössinger und Thomas Bauer-Friedrich, München: Hirmer 2011.
Ausst.-Kat. Dresden 2019
Zukunftsräume. Kandinsky, Mondrian, Lissitzky und die abstrakt-konstruktive Avantgarde in Dresden 1919 bis 1932, Ausst.-Kat. Dresden, Albertinum, Staatliche Kunstsammlungen Dresden 2.3.–2.6.2019, hrsg. von Birgit Dalbajewa u.a., Dresden: Sandstein 2019.
Ausst.-Kat. Kirchner 2007
Ernst Ludwig Kirchner. Die Deutschlandreise 1925/1928, Ausst.-Kat. Kunstsammlungen Chemnitz 13.5.–5.8.2007, hrsg. von Ingrid Mössinger und Beate Ritter, Köln: Wienand Verlag 2007.
Ausst.-Kat. Munch 1999–2000
Edvard Munch und Chemnitz, Ausst.- Kat. Kunstsammlungen Chemnitz 14.11.1999–20.2.2000, hrsg. von Ingrid Mössinger, Beate Ritter, Kerstin Drechsel, Köln: Wienand 1999.
Ausst.-Kat. Nolde 2019
Emil Nolde – eine deutsche Legende. Der Künstler im Nationalsozialismus, Ausst.-Kat. Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart, Staatliche Museen zu Berlin, 12.4.–15.9.2019, hrsg. von Bernhard Fulda, Christian Ring, Aya Soika für die Nationalgalerie der Staatlichen Museen zu Berlin und die Nolde Stiftung Seebüll, 2 Bde., München, London, New York: Prestel 2019.
Baumann 2016
Jana Baumann, Museum als Avantgarde. Museen moderner Kunst in Deutschland 1918–1933, Berlin: Deutscher Kunstverlag 2016.
Göpel 1931
Erhard Göpel, „Erich Heckel-Ausstellung in Chemnitz“, in Kunst und Künstler 29 (1931), S. 359.
Joachimides 2001
Alexis Joachimides, Die Museumsreformbewegung in Deutschland und die Entstehung des modernen Museums 1880–1940, Dresden: Verlag der Kunst 2001.
Justi 1930
Ludwig Justi, o.T., in Museum der Gegenwart. Zeitschrift der deutschen Museen für neuere Kunst 1/1930, S. 1–3.
Klonk 2009
Charlotte Klonk, Spaces of experience: art gallery interiors from 1800 to 2000, New Haven, Conn., London: Yale University Press 2009.
Lichtwark 1904
Alfred Lichtwark, „Museen als Bildungsstätten“, in Die Museen als Volksbildungsstätten. Ergebnisse der 12. Konferenz der Centralstelle für Arbeiter-Wohlfahrtseinrichtungen 1903, Berlin 1904, S. 6–12.
Pauli 1919
Gustav Pauli, „Das Kunstmuseum der Zukunft“, in Das Kunstmuseum und das deutsche Volk, hrsg. von dems. und Karl Koetschau für den Deutschen Museumsbund, München: Kurt Wolff Verlag 1919, S. 3–44
Rentsch 1922
Johannes Rentsch, „Betrachtungen zu den Chemnitzer Ausstellungen“, in Chemnitzer Kalender 1922, S. 121.
Saehrendt 2005
„Die Brücke“ zwischen Staatskunst und Verfemung. Expressionistische Kunst als Politikum in der Weimarer Republik, im „Dritten Reich“ und im Kalten Krieg, Stuttgart: Steiner 2005.
Schreiber-Weigand 1950
Friedrich Schreiber-Weigand, „Zur Geschichte der Städtischen Kunstsammlung“, in ders., 30 Jahre Städtische Kunstsammlung Chemnitz. 1920–1950, Chemnitz 1950, S. 3–5.
Winkler 2002
Kurt Winkler, Museum und Avantgarde. Ludwig Justis Zeitschrift ‚Museum der Gegenwart‘ und die Musealisierung des Expressionismus, Opladen: Leske + Budrich 2002 (= Berliner Schriften zur Museumskunde, Bd. 17).
Anmerkungen
[1] Siehe Joachimides 2001. Als erstes Museum für Gegenwartskunst in Europa gilt das Musée des artistes vivants im Pariser Palais du Luxembourg, 1818 gegründet, ab 1887 in der Orangerie. Es existierte bis 1937, gilt aber nicht als ein der Moderne (des späten 19. und 20. Jahrhunderts) zugewandtes Museum.
[2] Siehe zu Tschudis Wirken in Berlin und München u.a. Ausst.-Kat. Berlin/München 1996. Neben Tschudi war Alfred Lichtwark wohl der entscheidende Museumsmann des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, der sich vor allem um das Museum als Ort der Volksbildung und Demokratie verdient gemacht hat.
[3] Mitgliederliste des Deutschen Museumsbundes, 1.11.1930, Archiv des Deutschen Museumsbundes, Zentralarchiv der Staatlichen Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, III/DMB 217.
[4] Protokoll der Sitzung des 11. und 12. Oktober 1927, in ebd., III/DMB 249-Teil 02.
[5] Pauli 1919, S. 3; siehe Baumann 2016, S. 18. Der Reichskunstwart Edwin Redslob führt in derselben Publikation seine Gedanken zu „Zeitgenössische Kunst in öffentlichen Sammlungen“ aus und unterstreicht damit die Virulenz des Themas.
[6] Protokoll der Tagung in Essen, 14. und 15. September 1930, in Archiv des Deutschen Museumsbundes, Zentralarchiv der Staatlichen Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, III/DMB 217.
[7] Siehe die Korrespondenz und Gästebücher im Archiv der Kunstsammlungen Chemnitz. Gelistet werden zwischen 1919 und 1933 neben einer Vielzahl von Künstlern auch eine Reihe von Kunsthistorikern, Kritikern und Museumsleuten, wie zum Beispiel Walter Cohen, Adolph Donath, Alexander Dorner, Paul Fechter, Alfred Flechtheim, Max Friedländer, Gustav Friedrich Hartlaub, Curt Glaser, Erhard Göpel, Ernst Gosebruch, Will Grohmann, Ludwig Grote, Cornelius Gurlitt, Hildebrand Gurlitt, Alfred Hentzen, Ludwig Justi, Wilhelm Pinder, Hans Posse, Fritz Saxl, Rosa Schapire, Alois Schardt, Karl Scheffler, Werner Teupser, Ludwig Thormaehlen, Hans Tietze, Emil Waldmann, Paul Westheim, Erich Wiese, Wilhelm Worringer oder Kurt Zoege von Manteuffel.
[8] Lichtwark 1904, S. 6.
[9] Schreiber-Weigand 1950, S. 3.
[10] Siehe Saehrendt 2005, S. 14.
[11] Ausstellungsbericht Kunsthütte 1924, Bl. IV.
[12] Jahresbericht Kunsthütte 1926, Bl. 1.
[13] Jahresbericht Kunsthütte 1921, Bl. 3.
[14] Siehe die Aufsätze von Brigitta Milde und Sabine Maria Schmidt in der vorliegenden Publikation. Zu Fragen der Entwicklung unterschiedlicher Präsentationsformen des modernen Museums unter besonderer Berücksichtigung von Wahrnehmungstheorien im 19. und 20. Jahrhundert siehe Klonk 2009.
[15] „Chemnitz ist von jeher ein ausstellungsarmer Platz gewesen“, beklagt sich Schreiber-Weigand als Vorstand der Kunsthütte gegenüber der Stadt, „Kunstausstellungen sind bisher von der Museumsverwaltung oder Städtischen Kunstsammlung nie veranstaltet worden, sondern diesen Zweig der öffentlichen Kunstpflege hat die Kunsthütte von jeher übernommen, sie hat Ausstellungen veranstaltet, die in Deutschland Aufsehen erregt und bewiesen haben, daß hier in Chemnitz und im Chemnitzer Kreis die bildende Kunst eine dauernde Heimstätte gefunden hat.“ (Schreiben des Vorstands der Kunsthütte Chemnitz an den Rat und die Stadtverordneten der Stadt Chemnitz, betr. Haushaltsplan 1925, unpag., hier Bl. 4–5.)
[16] Schreiben des Vorstands der Kunsthütte Chemnitz an den Rat und die Stadtverordneten der Stadt Chemnitz, betr. Haushaltsplan 1925, in Karton Vorstandsakten, Archiv der Kunstsammlungen Chemnitz, unpag., hier Bl. 4.
[17] „[…] so der Nestor der deutschen Kunstwissenschaft Geheimer Rat Professor Dr. Goldschmidt, Berlin, Professor Dr. Glaser, Berlin, Universitätsprofessor Dr. Pinder, Leipzig, Reichskunstwart Dr. Redslob, Galeriedirektor Dr. Posse, Direktor Dr. von Manteuffel, Landeskonservator Dr. Bachmann, Geheimrat Professor Dr. Gurlitt, Professor Dr. Bruck, Dresden, Dr. Opitz, Prag und andere.“ (Ausstellungsbericht Kunsthütte 1920–1924, Bl. 3.)
[18] Die Ausstellungsberichte der Kunsthütte geben sporadisch Einblick in die Besucherzahlen: Max Klinger-Ausstellung 1917: 7000 Besucher, Künstlerbund 1920: 14.000; Schmidt-Rottluff 1921: 5300, im gesamten Jahr 1921: 44.932; 1922: 38.143. 1924 stellt Schreiber-Weigand eine „allgemein geltend machende Kunstmüdigkeit“ fest, „eine Erscheinung, unter der heute alle Kulturveranstaltungen mehr oder minder zu leiden haben“ (Ausstellungsbericht Kunsthütte 1924, Bl. V.). Immer wieder wird Schreiber-Weigand in seinen Ausstellungsberichten beklagen, dass die Besucher sich von der Kunst entfremden. Die Ausstellungen des Jahres 1926 etwa, so der Museumsdirektor, „litten doch auch unter der Kunstentfremdung unserer Tage, die gekennzeichnet sind durch eine geistige Ermüdung und Ermattung und bewegt werden durch Sport, Kino, Radio und Vergnügen. Solche Zeiten kommen und gehen.“ (Ausstellungsbericht Kunsthütte 1926, Bl. IV–V.)
[19] Ausstellungsbericht 1914–1919, S. 6.
[20] Siehe Ausstellungsbericht Kunsthütte 1914–1919, Bl. 5.
[21] Jahresbericht Kunsthütte 1920–1924, Bl. VIII.
[22] Darunter waren beispielsweise Karl Albiker, Charlotte Berend, Peter-August Böckstiegel, Lovis Corinth, die Chemnitzerinnen Rose Friedrich und Helene Funke, Theodor Hagen, Dora Hitz, Karl Hofer, Ludwig von Hofmann, Alexej von Jawlensky, Alexander Kanoldt, Oskar Kokoschka, Georg Kolbe, Max Liebermann, Oskar Moll, Otto Modersohn, Paula Modersohn-Becker, Max Pechstein, Christian Rohlfs, Karl Schmidt-Rottluff oder Wilhelm Trübner.
[23] Schreiben des Vorstands der Kunsthütte Chemnitz an den Rat und die Stadtverordneten der Stadt Chemnitz, betr. Haushaltsplan 1925, in Karton Vorstandsakten, Archiv der Kunstsammlungen Chemnitz, unpag., hier Bl. 5.
[24] Ausstellungsbericht Kunsthütte 1927, Bl. I. Wichtige Fachkollegen besuchten die Ausstellung, wie Fritz Saxl, dem Direktor der Warburg Bibliothek in Hamburg, Gustav Pauli, Direktor der Hamburger Kunsthalle, Kurt Zoege von Manteuffel vom Dresdener Kupferstichkabinett, Kollegen aus Amsterdam und Stockholm (Hans-Gösta Törnell) und andere kamen nach Chemnitz, um die Gemälde vor Ort zu studieren. Die einschlägigen Kunstzeitschriften publizieren Rezensionen.
[25] Siehe Ausst.-Kat. Munch 1999–2000, u.a. S. 197–225.
[26] Ausstellungsbericht Kunsthütte 1929, Bl. 1. Eröffnet wurde die Ausstellung mit einer Rede des Munch-Biografen und Direktors des Berliner Kupferstichkabinetts Curt Glaser und großem öffentlichen Interesse, mit Vertretern der Politik, Honoratioren und Museumskollegen und „400 Mitgliedern der Kunsthütte“.
[27] Schreiber-Weigand zitiert in seinem Ausstellungsbericht für das Jahr 1929 einen längeren Dankesbrief von Edvard Munch an ihn nach der Eröffnung seiner Ausstellung, in dem Munch ihm höflich schreibt, dass er die sie „besonders gern gesehen“ hätte, da „die Ausstellung besonders gut die Entwicklung meiner Kunst gezeigt hat, und ich werde Ähnliches wohl nicht mehr sehen können“. (Ausstellungsbericht Kunsthütte 1929, Bl. 3.)
[28] Ausstellungsbericht Kunsthütte 1921, Bl. 2.
[29] Ausstellungsbericht Kunsthütte 1930, Bl. III.
[30] Ausstellungsbericht Kunsthütte 1931, Bl. I.
[31] „Der Maler selbst hat die Bilder gewählt und virtuos gehängt, wobei ihm die starkfarbigen Gründe der Kunsthalle, die in ‚Brücke‘-Farben gestrichen sind, zu Hilfe kamen.“ (Göpel 1931, S. 359.)
[32] Ausstellungsbericht Kunsthütte 1931, Bl. I.
[33] Kirchner war in Gruppenausstellungen 1924 und 1925 vertreten, war 1926 auch für drei Wochen in Chemnitz gewesen, wo er unter anderem ein Gemälde restauriert hat, aber zu einer Einzelausstellung des in der Schweiz lebenden Künstlers ist es schließlich nicht gekommen, was neben der persönlichen Beziehung auch mit künstlerischen Divergenzen zu tun haben kann (siehe den Aufsatz von Beate Ritter zu Kirchner in Chemnitz im Ausst.-Kat. Kirchner 2007, S. 120–139).
[34] Ausstellungsbericht Kunsthütte 1927, Bl. V.
[35] So schreibt er im Ausstellungsbericht 1930, durchaus auch auf die Widerstände eingehend, die sie als Frau in ihren Umfeld erfuhr: „Hinter dieser [Ausstellung] stand die tiefe Tragik eines künstlerisch schaffenden Menschen, der gegen Familie, Umgebung, Allgemeinheit sich um seines Ichs willen durchkämpfen und durchsetzen muß. Und die Künstlerin ist diesen Leidensweg tapfer gegangen, nie sich untreu geworden, immer ‚strebend bemüht‘ innerhalb der Grenzen ihres Talents um den letzten Ausdruck, die letzte Gestaltung.“ (Ausstellungsbericht Kunsthütte 1930, Bl. II).
[36] 1951 versucht es Schreiber-Weigand ein letztes Mal, Dix für eine Einzelpräsentation zu gewinnen, erfolglos; siehe Ausst.-Kat. Dix 2011–2012, u.a. S. 175–190.
[37] Ausstellungsbericht Kunsthütte 1925, Bl. III.
[38] Franz Radziwill, Aus der Sächsischen Schweiz, 1927, Z 216, und Blick auf die Dreikönigskirche in Dresden, 1927, Z 217.
[39] Schreiber-Weigand habe „eine ausgezeichnete moderne Abteilung [aufgebaut], hat ein graphisches Kabinett geschaffen, das nach Form und Inhalt vorbildlich ist, hat neue und ältere Werke angekauft und dabei doch den lokalen, örtlichen Charakter sehr geschickt bewahrt, was ihm umso leichter war, als die Generation der ‚Brücke‘ fast durchweg aus Sachsen bestand.“ (Deutsche Allgemeine Zeitung, 16.6.1927, unpag. (S. 2).)
[40] Ausstellungsbericht Kunsthütte 1929, Archiv der Kunstsammlungen Chemnitz, Bl. 4.
[41] Wilhelm Lehmbruck, Büste der Knienden, 1912–1914, und Kopf eines Denkers, 1918. Aus der Kolbe-Ausstellung heraus kaufte der Direktor zum Beispiel den Tänzer (1913/1919). 1926 hatte er von Paul Cassirer Ernst Barlachs bedeutende Skulptur Das Grauen (1923; 1937 als ‚entartet‘ beschlagnahmt, heute im Museum Folkwang, Essen) erworben, 1930 das Relief Die Grablegung (1906). Von Gerhard Marcks erwarb der Direktor aus seiner Ausstellung heraus die Bronze Rebekka aus demselben Jahr (und die ebenso wie die Barlach-Plastik Das Grauen 1937 als entartet beschlagnahmt wurde). Zu den Erwerbungen Schreiber-Weigands siehe den Aufsatz von Brigitte Milde in diesem Band.
[42] Aus der Ausstellung wurden neben Zeichnungen und Radierungen zwei Werke angekauft, die Bronzen Weiblicher Akt (V-Pl 23) und Max J. Friedländer (V-Pl 24), die beide 1940 aus dem Bestand ausschieden, um zu Kriegsvorbereitung eingeschmolzen zu werden; siehe Katalog Ausst.-Kat. Abbo 2019–2020, S. 89–90.
[43] Schreiber-Weigand hatte auch mit anderen Kunsthandlungen engeren Kontakt, wie die Korrespondenz mit Galerien wie Neue Kunst in Düsseldorf, Alfred Flechtheim in Berlin und Düsseldorf, Israel B. Neumann, Bruno und Paul Cassirer in Berlin, Herbert Cramer und Schames in Frankfurt am Main, Kühl und Kühn, Neue Kunst Fides und Ernst Arnold in Dresden, Heinemann und Haberstock in München, Commeter in Hamburg, Gerstenberger in Chemnitz und vielen anderen mehr bezüglich Erwerbungen oder Leihgaben verrät. Auch bei Ausstellungen kooperierte immer wieder mit der wichtigsten Chemnitzer Kunsthandlung Gerstenberger, etwa 1925 anlässlich einer Gedächtnisausstellung für den 1924 verstorbenen Hans Thoma.
[44] Siehe Winkler 2002.
[45] Ausstellungsbericht Kunsthütte 1931, Bl. V. Siehe auch den Aufsatz von Anja Richter im vorliegenden Band.
[46] Ausstellungsbericht Kunsthütte 1931, Bl. VI.
[47] Ausstellungsbericht Kunsthütte 1921, Bl. 1. Siehe zu den Angriffen gegen Schreiber-Weigand Milde 2010, S. 163. Aus Angst vor Attacken rechtskonservativer Kreise bat Schreiber-Weigand vier Jahre später den Direktor der Kunsthalle Mannheim, Gustav Hartlaub, das Vorwort des Katalogs zur Ausstellung Neue Sachlichkeit zu verändern.
[48] Rentsch 1922, S. 121. Die hier noch gebrochen positive Sichtweise auf den Expressionismus, den Schreiber-Weigand favorisiert, wird von ihm mit Blick auf den Futurismus und Kubismus aber schon deutlich anders formuliert: „Und in der künstlerischen Entwicklung sehen wir in ihm das erwartete, notwendige Glied, das schon die letzten großen Naturalisten voll Sehnsucht mit visionären Augen erschaut haben. Das werden auch die Gegner immer klarer erkennen, je schneller er als ‚Richtung‘ durch kubistische und futuristische Übertreibungen, ja Perversitäten abwirtschaftet, je mehr er wertvolle fremde Einflüsse eindeutscht, andere noch abstößt.“ (Ebd.)
[49] Siehe u.a. Saehrendt 2005, Ausst.-Kat. Nolde 2019, Ausst.-Kat. Berlin 2019.
[50] Siehe die Aufsätze von Anja Richter und von Brigitte Milde (###) in diesem Band. Auf der DMB-Tagung in Mainz, 20.8.1933, in dem die noch im Amt verbliebenden Direktoren zwar kurz ihrer entlassenen und zum Teil verfolgten Kollegen gedenken, sich aber dann ganz der „Regierung der nationalen Erhebung“ und dem „Führerprinzip“ beugen, hält dann Max Sauerlandt ein Referat zum Thema „Die gegenwärtige Lage und die Aufgaben der Museen im neuen Staat“, in dem er die Museen dem neuen Staat unterwirft, Adolf Hitler und das Zeitalter einer neuen deutschen Kunst huldigt, in dem im Übrigen zu diesem Zeitpunkt die wichtigsten Akteure die Expressionisten um Nolde und die Brücke, ferner Franz Marc, Ernst Bahrlach und Christian Rohlfs sind, mit dem Ziel der „Wiederherstellung Deutschlands in seiner politischen und geistigen Weltmacht“ (ebd., #249, unpag.). Im Protokoll heißt es zur anschließenden Diskussion unter anderem: „Herr Sauerlandt ist der Überzeugung, daß eine Neuorientierung im großen notwendig ist und daß wir von der Mechanisierung zur Aktivierung kommen müssen. […] Der Museumsbeamte müsse für sich auch bei der Vermittlung von Kunstwerken die Autorität des Führers beanspruchen.“ (Archiv des Deutschen Museumsbundes, Zentralarchiv der Staatlichen Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, III/DMB 217.) Auch Werner Noack, der zuvor eine dezidierte ablehnende Haltung gezeigt hatte, zeigt sich den Protokollen der Jahrestagungen des DMB nach doch sehr konziliant gegenüber dem NS-Regime: „Die Stellung des Bundes aber […] muß davon ausgehen, daß wir Beamte des nationalsozialistischen Deutschland sind, daß es unsere Pflicht ist, uns ohne Vorbehalte hinter die nationale Regierung zu stellen. […] Jetzt gilt es, alle Kräfte einzusetzen zum Aufbau eines neuen Deutschland.“ (Protokoll der Sitzung in Mainz, 20.8.1933, in ebd., III/DMB 249.)
[51] Siehe zu Dorners Wirken im Hannoveraner Museum für Kunst und Landesgeschichte u.a. Baumann 2016, S. 86–140, bes. S. 110–134. Dem Raum der Abstrakten von El Lissitzky von 1926 folgte das nicht realisierte Projekt Raum der Gegenwart von László Moholy-Nagy. In Dresden entwarf Piet Mondrian 1926 unter anderem einen Salon für Ida Bienert, der ebenfalls unrealisiert blieb, El Lissitzky realisierte einen Raum für abstrakte Kunst auf der internationalen Kunstausstellung; siehe Ausst.-Kat. Dresden 2019.
[52] Neben den genannten Ausstellungen zu Renger-Patzsch und Hoppé 1930 findet sich lediglich eine Ausstellung von 13 fotografischen Vergrößerungen und 36 Fotografien (Ausstellungsbuch Kunstsammlungen Chemnitz, August–September 1922), von denen weder der Urheber noch das Thema überliefert ist, was dafür spricht, dass diese eher als Dokumentarfotografie denn als Kunst angesehen wurden und vermutlich in die Kategorie der ‚Lehrausstellungen‘ fällt.
[53] Deutsche Allgemeine Zeitung, 16.6.1927, unpag. (S. 2); siehe Milde 2010, S. 162; Zuschreibung an Paul Fechter ungesichert, aber wahrscheinlich, da Fechter das Museum nachweislich kannte, weil er 1926 zu einen Vortrag zu Käthe Kollwitz in Chemnitz war. Er bezieht sich auf Chemnitz und Zwickau als Museen, in denen die Direktoren „Ausgezeichnetes“ geleistet haben.