/ Mai 26, 2012/ Artikel

„Ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und das Gute schafft“, läßt Goethe Mephistopheles seinen Kampf gegen das Gute und Göttliche im Faust verkünden, „Ich bin der Geist, der stets verneint! Und das mit Recht; denn alles, was entsteht, ist wert, daß es zugrunde geht; drum besser wär’s, daß nichts entstünde. So ist denn alles, was ihr Sünde, Zerstörung, kurz das Böse nennt, mein eigentliches Element.“  1808 erschienen, mitten in den napoleonischen Kriegen nach den zerstörerischen Wirren der Revolution, interpretiert Goethe im Faust den Kampf von Gute und Böse als Kräftemessen von Zerstörung und Entstehung. Er folgt dabei dem natürlichen Prinzip der Vergänglichkeit, dem natürlichen Ende von Leben, das als Voraussetzung wiederum für die Entstehung neuen Leben angesehen wird. Ebenso, wie das von Goethe beschrieben Böse dem Guten eingeschrieben ist, ist in der Natur dem Leben der Tod immanent,  und, so möchte man analog zu natürlichen Grundsätzen weiterführen, auch dem Kunstwerk seine potentielle Zerstörung.

Zerstörung als Teil von Entstehung zu begreifen ist ein paradoxer Grundzug der europäischen Kultur und ein Prinzip der Natur. Zerstörung ist Voraussetzung dafür, Platz für Neues zu schaffen, so daß die Forderung nach Vernichtung zu einem durchgehenden Topos Gruppen, die sich gegen das Alte wenden, in der europäischen Geschichte geworden ist – etwa bei den Futuristen, die sich in bester Gesellschaft mit anderen Künstlern der Zeit befanden, die die zerstörerische Kraft des Ersten Weltkriegs bzw. seine „Stahlgewitter“, wie Jünger sagte, als Katharsis herbeisehnten. Nicht zuletzt reihen sich auch der Sozialdarwinismus oder der von den Nationalsozialisten reklamierte Lebensraum im Osten Europas und die industrielle Tötung der europäischen Juden in die Logik der ‚fruchtbaren‘ Vernichtung ein.

Die in der Kunstgeschichte belegten Zerstörungen nehmen, wenn man von natürlichen Verfallsprozessen – die selbst wiederum Teil einiger künstlerischer Arbeiten wurden, aber nicht auf die Zerstörung des Werks abzielten – absieht, unterschiedlichste Formen und Zielrichtungen an. Eine Form der Zerstörung ist als gezielter Akt des Ikonoklasmus bekannt. Spätestens seit den Religionskriegen des 16. Jahrhunderts wurde diese Art von Angriff auf öffentliche Zeichen immer wieder praktiziert, etwa in der französischen Revolution – die Gründung des Louvre als öffentliches Museum lag auch im Schutz der Kunstwerke vor ihrer Zerstörung begründet –, während der Kommune beim Sturz der Vendôme-Säule, die Courbet mitverantwortete, während des Ersten Weltkriegs etwa bei der Beschießung der Kathedrale von Reims, im Nationalsozialismus unter anderem mit der Aktion der ‚Entarteten Kunst‘ oder zuletzt besonders deutlich in der Zeit nach dem Fall der Mauer im Bereich des öffentlichen Denkmals, wenn man an die Denkmäler der kommunistischen Denker und Führer, aber auch von Diktatoren wie Saddam Hussein oder die Sprengung der Buddha-Statuen von ??? durch die Taliban denkt. Auch das Attentat auf das World-Trade-Center 2001 folgte auf sehr viel brutalere Weise dieser Logik der Zerstörung eines öffentlichen Zeichens in einer bis dahin vielleicht unerreichten medialen Inszenierung, bei dem das Bild der Zerstörung fast noch wichtiger wurde als die Zerstörung selbst.

Zerstörung kann auch ein pathologischer, individueller Akt der Aggression gegen Kunstwerke sein, wenn man an die unterschiedlichen Attacken von zumeist psychisch destabilisierten Menschen gegen Meisterwerke wie die Mona Lisa in Paris, Dürers Selbstportrait in München oder Barnett Newmanns Who’s afraid of Red, Yellow, and Blue III 1986 in Amsterdam denkt. Sie kann aber auch durch öffentliche Stellen geschehen, etwa im Bereich der Kunst im öffentlichen Raum geschehen, wenn man zum Beispiel die Entfernung von Richard Serras Tilted Arc von der Federal Plaza in New York 1989 als Zerstörung eines ortsspezifischen Werkes verstehen will, und unter anderen Vorzeichen, auch die Einschmelzung von feindlichen Denkmälern in Kriegszeiten mit dem Ziel der Materialrekuperation und Moralzersetzung, wie zum Beispiel von den deutschen Besatzern im besetzten Paris zwischen 1940 und 1944. Zerstörung kann auch die Folge eines Unfalls sein, denkt man an die Vernichtung verschiedener Beuys-Arbeiten (etwa einer Fettecke 1986 in der Düsseldorfer Kunstakademie) oder 2011 eines Teils einer Arbeit von Martin Kippenberger in Dortmund durch Putzfrauen.

Zerstörung kann aber auch Teil der eigenen künstlerischen Arbeit sein und das Werk vollenden bzw. erst entstehen lassen. Dieser Akt der Zerstörung ist vielleicht der interessanteste, weil er in sich eine Kontradiktion ist, da er eine konstruktive Destruktion sein will, und dennoch fast einem Naturgesetzt zu folgen scheint, wenn man etwa an die großen und zerstörerischen Brände in der südlichen Hemisphäre denkt, ohne die eine neue Vegetation nicht entstehen würde. Dabei kann es sich um einfache Übermalungen von bereits bemalten Leinwänden handeln, wie sie von den meisten Malern praktiziert wurde, die ‚Weiterverarbeitung‘ bestehender Werke zu neuen Arbeiten, wie zum Beispiel bei Arnulf Rainers Übermalungen, oder schlichtweg die Zerstörung als eigenständiger künstlerischer Akt. Bekannte Zerstörung eines Kunstwerks als Ausdruck der befreiende Abwendung vom Vorgehenden und Dominierenden hat zum Beispiel  1953 der noch junge Robert Rauschenberg vollzogen, als er eine Zeichnung des damals führenden Abstrakten Expressionisten Willem de Kooning ausradierte und als Erased Willem de Kooning die Zerstörung im Titel bereits anführte und so zum eigentlichen Werk erklärte. In der Zerstörung lag zugleich ein fast kannibalischer Akt der Aneignung. Auch die stark in den 1960er Jahre praktizierten Happenings, Performances und Aktionen kannten stark destruktive Seiten, wie etwa bei den Colères, den Wutausbrüchen von Arman oder bei Fluxus-Veranstaltungen wie etwa Nam June Paiks One for Violin 1964 durch George Macunias oder auch zum Beispiel den verschiedenen Auftritten der Wiener Aktionisten. Auch Jean Tinguelys Machine for breaking Sculpture von 1960 schreibt sich in diese Tradition der aufführenden Zerstörung ein. Das Zerstören von Werken wurde zu einer provozierenden und radikalen Handlung, die wie keine zweite einen Traditionsbruch aufzeigte und mediale Aufmerksamkeit erregte. So hat zuletzt der chinesische Künstler Ai Wei Wei eine Reihe von Ming Vasen vor laufender Kamera fallen lassen und bewußt WAS?

Zerstörungen, die Neues entstehen lassen, können auch preisgekrönt werden und damit in ihrem Konzept bestätigt. Zu Hans Haackes Projekt für den deutschen Pavillon auf der Biennale von 1993, der mit einem Goldenen Löwen ausgezeichnet wurde, gehörte neben einer Holzwand mit dem Foto von Mussolini und Hitler auf der Biennale von 1938 im Zugangsbereich zum zentralen Raum auch das komplette Herausbrechen des Tavertinbodens. Übereinander und nebeneinander locker im Raum verteilt, war diese Teilzerstörung des Pavillons nur der erste Akt. Der zweite wurde von den Besuchern selbst vollzogen, von denen viele nur sehr vorsichtig und zögerlich auf den Platten liefen, unsicher ob ihrer eigenen Rolle im Prozeß der Zerstörung. Viele andere jedoch fühlten sich ermuntert zu partizipieren und legten selbst Hand bei der Zerstörung an, zerschlugen die Platten und demontierten andere. Sie zerstörten den Pavillonboden und setzten sich so zugleich physisch wie psychisch mit dem Ort auseinander, seiner Geschichte und dem in der Architektur des Pavillons enthaltenen Gewaltdemonstration. So kann Zerstörung auch befreiend wirken.

Auf ganz eigene, ironische Art befreiend wirken sollte auch die Arbeit von Peter Fischli und David Weiss 1990 in einem Heizkraftwerk in Saarbrücken: Sie stellten einen Schneemann in einen Schaukasten nahe der Pförtnerloge des Kraftwerks. Mit der Zeit schmolz der Schneemann natürlich, den Kräften der Natur innerhalb dieses hochtechnischen Ortes ausgesetzt. Im zerstörten Zustand wurde das Kunstwerk wieder „Teil des Teils, der anfangs alles war“, wie Mephistopheles im Faust sagt.

(unveröff. Langfassung, für den Katalog wurde der Text gekürzt.)

 

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