/ Juni 6, 2012/ Allgemein

erschienen in: Karl-Siegbert Rehberg / Paul Kaiser (Hgg.): Bilderstreit und Gesellschaftsumbruch. Die Debatten um die Kunst aus der DDR im Prozess der deutschen Wiedervereinigung, Berlin / Kassel: B&S Siebenhaar 2013, 570 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-936962-33-8

 

Statement zu Ludwig in Leipzig IV. Kunst der 80er in der DDR

 

Zu Anfang des Jahres 2010 begann das Museum der bildenden Künste Leipzig mit der Ausstellungsreihe Ludwig in Leipzig. Vorausgegangen war eine umfassende Dauerleihgabe durch die Peter und Irene Ludwig-Stiftung im Jahr 2009 anläßlich der Ausstellung 60 – 40 – 20 zur Leipziger Kunst nach 1945. Die über 160 Gemälde und Plastiken aus der Sammlung Ludwig ergänzen seitdem den ohnehin schon bedeutenden Bestand ostdeutscher Kunst nach 1945 im Museum durch eine Auswahl exzellenter Werke, insbesondere von Leipziger Künstlern, und sollen, so die Vereinbarung mit der Stiftung, regelmäßig durch Ausstellungen präsentiert werden. Die ersten drei Ausstellungen wurden mit großem Erfolg von meinem Vorgänger Herrn Dr. Dietulf Sander kuratiert und waren als Dialogausstellungen von jeweils zwei Künstlern (Hartwig Ebersbach und Volker Stelzmann, Hubertus Giebe und Wolfram Peuker, Wolfram Ebersbach und Sighard Gille) konzipiert. 

Als ich im Juli letzten Jahres die Nachfolge von Herrn Sander antrat, vertraute mir der Direktor des Museums, Dr. Hans-Werner Schmidt, die Vorbereitung der vierten Ausstellung an. Eine spannende Herausforderung, denn die Frage, in welcher Form wir mit der in der DDR entstandenen Kunst umgehen wollen, stellt sich für eine jüngere Generation anders als für diejenigen, die in der Diktatur gelebt haben. Der politische Wandel in der DDR, aber auch der Wandel der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Künstlerinnen und Künstler durch den Fall der Mauer macht die Beschäftigung mit der ostdeutschen Kunst nach 1945 zu einem hoch spannenden, aber zugleich hoch komplexen und mit großen Emotionen aufgeladenen Arbeitsbereich. Auf diesem Gebiet gilt es, seine eigene Position – bei mir eine im Westen sozialisierte Grundhaltung – nicht zu verleugnen, aber zugleich individuelle Schicksale im Blick zu haben und Klarsicht in der historischen Einordnung zu zeigen. Die mangelnde Sensibilität diesbezüglich erwies sich wohl bei der Ausstellung zum Aufstieg und Fall der Moderne 1999 in Weimar als besonders unglücklich. Deswegen verfolge ich die im Rahmen der Ausstellung Abschied von Ikarus geplante Diskussion über die damalige Ausstellungskonzeption und die Präsentation der Werke mit großem Interesse, da sie hoffentlich zu einer Versachlichung der damals mit einer gewissen Polemik ausgetragenen Debatte zum Umgang mit dem künstlerischen Erbe der DDR beitragen wird.

Da ich über den Bilderstreit infolge der Ausstellung in Weimar 1999 selbst kein Statement verfassen möchte – Ausstellung und Diskussion darüber habe ich nur aus weiter Ferne verfolgt –, möchte ich lieber über meine Herangehensweise an die vierte Ausstellung der Reihe Ludwig in Leipzig berichten. Als ich mir im letzten Herbst einen Überblick über den Bestand der Dauerleihgaben Ludwig im Magazin verschaffte, war ich nicht nur erfreut über die gute Auswahl an Kunstwerken, die Peter und Irene Ludwig gekauft hatten, sondern auch über die höchst unterschiedlichen Positionen. Denn der Aachener Industrielle Peter Ludwig hatte als wichtigster Privatkäufer auf dem staatlichen Kunstmarkt der DDR die Entwicklungen im Osten in distanzierter Nähe verfolgt. Zwar geben die von ihm erworbenen Werke keinen repräsentativen Überblick über das Kunstschaffen in der DDR insgesamt, dafür waren seine Kaufentscheidung zu stark von seinen persönlichen Vorlieben und wohl auch den Rahmenbedingungen geprägt – nicht-figurative und abstrakte Standpunkte, die es im Osten ja auch gegeben hat, finden sich zum Beispiel nur vereinzelt. Doch ist in der Sammlung Ludwig eine Vielzahl eigenständiger Positionen ostdeutscher Kunst auszumachen, die sich in Stil, Thematik und Haltung gänzlich unterscheiden und so ein wenig von der Vielfalt der Ausdrucksformen und Mentalitäten in der damaligen Kunstszene erahnen lassen.

Unter dem Titel Kunst der 80er Jahre in der DDR werden im Augenblick die unterschiedlichen künstlerischen Haltungen des letzten Jahrzehnts der DDR im Museum der bildenden Künste Leipzig gezeigt. Die 1980er Jahre sind bei Ludwig nicht nur die am stärksten vertretene Zeit, sondern auch die wohl spannendsten Jahre in der DDR, da hier Repression und Freiheitsdrang am stärksten aufeinanderstoßen und auch künstlerisch ihren Ausdruck suchten. Die Kunst erreichte einen bis dahin nicht gekannten Pluralismus, auf den in der Ausstellung freilich nur ein sehr begrenzter Blick geworfen werden kann. Neben einer Vielzahl von künstlerischen Standpunkten, die stärker der ‘Kunst im Sozialismus’ verpflichtet waren, war die Kunstszene zunehmend auch von eigenständigeren und bisweilen auch kritischen Positionen gekennzeichnet. Für eine Generation von Künstlerinnen und Künstlern, die nach dem Krieg und vor dem Mauerbau geboren wurde, war das letzte Jahrzehnt der DDR geprägt von zunehmender internationaler Anerkennung und der Suche nach eigenen Formen und Inhalten fernab sozialistischer Vorgaben. So unterschiedlich die gesellschaftlichen und künstlerischen Ansichten der Maler waren, so stark war ihr Wunsch nach Ausdruck der eigenen Persönlichkeit und individueller Freiheit. Die wenigsten begehrten offen auf, sondern suchten in ihrem künstlerischen Schaffen ihren eigenen, oftmals mehrdeutigen Weg durch die autoritären Verhältnisse in der DDR.

Die Ausstellung beginnt mit Leipziger Künstlern wie Ulrich Hachulla, Sighard Gille, Volker Stelzmann, Wolfgang Peuker und Arno Rink, die bisweilen im Rückgriff auf antike und religiöse Themen die Gegenwart kommentierten und auch durch ihre Teilnahme an den offiziellen Kunstausstellungen wohl mit zu den in der DDR am stärksten rezipierten Künstlern zählten. Dann werden unterschiedliche künstlerische Standpunkte präsentiert, die sich in ihrem Ansatz von den genannten Leipziger Künstlern unterscheiden, wie etwa Hartwig Ebersbachs stärker an der Aktionskunst orientierten Auffassung, Vertreter der systemfernen Clara Mosch-Gruppe wie Gregor-Thorsten Kozik und Michael Morgner oder auch der stärker medienübergreifend und offen gegen Kunstfunktionäre agierende Lutz Dammbeck. Die Fortführung von veristischen Ansätzen mit einem Hang zur hedonistischen Selbststilisierung bei Clemens Gröszer oder auch die stärker expressiv arbeitende, an einer gesellschaftlichen Relevanz der Kunst festhaltende jüngere Generation von Walter Libuda, Hubertus Giebe und Johannes Heisig werden ebenso gezeigt wie unterschiedliche Ausprägungen einer expressiv-neoprimitiven Kunst bei Werner Liebmann oder Angela Hampel. Eine Installation von Trak Wendisch, entstanden unter dem Eindruck des Massakers am Platz des Himmlischen Friedens 1989, und eine Arbeit von Max Uhlig, dem beständigen Einzelgänger, beenden den kleinen Rundgang.

Die in der Ausstellung gezeigten 23 Gemälde, die zusammen mit einer Plastik und einer raumgreifenden Installation den Zeitraum von 1979 bis zum Mauerfall 1989 abdecken, sollen keine allumfassende Retrospektive auf die Kunst in der DDR anbieten, sondern mit Ausnahme der Grafik, die heute vornehmlich im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg aufbewahrt wird, die in der Sammlung Ludwig vertretenen Strömungen der damaligen Kunst reflektieren. Das Format der Ausstellung erlaubt nur einen kleinen Einblick in das Jahrzehnt, der allerdings mehr sein will als nur „schön“, wie es in einer Besprechung der Leipziger Volkszeitung hieß, und auf keinen Fall eine nostalgische Erinnerung an die DDR-Zeit. Der Anspruch war, einen möglichst unvoreingenommenen Blick auf die Vielfalt der künstlerischen Ausdrucksformen innerhalb der in der Sammlung Ludwig vertretenen Arbeiten zu werfen. Als Leitkriterium kamen in erster Linie die künstlerische Qualität in Frage, wie subjektiv und diskussionswürdig dieser Begriff auch ist. Die Position der jeweiligen Künstlerin oder des jeweiligen Künstlers und der historische Kontext einer Arbeit flossen erst in einem zweiten Schritt in die Auswahl und Konzeption der Ausstellung ein.

Wenn ich aus den bisher gemachten Erfahrungen eine vorläufige Zwischenbilanz ziehen soll, kann ich nur feststellen, daß für den Umgang mit der Kunst aus der DDR das Gleiche gilt wie für Kunst zum Beispiel aus Westdeutschland: Man muß sich die Arbeiten zuerst anschauen, bevor man über sie urteilt, und nicht die eigenen Vorurteile darüber stellen. Die DDR ist Geschichte, auf dem Rücken der Kunst müssen keine Stellvertreterkriege geführt werden. Es ist nicht irrelevant, ob ein Werk in einem autoritären System entstanden ist, es ist auch nicht irrelevant, welches Verhältnis der Künstler oder die Künstlerin dazu hatte, aber dies sollte nicht zu einer Beurteilung à priori führen. Mit einer solchen Vorverurteilung begegnen wir mit Ausnahmen auch nicht Werken aus anderen Epochen. Gesellschaftliche Normen haben Einfluß auf das Verständnis der Entstehung von Kunst und auf ihre Interpretation und Rezeption, aber sie sind nicht primär von Bedeutung für die Beurteilung ihres künstlerischen Wertes. Es ist an der Zeit, im vollen Bewußtsein des historischen Kontextes alle Kunstwerke öffentlich zu zeigen und bei Bedarf zu debattieren, einer Revision zu unterziehen. Die einschlägige Forschung hat in den letzten 20 Jahren diesbezüglich viel geleistet, aber glücklicherweise noch nicht alles geklärt. Die Diskussionen über die Kunst in der DDR müssen weiterhin noch wissenschaftlich, kontrovers und bisweilen auch provokant geführt werden. Die Ausstellung in Weimar wird hoffentlich seinen Beitrag dazu leisten, gerade weil sie sich kritisch mit der vorherigen auseinandersetzen und dabei hoffentlich keine Rücksicht auf persönliche Empfindsamkeiten nehmen wird!

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