Clara Mosch, Galerie und Künstlergruppe Mit der Gründung der Galerie Clara Mosch durch die Künstler Carlfriedrich Claus, Thomas Ranft, Dagmar Ranft-Schinke, Michael Morgner und Gregor-Torsten Schade (seit 1980 Kozik) in Karl-Marx-Stadt begann eine neue, zeitweilig fruchtbare künstlerische Ära in der von Arbeit und Industrie geprägten Stadt und Region. Vier der Künstler hatten in den 1960er und frühen 1970er Jahren an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig studiert. Aufgrund persönlicher Freundschaft zwischen den Künstlern und einer gewissen Grundhaltung gegenüber den staatlichen Autoritäten, die eher von Dada als vom Untertanengeist gespeist war, und dem Wunsch nach Eigensinn, aber auch der Lust am künstlerischen Experiment taten sich die Künstler als Gruppe zusammen und gründeten 1977 die erste Produzentengalerie der DDR: Clara Mosch. Die engen persönlichen Beziehungen waren Voraussetzung für die Aktivitäten gewesen. Thomas Ranft und Dagmar Schinke hatten bereits 1969 geheiratet. 1975 nahm Morgner an Pleinairs in Ahrenshoop und auf Hiddensee teil, die dann von Ralf-Rainer Wasse, dem ‚6. Moschisten‘, wie Thomas Ranft ihn genannt hat, in einem 8-mm-Künstlerfilm dokumentiert wurden. Ranft und Schade teilten sich von 1975–1977 ein Atelier, gründeten 1976 das Künstlerduo Berghäusler und druckten mit Carlfriedrich Claus 1976/1977 dessen Aurora-Mappe. Der in Annaberg-Buchholz lebende Carlfriedrich Claus ließ sich dazu bewegen, sich den Aktivitäten der Galerie mit distanzierter Nähe anzuschließen. „Die Position war so, daß man dem konventionellen Kulturleierbetrieb etwas entgegensetzen wollte, einen Ort, wo Experimentelles sich der Öffentlichkeit stellen konnte“, so Carlfriedrich Claus 1997 rückblickend auf seine Motivation zur Teilnahme an den Aktivitäten der Gruppe. „Es war also eine Antwort auf die damalige ziemlich provinzielle und enge Situation. Einziges Programm war für mich, einen nichtkommerziellen, freien Ausstellungs-Ort, Gesprächs-Ort für radikale existentielle, also experimentelle Fragen zu schaffen.“[1]
Aus den Anfängen Ihrer Nachnamen formten sie das Akronym Clara Mosch. Die Galerie bestand bis 1982 und sollte innerhalb von fünf Jahren die künstlerische Szene nicht nur der Stadt, sondern auch des ganzen Landes bewegen. Clara Mosch war ein vielversprechender Name, bei dem sofort die Frage im Raum stand, wer das sei, so wie die Künstlergruppe auch zu der Gründung in der Zeitung annoncierten: ‚Wer ist Clara Mosch?‘ Eine Widerstandskämpferin, wie Schade den offiziellen Stellen vorgaukelte? Das berühmte Plakat von Lutz Dammbeck stimulierte diese Fantasien: es zeigt einen verhüllten weiblichen Kopf auf einem Ausweisprotokoll (an sich ein Detail einer Skulptur von Oeser aus dem Vorgarten des Grassimuseums in Leipzig). [Vgl.-Abb. 1, Dammbeck, Moschplakat] Von Anfang an spielten die Künstler zwischen Fiktion und Wahrheit, erzeugten eine Idee von dem, was sein könnte. Eine fast situationistische Herangehensweise, würde man rückblickend sagen. Die Gründung der Galerie sowie erste Veranstaltungen wurden ohne Erlaubnis der zuständigen Stellen durchgeführt, deshalb wurden die Offiziellen schnell aufmerksam. Um eine Schließung zu vermeiden, aber ohne ihre Programmautonomie aufzugeben, stimmten die Künstler der Zusammenarbeit mit dem Kulturbund zu und ergänzten fortan den Namen der Galerie um die Bezeichnung: Kleine Galerie des Kulturbundes der DDR. „Denn in der DDR konnte nicht sein, was nicht sein darf, und natürlich konnte niemand so einfach eine private Galerie, noch dazu eine ungenehmigte eröffnen“, so Thomas Ranft 1997. „Und so entstand die Galerie mit dem längsten Namen, den kleinsten Räumen und der größten Aktivität.“[2]
Clara Mosch war keine Künstlergruppe im engen Sinne, die von einem gemeinsamen Manifest oder einer einheitlichen künstlerischen Idee getragen wurde. Clara Mosch war eher eine Haltung. Der Fokus lag auf der kleinen Galerie, dem gemeinsamen Arbeiten an Mappenwerken oder Mail Art-Projekten und den Aktionen. Clara Mosch war eine Art Komplizenschaft, ein lockerer Haufen von Gleichgesinnten. „Mosch war eine Idee. Eine Idee vom Anderssein“,[3] so fasst es Thomas Ranft rückblickend zusammen. Vor der Gründung der Gruppe 1977 arbeiteten sie in verschiedenen Konstellationen zusammen, so auch nach ihrer Auflösung 1982. Im Verbund mit vielen gleichgesinnten Kollegen und Projekten aus der gesamten DDR, vor allem aus Leipzig (etwa mit den Künstlern um das Projekt Tangente, 1977, und dann die Freiluftgalerie Stötteritz, 1980) und Dresden (im Umfeld der Obergrabenpresse, 1978 gegründet), veranstalteten sie mit dem zuerst in Berlin und dann in Leipzig tätigen Kunstwissenschaftler und Kurator Klaus Werner Ausstellungen, Lesungen, Aktionen und vieles andere mehr. Dies geschah mit einer großen Eigenwilligkeit, Unabhängigkeit und Lust an der Provokation – „Provokation pur“, so Michael Morgner.[4] In der Galerie Clara Mosch organisierte die Gruppe und hier vor allem Thomas Ranft 29 Ausstellungen, nicht nur zu eigenen Arbeiten, sondern auch von Gleichgesinnten wie Gil Schlesinger, Gerhard Altenbourg, Horst Bartnig, Max Uhlig, Klaus Hähner-Springmühl oder Wolfram Adalbert Scheffler.
Nicht zu trennen sind die Aktivitäten der Gruppe Clara Mosch von denen der Galerie Oben, die aus der Verkaufsgenossenschaft der bildendenden Künstler im Bezirk Karl-Marx-Stadt hervorging, aber nicht direkt staatlich war.[5] Von 1973 an wurde die Galerie Oben geleitet von Georg Brühl, 1979 dann abgelöst von Gunar Barthel (bis 1987) und schließlich Tobias Tetzner und Bernd Weise. An exponierter Stelle mitten in Karl-Marx-Stadt gelegen, war die Galerie Oben mit Ausstellungen, Vorträgen, den bekannten Mittwochgesprächen, Performances und Verkaufsauktionen in den 1970er und frühen 1980er Jahren einer der wichtigen autonomeren Kunstorte in der DDR. Michael Morgner und Thomas Ranft hatten sich hier früh engagiert. So entstand mit der Gründung der Clara Mosch und den Aktivitäten der Galerie Oben ein engagiertes Zentrum der künstlerischen Debatten und ein (kontrollierter) Freiraum, der in Ansätzen zu einer gewissen Emanzipation des Publikums sowie der Künstlerinnen und Künstler gegenüber staatlicher, kultureller Bevormundung führte.[6]
Karl-Marx-Stadt lag geografisch und künstlerisch an der Peripherie des Landes und anfangs vielleicht auch der Aufmerksamkeit der offiziellen Stellen des staatlich gelenkten Kulturbetriebs. Clara Mosch agierte also in einem Umfeld, das etwas weniger im Fokus der offiziellen Kulturpolitik stand und das auch durch das Handeln anderer Beteiligter in den späten 1970er Jahren – wie Georg Brühl und anderer – verhältnismäßig offen war. Das galt zwischenzeitlich auch für den Bezirksverband Bildender Künstler, der eine Zeit lang auch Autodidakten aufnahm, so dass aus dem Bezirk zeitweilig ein Sammelbecken für selbsternannte und damit auch selbstbestimmtere Künstler verschiedenster Szenen wurde. Durch das Fehlen von Kunstakademien und „Machtheisigs“, wie Michael Morgner sie nennt, „gab es hier Freiräume, die Kunst in der DDR ermöglichten“.[7] Die ruhige, isolierte und zugleich produktiv-unkontrollierte Gemengelage zog aber schnell die Aufmerksamkeit der Partei und der Staatssicherheit auf sich. Bekanntermaßen ging es nicht nur um Observationen, sondern bei der Clara Mosch um einen Zersetzungsvorgang mit dem Titel Made. Nach Jahren des kreativ-subversiven Miteinanders zog langsam das Gift des Misstrauens in die Knochen der lockeren Gruppe, die sich zunehmend infrage stellte und schließlich 1983 in einer gemeinsamen Aktion auflöste (‚Die Clara Mosch ist tot.‘). [Vgl.-Abb. 2, Mosch vor Wiener Rathaus]
Pleinairs und Aktionen Es waren vor allem die Personenkonstellationen, die das Entstehen der Gruppe und ihrer Aktivitäten in einem solch à priori schwierigen Umfeld wie dem Bezirk Karl-Marx-Stadt begünstigten, wie sich Dagmar Ranft-Schinke erinnert: „Es war wohl eine Art Oase. Karl-Marx-Stadt war ja nicht gerade ein kunstträchtiges Gebiet. Vielleicht beflügelte uns gerade das Isoliertsein hier. […] Es war ein Geflecht, ein Energiepunkt mit besonderer Ausstrahlungskraft und Anziehungskraft nach außen.“[8] Zu dieser Personenkonstellation zählten als treibende Kräfte Morgner und Schade/Kozik mit dem Hang zu Aktionen, Ranft als organisierende Kraft und der befreundete Fotograf Ralf-Rainer Wasse für die fotografische Dokumentation und Produktion der Mail-Art-Postkarten. Ein zentrales Element der Aktivitäten der Clara Mosch, war das Organisieren von Pleinairs und von gemeinsamen Aktionen in Außen- und Innenräumen in den 1970er und 1980er Jahren, an denen in der Regel jedoch nicht Dagmar Ranft-Schinke und auch nicht Carlfriedrich Claus teilnahmen, dafür aber häufig noch andere Künstler wie Lutz Dammbeck oder Kunstwissenschaftler wie Georg Brühl und Klaus Werner, der mit Thomas Ranft auch den Anstoß gab zu den Pleinairs.
Die Künstler der Clara Mosch gehörten zu den ersten Aktions- und Performancekünstlern in der DDR. Aktionskunst – im Westen sprach man eher von Happenings oder Performances – waren ein zeittypisches globales Phänomen, das für einige Künstler in der DDR von Bedeutung war, nicht nur in Karl-Marx-Stadt, sondern auch in Leipzig (zum Beispiel Hartwig Ebersbach mit der Missa Nigra, 1979, und der Gruppe 37,2 Grad um Hans-Joachim Schulze) oder Dresden (seit den frühen 1970er Jahren im Umfeld von A.R. Penck mit der Künstlergruppe Lücke, in den 1980er Jahren unter anderem mit den Autoperforationsartisten). Die Performance, die Gregor-Torsten Schade unter dem Titel Das schwarze Frühstück anlässlich seiner Ausstellungseröffnung in der Galerie Arkade in Berlin 1979 aufführte, gilt als die erste Performance in der DDR.[9]
Das Interesse an prozessorientierter Aktionskunst teilte die Clara Mosch mit vielen Künstlern in Ost- wie in Westeuropa, wobei der Blick eher Richtung Westen ging. Eine wichtige Inspirationsquelle war Joseph Beuys, der in den 1980er Jahren, vor allem nach seinem Tod 1986, große Anerkennung in Teilen der ostdeutschen Künstlerschaft erlangte, wie die offizielle Ausstellung in der Galerie der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst 1988 mit frühen Beuys-Arbeiten aus der Sammlung van der Grinten (Beuys vor Beuys) und parallel dazu die alternative Hommage an Beuys in der Galerie EIGEN+ART (Nach Beuys, u.a. mit den Autoperforationsartisten, aber ohne Via Lewandowsky) zeigen. Für viele Künstler vor allem der Generation vor den Autoperforationsartisten war Beuys noch zu seinen Lebzeiten eine wichtige Orientierung gewesen, künstlerisch mit Blick auf dessen ‚erweiterten Kunstbegriff‘ wie auch gesellschaftspolitisch mit seinem Eintreten für den Umweltschutz und einen ‚freien demokratischen Sozialismus‘ gegen die ‚Parteiendiktatur‘ (Joseph Beuys, 1971).
Den Sinn für Aktionskunst teilten sie auch mit Künstlern in Osteuropa, in Polen und der Tschechoslowakei ebenso wie in der UdSSR. Wegen ihres ephemeren Charakters – neben vielen weiteren ästhetischen wie künstlerischen Gründen – war die Aktionskunst vor allem in den Diktaturen des Ostens eine beliebte Kunstform nonkonformer Künstlergruppen. Dies betrifft auch den Umgang mit dem Körper, der Einsatz eines fremden oder gar des eigenen Körpers als eines der letzten Gebiete, die in der Regel unkontrolliert vom staatlichen Einfluss existierten. Das betrifft in der DDR die Clara Mosch in etwas geringerem Maße als stärker andere Künstler wie Lutz Dammbeck in seinen fotografischen Bewegungsstudien und den Aufführungen im Rahmen des Herakles-Konzepts – bei den genähten Köpfen schafft er sogar neue hybride Wesen mit historischem Found footage-Material – und in Dresden zum Beispiel die Autoperforationsartisten. Die Aktionen oder Happenings waren in der Regel immateriell angelegt, sie waren nicht darauf angelegt, ein materielles Ergebnis bzw. Objekt zu produzieren (der Leussow-Koffer bildet hier eher eine Ausnahme), sondern der Prozess und die Kommunikation standen im Zentrum.
Die Aktionen vollzogen sich im Rahmen von sogenannten Pleinairs, künstlerische Happenings mit einem Hang zur Land-Art, die seit 1975 von verschiedenen Künstlern und Kunstwissenschaftlern in semantischer Anlehnung an die impressionistische Malweise und im Wunsch nach einem größeren Freiraum, stärkerer Selbstbestimmung und weniger Kontrolle im Freien vollzogen wurden. Eine genaue Unterscheidung von Pleinairs und Aktionen ist nicht möglich und nicht sinnvoll. Von Georg Brühl, dessen Zuarbeit zum Ministerium für Staatssicherheit später bekannt wurde, und Klaus Werner initiiert, fanden zwischen 1975 und 1986 18 Pleinairs statt, häufig organisiert durch Thomas Ranft.[10] Neben Aktionen im engeren Sinne wurde auch gezeichnet, wurden Filme gezeigt, experimentelle Kunstformen ausprobiert, Vorträge und Diskussionen organisiert, aber auch gefeiert, häufig an der Ostsee oder auf dem Land in Mecklenburg oder Thüringen (von wo Thomas Ranft herkommt). Durch die Einbindung der beiden Galerien Arkade und Galerie Oben, die der Genossenschaft bildender Künstler angehörten und dann auch dem Staatlichen Kunsthandel zwangsweise zugeordnet waren (Galerie Arkade), wurden die Unternehmungen nicht nur durch die Künstler selbst, sondern indirekt auch durch staatliche Institutionen mitfinanziert, obwohl die praktizierten Kunstformen konträr zur offiziellen staatlichen Kunstauffassung standen und entsprechend kritisiert wurden. Pleinairs waren Zwischenräume der künstlerischen Freiheit, mit einem Hang zum Kollektiven und Dadaistischen, aber keineswegs nihilistisch angelegt. Hinter den etwas anarchisch wirkenden Aktionen standen immer wieder existenzielle Fragen, Fragen der Selbstbestimmung, der künstlerischen Freizügigkeit, aber auch kritische Fragen mit Blick auf die grassierende Umweltzerstörung in der DDR. Eine große Anzahl unterschiedlicher Künstler aus der ganzen DDR nahm an solchen Pleinairs teil, so dass sich Netzwerke und Kontakte untereinander weiter ausbildeten und verstärkten. Zu diesen Künstlern gehören zum Beispiel die bereits genannten Leipziger Tangente– und späteren Herbstsalon-Künstler Lutz Dammbeck und Hans-Hendrik Grimmling, aber auch die Berliner Manfred Butzmann und Dieter Goltzsche sowie die Dresdner Künstler Eberhard Göschel, Max Uhlig, Claus Weidensdorfer oder Werner Wittig. Beim Pleinair in Gallentin etwa waren auch Klaus Staeck aus dem Westen, dessen Bruder in Ostdeutschland lebte, aber auch die Schriftsteller Christa und Gerhard Wolf, Stefan Döring, Eberhard Häfner, Bert Papenfuß-Gorek und Sascha Anderson, der dann für die Staatssicherheit Berichte schrieb, anwesend.
Bei den Pleinairs und Aktionen spielte das Prozesshafte auf der einen Seite, das Ephemere auf der anderen Seite nicht nur künstlerisch, sondern auch mit Blick auf die Grenzen des eigenen Ausdrucksvermögens und die Kontrolle durch den Staat eine wichtige Rolle. Auch wenn Clara Mosch nicht die einzigen Künstler zu der Zeit waren, die Aktionen und Pleinairs veranstalteten, sind sie wohl die Künstlergruppe mit der besten Dokumentation ihrer Aktivitäten. Nicht nur die Gruppe selbst und die mit ihr in Verbindung stehenden Galerien samt Umfeld, sondern besonders die Aktionen wurden als „ein aus der dekadenten westl.[ichen] Kunstszene entliehenes Projekt“, wie ein Bericht der Staatssicherheit 1977 vermerkt, mit mehr als 120 inoffiziellen Mitarbeitern durchgehend vom Ministerium für Staatssicherheit beobachtet und fotografisch und schriftlich dokumentiert. „Alle Personen stellen den Kern einer Personenkonzentration bildender Künstler dar“, so heißt es in dem Bericht weiter, „die Anstrengungen unternehmen, einen feindl.[ichen] Stützpunkt unter neg.[ativen] Kulturschaffenden und deren Verbindungen aufzubauen. Die Angriffe der Verdächtigen richten sich gegen die führende Rolle der Partei in der Kunst, gegen die Prinzipien des soz.[ialistischen] Realismus. Es bestehen vielfältige Verbindungen und Aktivitäten mit feindl.[ichen] Kräften aus dem Bez.[irk] Berlin, Dresden, Leipzig, Halle u.[nd] Rostock.“[11]
Die ‚operativen Vorgänge‘ der Staatsicherheit und die kontinuierliche Überwachung waren als Mittel der Kontrolle, der Einschüchterung und dann auch der Eindämmung durch den Staat gedacht. Auf fast zynische Weise entpuppen sie sich heute als Glücksfall, da durch die Fotografien die wichtigsten Aktionen, ihre Protagonisten und Ziele heute noch bestens bekannt sind, und dies zum Teil auch durch Fotografien von einer hohen ästhetischen Qualität. Denn ein Hauptzuträger der fotografischen Dokumentation und Information war der mit den Clara Mosch-Künstlern befreundete Ralf-Rainer Wasse, der ebenfalls an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst studiert hatte. Die Bespitzelung durch ihren Freund Wasse wurde den Clara Mosch-Künstlern erst nach dem Fall der Mauer durch die Einsicht ihrer Stasi-Akten deutlich. Zuvor war Wasse ein enger Freund gewesen, der bei fast allen Aktionen anwesend war und diese systematisch fotografiert hatte. Wasse hatte den scheinbaren kommunikativen Schutzraum um die Clara Mosch herum verraten und damit nachhaltig auch die Idee der Clara Mosch in Misskredit gebracht, gerade weil ihre Szene auf engen persönlichen Verbindungen basierte und eine Alternative zum offiziellen, in ihren Augen einfältigen und korrupten System bieten wollte. „Der perfekteste Fotograf und der perfekteste Spion zugleich […] ein Meister in beiden Fächern,“ beschreibt Michael Morgner das ambivalente Verhältnis rückblickend 1997.[12] Entgegen dem ephemeren Charakter der Aktionen dokumentierten und konservierten die Fotografien die Aktivitäten. Sie wurden künstlerisch von Wasse ebenso wie von den Clara Mosch-Künstlern etwa bei den Mail-Art-Postkarten oder den originalgrafischen Plakaten weiter bearbeitet. Sie wurden aber zugleich von Wasse der Stasi weitergeleitet, waren Spitzelfotos, zusammen mit Berichten. Die Fotografien im Spannungsfeld zwischen künstlerischem Anspruch und dokumentarischem Gehalt führen heute dazu, dass wir so umfassend über die Aktionen der Clara Mosch informiert sind wie bei wohl wenigen Künstlergruppen aus der DDR. Ein fast lückenloses Archiv ist auf diese Weise entstanden.
Dieses Spannungsverhältnis von Aktionskunst und Fotografie, zwischen Ephemer-Subversiven und dem dokumentarischen Verrat ist Gegenstand der Ausstellung Clara Mosch und Ralf Rainer Wasse. Aktionen und Fotografien. In der Ausstellung werden Ralf-Rainer Wasses Fotografien von den Aktionen der Clara Mosch gezeigt, zum Teil in Originalabzügen, zum Teil als Reprints ergänzt durch originalgrafische Plakate. Es ist die erste Präsentation der Gruppe in den Kunstsammlungen ihrer Wirkungsstadt seit über 20 Jahren. Die Fotografien kommen zum einen aus dem Originalbestand im Carlfriedrich Claus Archiv in den Kunstsammlungen Chemnitz, der neben dem künstlerischen Nachlass von Carlfriedrich Claus auch das umfangreiche Clara Mosch-Konvolut der 2008 erfolgten Schenkung der vier übrigen Gruppenmitglieder umfasst. Zum anderen speist sich die Ausstellung aus dem Nachlass von Ralf-Rainer Wasse im Lindenau-Museum Altenburg, ergänzt durch einige Leihgaben aus Privatbesitz. Ich danke unseren Partnern im Lindenau-Museum Altenburg, ihrem Direktor Dr. Roland Krischke und dem Kurator Dr. des. Benjamin Rux, den Autorinnen Jutta Penndorf und Erchen Wang sowie unserem wissenschaftlichen Volontär Stefan Gregor, der das Projekt im Haus betreut hat. Allen voran gilt mein erster Dank aber den verbleibenden Künstlern der Clara Mosch, Thomas Ranft, Michael Morgner, Dagmar Ranft-Schinke und Gregor-Torsten Kozik für ihre Unterstützung in Vorbereitung und Realisierung der Ausstellung in den Kunstsammlungen Chemnitz.
[1] Ausst.-Kat. Altenburg, Chemnitz, Berlin 1997, S. 19. Etwas enttäuscht von der Entwicklung relativiert er die Bedeutung der Galerie für ihn persönlich dann: „[…] es war bestimmt eine wichtige kulturpolitische Gegenposition, aber es war kein Experiment. Es war ein gesellschaftliches Ereignis der anderen Art. Ein Experiment ist aber gerade kein gesellschaftliches Ereignis.“ (Ebd., S. 20.)
[2] Ebd., S. 19.
[3] Ebd.
[4] „MOSCH war Provokation pur von Anfang bis Ende. […] blitzartiges Umdenken, ständiges Hinterfragen. […] Wir wollten die Klischees nicht bedienen vom braven Maler in der Kammer. So waren unsere Provokationen auch immer ohne Netz.“ (Michael Morgner, in ebd., S. 20.)
[5] Siehe u.a. Chemnitz 1993.
[6] Wichtige relativ unabhängige Galerien hatte es zuvor schon gegeben, die auch nach der Gründung des Staatlichen Kunsthandels 1974 ihre Unabhängigkeit zeitweilig haben behaupten können, wie etwa auch die 1973 von Klaus Werner gegründete Galerie Arkade in Berlin (1975 in den Staatlichen Kunsthandel übernommen, 1981 geschlossen). Klaus Werner organisierte auch Pleinairs. Zu nennen sind auch der von 1963 bis 1974 betriebene Ausstellungsraum der Erfurter Ateliergemeinschaft oder die Privatgalerie ep von Jürgen Schweinebraden in Berlin (seit 1973 Ausstellungen; nach jahrelangen Schikanen und Zermürbungsvorgängen stellte er 1979 seine Engagement ein und reiste 1980 mit seiner Familie aus der DDR aus). In Leipzig oder Dresden gab es ähnliche Galerieräume, etwa die Galerie am Sachsenplatz von Gisela und Hans-Peter Schulz (1973 gegründet, 1975 in den Staatlichen Kunsthandel integriert) oder später dann EIGEN+ART (1983 anfangs als eine Art Produzentengalerie gegründet, dann von Gerd Harry Lybke eigenständig weitergeführt); in Berlin sollte zum Beispiel auf die Produzentengalerie rg in der Sredzkistraße 64 verwiesen werden (1981 gegründet unter anderem von Klaus Werner, Eugen Blume, Erhard und Mario Monden, Wolfram Adalbert Scheffler, Robert Rehfeldt und Horst Bartnig). Vgl. unter anderem Grundmann 2012.
[7] Ausst.-Kat. Altenburg, Chemnitz, Berlin 1997, S. 29.
[8] Ebd.
[9] Eugen Blume, der seine Magisterarbeit zu Joseph Beuys geschrieben hatte, war Praktikant bei Klaus Werner in der Galerie Arkade gewesen und erinnert sich rückblickend 2009: „Tief beeindruckt vernahm ich, wie nach der nur wenige Minuten dauernden Veranstaltung der gewichtige Kunstexperte Lothar Lang Klaus Werner zur ersten Performance in der DDR-Kunstgeschichte gratulierte. Ich war offenbar Zeuge eines historischen Ereignisses geworden.“ (Blume 2009, hier S. 14.)
[10] Uta Grundmann schreibt, dass die Pleinairs eine Idee des Karl-Marx-Städter Leiters der Galerie Oben, Georg Brühl, und des Leiters der Galerie Arkade, Klaus Werner, gewesen sei und zum ersten Mal 1975 in Ahrenshoop stattfand (siehe Grundmann 2012, S. 73).
[11] Bericht der Abteilung XX des Ministeriums für Staatssicherheit, hier aus Ausst.-Kat. Altenburg, Chemnitz, Berlin 1997, S. 16; die Unterlagen von Ralf-Rainer Wasse sind überwiegend archiviert beim BStU, Archiv der Außenstelle Chemnitz, MfS BV Karl-Marx-Stadt, Abt. XX. Der operative Vorgang (OV) „Made“ wurde eingeleitet gegen Thomas Ranft und Gregor-Torsten Schade, der OV „Wurm“ gegen Michael Morgner und der OV „Eremit“ gegen Carlfriedrich Claus.
[12] „Wasses Postkarten sind einmalig, es sind einfach kleine große Meisterwerke.“ (Michael Morgner, Ausst.-Kat. Altenburg, Chemnitz, Berlin 1997, S. 27.)