/ Juli 30, 2019/ Beitrag

Natürlich sind Künstler*innen genauso wenig wie Kurator*innen dazu berufen, die Welt allein zu retten. Und Museen sind weder Schulen noch Gerichtsräume. Sie ersetzen auch nicht die athenische Agora als Ort der öffentlichen Debatte, aber können als sozialer und diskursiver Raum fungieren. Auch wenn Kunst Freiheit genießt und nicht externen Bedürfnissen dient, können Künstler*innen und Kurator*innen als politisch handelnde Wesen mit ihren Mitteln ihren Teil zu öffentlichen Debatten beitragen.

Welche Fragen beschäftigen uns im Augenblick? Vielleicht gar nicht so sehr das Verhältnis von Neu- zu Altbürger*innen – zumindest nicht mit Blick auf das Jahr 2015. Klar schaffen wir das gemeinsam. Aber wie sieht es mit der gegenseitigen Integration von alten Neu- und Altbürger*innen aus, die seit dem Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland 1990 alles andere als ausgeglichen ist – und wie mit ihrem Verhältnis, das von persönlichen Verletzungen und struktureller Diskriminierung geprägt zu sein scheint? Verteidigung der Privilegien auf der einen Seite, das Gefühl des Zurückgesetztseins auf der anderen. Frust und Protest richten sich im Osten gegen das ganze System, die Provokation ersetzt bisweilen das Argument.

Und welchen Beitrag können Museen in diesen Diskussionen leisten? Sie können Angebote machen, die mit einer eigenen Sensibilität anders mit solchen Fragen umgehen, Identitäten und Erinnerungskultur verhandeln, dabei Ambiguitäten zulassen und Widersprüche aushalten. Ästhetisch, künstlerisch die Menschen ansprechen und ihnen Raum für eigene Gedanken lassen, ohne gleich den Untergang des Abendlandes oder der Demokratie auszurufen. Natürlich keine Plattform für sexistische, rassistische, homophobe Äußerungen und Handlungen, keine Diskriminierung erlauben, die Grenze muss klar sein, aber andere Meinungen zulassen, gerade wenn ich sie nicht teile – das bringt mich zur Überprüfung der eigenen Haltung. Haltung nicht im Korsett eines überkommenen sittlichen Regelwerks und ideologischer Doktrin, sondern Haltung aus einer selbstkritischen Stärke heraus, aus dem Verhandeln seiner eigenen Position, und dies mithilfe von Dialog- und Vermittlungsangeboten, Denkanreizen und Erfahrungsräumen, die einige Künstler*innen gewillt sind zu machen.

veröffentlicht in: Sebastian Jung, What’s up Abendland?, 2019

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