Johanna Terhechte
The Murder – A Tribute to Daisy Armstrong, 2017
SW-Video, 4:45 Min. im Loop
Johanna Terhechte studiert seit 2015 an der Hochschule für Grafik und Buchkunst und absolviert ihr Hauptstudium in der Klasse Fotografie im zeitgenössischen Feld bei Peter Piller. Ihre Bewerbung zum HGB-Studienpreis 2017 besteht aus einem Video in Schwarzweiß mit dem Titel The Murder – A Tribute to Daisy Armstrong.
In zwölf unterschiedlichen Einstellungen zeigt sie eine Mauer, die ein modernes Haus von der Straße abgrenzt und über die ein abgewickeltes VHS-Videoband herunterhängt, vom leichten Wind zufällig in Bewegung gesetzt. Die Aufnahmen sind ruhig und einfach gehalten, keine Schwenks oder andere Kameraversuche. Schwarze Einblenden trennen die Sequenzen voneinander, die sich durch verschiedene Perspektiven und Nähe zum Objekt unterscheiden. Je mehr sich die Kamera dem Band annähert, desto bewegter wirkt es und desto mehr Raum nimmt es in den Bildern ein, so dass sich eine Fokussierung auf das Band und eine Steigerung der Dramaturgie ergibt. Das Konzentrierte der Aufnahmen wird noch unterstrichen durch die Verwendung von Schwarzweiß. Aufgrund der Kontraste durch ein helles, aber nicht blendendes Tageslicht auf einer hellen Mauer im Gegensatz zum dunklen Material des Videobandes erhält dieses eine starke graphische Präsenz, die durch die strenge und einfarbige Geometrie der Wandflächen noch unterstrichen wird. (Schwarzweißaufnahmen, Lichtverhältnisse, die einfach gehaltene, modernistische Architektur im Hintergrund mögen ferner als Referenz an die Kultur der kalifornischen Moderne und den frühen Hollywood-Film verstanden werden, wie sie etwa in den Bauten Richard Neutras zum Tragen kommt.)
Im Soundtrack zum Video ist die titelgebende Filmmusik The Murder zu hören, die der englische Komponist Richard Rodney Bennett für den Kriminalfilm nach Agatha Christies Murder on the Orient Express (1974) von Sidney Lumet geschrieben hat. Die Musik verleiht dem Video von Johanna Terhechte eine Spannung, die sie in ihren Schnitten und dem sich langsamen Annähern an das Videoband wieder dramaturgisch aufnimmt. Unterstützt durch die Musik, schaut man als Betrachter*in gebannt auf diese Arbeit, folgt der Bewegung des Videobandes und den Einstellungen des Films, als würde Terhechte etwas erzählen wollen. Aber in ihrer Dramaturgie verzichtet auf sie eine starke visuelle Narration oder eine direkte Erzählung, unsere Phantasie wird durch die Bilder und die Musik beflügelt, ohne dass wir eigentlich wissen, worum es geht. Wir erwarten etwas und sehen nur wenig, kompensieren die bewusst gewählte visuelle Einfachheit durch unsere eigene Imagination.
Terhechte interessiert sich für das Wechselspiel von Kontrolle und Zufall. Das entsteht bei den von ihr festgelegten Entscheidungen zu Objekt, Schnitten, Licht und Ort gegenüber der von ihr dann nicht mehr zu bestimmenden Bewegung des Bandes durch den Wind. Ihrer Willkür stellt sie die der Natur entgegen, die Partner in der künstlerischen Bewältigung des gestellten ästhetischen Problems wird. Die Frage, die sie aufwirft, ist die des Zusammenwirkens von Behaupten, Zeigen und Verbergen in der Kunst, und ihrem Einfluss auf den Gestaltungsprozess, den sie als Künstlerin darauf nehmen kann. Was zeigt sie den Betrachter*in, was überlässt sie der Vorstellungskraft? Mit welchen ästhetischen Impulsen kann sie die Rezeption steuern, wie stimuliert sie eine eigene Erzählung zum ästhetisch Empfundenen? Das Videoband spielt als ‚Protagonist‘ dabei eine zentrale Rolle, fasziniert es die Künstlerin doch auf der einen Seite durch seine eigenwillige Ästhetik, dunkel und glänzend, scheinbar endlos lang und beweglich, auf der anderen Seite ein Informationsträger, dessen Gehalt aber nicht so ohne weiteres entschlüsselt werden kann. Das Band kann somit als Symbol für die Behauptungskraft von Abwesenheit verstanden werden, denn durch den Prozess des Nicht-Zeigens bzw. Nicht-Sehens werden Interesse und Imagination, Vorstellungskraft und Verständnis angeregt. Genau dieser Moment des Behaupteten, aber nach positivistischer Auffassung Nicht-Prüfbaren macht hier die künstlerische Arbeit aus. So ist auch der Nebentitel der Arbeit Terhechtes, A Tribute to Daisy Armstrong, einzuordnen: Daisy Armstrong spielt in der Kriminalgeschichte von Agatha Christie eine zentrale Rolle, da sie als Kind ermordet wurde und ihr Mörder nun Jahrzehnte später von ihren Angehörigen im Orient-Express wiederum ermordet wird. Sie ist also als Motiv die ganze Zeit über anwesend, aber nicht körperlich oder visuell. Übertragen auf die Arbeit Terhechtes kann Daisy Armstrong also als die Personifikation des Abwesenden verstanden, als Sinnbild für Terhechtes künstlerisches Prinzip.