/ September 12, 2012/ Aufsätze, Publikationen

I am for an art that is political-erotical-mystical, that does something other than sit on its ass in a museum.”
(Claes Oldenburg, 1961)

Einführung: Leben mit Pop!

Pop hat stärker als jede andere kulturelle Entwicklung im 20. Jahrhundert das Lebensgefühl einer ganzen Generation geprägt. Pop war westlich, jung und lebensbejahend. Pop versprach aber nicht nur ein neues Lebensgefühl, sondern war ein Aufbrechen des kulturellen und in der Folge auch gesellschaftlichen Selbstverständnisses der Nachkriegszeit. Pop überschritt Grenzen, die des guten Geschmacks ebenso wie die der künstlerischen Tradition. Pop wirkt in seinem ästhetischen Wertewandel bis heute nach. Mit Druckgrafiken der 1960er Jahre aus der Sammlung Heinz Beck im Wilhelm-Hack-Museum Ludwigshafen gibt die Ausstellung Leben mit Pop! nun Einblick in diese Zeit des künstlerischen Umbruchs um 1960. Der Schwerpunkt der Ausstellung liegt auf der amerikanischen und englischen Pop Art, aber auch auf den unterschiedlichen Formen ihrer Rezeption, Parallelentwicklungen und Gegenbewegungen in der Bundesrepublik Deutschland. Dabei wird die Grafik nicht als preiswerte Alternative zur Malerei betrachtet, sondern es soll die Aufmerksamkeit auf die Bedeutung druckgrafischer Verfahren in der Pop Art gelenkt werden. In der Pop Art-Grafik wurden Phänomene der zeitgenössischen Konsumkultur nicht nur zur Kunst erhoben, sondern die Kunst auch zu einer lebensnahen Erfahrung, zu einem Leben mit Pop!

Leben mit Pop, 1963

Der Ausstellungstitel ist ein Zitat, ein Sample, das den künstlerischen Strategien der Pop Art nachgeahmt ist. Gerhard Richter und Konrad Lueg hatten vom 11. bis 25. Oktober 1963 unter dem Slogan Leben mit Pop das Möbelhaus Berges in Düsseldorf mitsamt den Ausstellungsstücken zu einer Kunstausstellung erklärt und am Eröffnungsabend zur Aktion Demonstration für den kapitalistischen Realismus eingeladen. An dem Abend wurde man zuerst in einen Warteraum im Möbelhaus eingeladen, der dekoriert war mit 13 Rehbockgeweihen, „geschossen 1938–42 in Pommern“, wie es im anschließenden Bericht der beiden Künstler nicht ohne bissigen Humor heißt. „Tanzmusik“ aus Lautsprechern erklang durch das gesamte Möbelhaus, Textpassagen aus dem Möbelkatalog wurden vorgelesen, Getränke gereicht. Pappmascheefiguren des amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy und des Düsseldorfer Kunsthändlers Alfred Schmela leisteten den Wartenden Gesellschaft, bevor sie in kleineren Gruppen zu Richter und Lueg in ein Wohnzimmer eingelassen wurden. Wie bei einer Kunstausstellung standen die Möbel auf Sockeln, die beiden jungen Kunstakademiestudenten hatten darauf Platz genommen. Sie verharrten dort als Ausstellungsstücke, ohne auf die Besucher zu achten, und führten erst am Ende der Veranstaltung alle durch das Kaufhaus. Ein Fernseher lief im Hintergrund und zeigte neben der Tagesschau zur Einstimmung auch den Bericht Die Ära Adenauer. Joseph Beuys, dessen Fluxusaktionen eine wichtige Inspirationsquelle dieser ‚Demonstration‘ waren, hatte einen seiner Filzanzüge an der Garderobe aufgehängt, verschiedene Zettel („Joseph Beuys is here“) und ein Karton mit Fetten kündeten von seiner ideellen Präsenz. Jeweils vier Gemälde, plakativ und pop-artig gemalt mit Sujets heimatlich-deutscher Befindlichkeiten wie Hirsch und Schloß Neuschwanstein von Richter oder Betende Hände und Bockwürste auf Pappteller von Lueg, waren in den verschiedenen Abteilungen des Kaufhauses aufgehängt. Zusammen mit der biederen Innenausstattung trafen die Bilder den Nerv einer sich nach Gemütlichkeit sehnenden und das Altbekannte schätzenden westdeutschen Nachkriegsgesellschaft, die Schuldgefühle für die Verbrechen während des Nationalsozialismus durch den Konsumrausch der Wirtschaftswunderjahre betäuben wollte.

Die als Happening inszenierte Aktion von Richter und Lueg im Möbelhaus Berges reagierte in eigenwilliger und mit Blick auf die westdeutschen Verhältnisse ironischer Weise auf ein Phänomen, das seit Kurzem die amerikanische und englische Kunstszene bewegte: Pop Art. Die Veranstaltung markiert einen der ersten Momente künstlerischer Reaktion auf die Pop Art in der jungen Bundesrepublik. Zwar war das biedere Möbelhaus Berges eher „popelig“ (K. König) als poppig, was den Künstlern sehr bewusst war und auch so in Szene gesetzt wurde. Doch kann man hinter der ironischen Zurschaustellung deutscher Spießigkeit auch ein Interesse an Grundideen der Pop Art wiedererkennen. Die Künstler zogen in die Warenwelt aus, um Konsumartikel als Kunstwerke in der Tradition von Ready Mades zu präsentieren und gleichzeitig eigene Gemälde in das angebotene Warenrepertoire zu integrieren. Bewusst wurden dabei Grenzen zwischen den kommerziellen, angewandten Künsten im Möbeldesign und der Hochkultur in Form von Malerei überschritten. Besondere Aufmerksamkeit wurden den neuen Medien zugemessen, Illustrierte – keine amerikanischen, sondern deutsche wie Schöner Wohnen – lagen im Warteraum aus, ein Fernseher wurde als Möbelstück und neues meinungsbestimmendes Massenmedium im Ausstellungsraum präsentiert. Musik spiegelte die lebensbejahende Seite der Popkultur wider, während das Vorlesen aus dem Verkaufskatalog eher einen dada-artigen Zug trug, bei dem Banales repetitiv vorgetragen einen gewissen Aufmerksamkeitswert erhielt. Die grotesk deformierte Pappfigur des einen Monat später in Dallas erschossenen John F. Kennedy wiederum ironisiert die Begeisterung der Westdeutschen für das junge Amerika. Zugleich stand der Präsident für die neue Bedeutung von jugendlicher Fotogenität eines Politikers, der gerade durch seine Medienpräsenz zu einem Star avanciert war. Die Pappfigur von Alfred Schmela schließt den Bogen zur Pop Art, da Schmela, einer der wichtigsten Düsseldorfer Galeristen, 1963 als erster ein Lichtenstein-Bild nach Deutschland gebracht hatte.

Richter und Lueg hatten sich zusammen mit Manfred Kuttner und Sigmar Polke wenige Monate zuvor unter dem Namen Kapitalistische Realisten kurzzeitig zusammengetan. Der Begriff, gespeist aus Richters Erfahrung mit dem sozialistischen Realismus und der westlich, marktwirtschaftlich ausgerichteten Gesellschaft der Bundesrepublik, war ein dialektisches und ironisches Spiel mit Gegensätzen, oder „einfach ein großer Spaß“, wie Richter später sagte. Mit der provozierenden Bezeichnung wollten die jungen Kunststudenten in Düsseldorf anfangs vor allem Aufmerksamkeit auf sich lenken. Mit der gleichen Intention hatten sich Richter, Lueg und Polke 1963 auch bei der wichtigsten Pop Art-Galeristin auf europäischem Boden, Ileana Sonnabend, in Paris als die „German Pop artists“ vorgestellt. Bereits die Einladungskarte zu der Aktion Leben mit Pop, auf der im Buchstaben ‚o‘ des Wortes ‚Pop‘ ein Luftballon fixiert war, den man aufblasen und zum Platzen bringen sollte, zeigt ihren ironisch-distanzierten Zugang zu Stilbegriffen und Gruppenbezeichnungen.

In der vor der Aktion Leben mit Pop geschalteten Ankündigung in der Düsseldorfer Lokalzeitung Mittag publizierten sie ein Foto von Claes Oldenburgs The Stove with meats von 1962 und wiesen damit auf einen Bezugspunkt ihrer Aktion hin. Auch hatten sie an Richard Hamiltons berühmte Collage Just what is it that makes today’s homes so different, so appealing? für den Katalog der Ausstellung This is tomorrow in London 1956 gedacht, auf der Hamilton zentrale Elemente der späteren Pop Art in einer analytischen Parodie konzentrierte. Das in „der Ikone der neuen Anti-Kunst“ (H. Belting) auf einem Lutscher deutlich zu lesende Wort ‚Pop‘ war kein Hinweis auf die eigentliche Pop Art, sondern definierten den allumfassenden Wandel in der Kultur, Mode, Design, Musik, Film und Kunst nach dem Zweiten Weltkrieg als Pop. Noch prägnanter und zugleich mit einer deutlichen Skepsis beschrieb Richard Hamilton die Grundlagen der späteren Pop Art in einem Brief von 1957: „Pop Art ist: Populär (entworfen für ein Massenpublikum), vergänglich (kurzlebig), verbrauchbar (schnell vergessen), billig, Massenprodukt, jung (für die Jugend bestimmt), witzig, sexy, trickreich, glamourös, großes Geschäft.“

Pop und Pop Art

Mit dem Titel Leben mit Pop hatten Richter und Lueg aufgenommen, was die westliche Welt in den nachfolgenden Jahrzehnten prägen sollte: der Einzug amerikanisch geprägter Massenkultur in das alltägliche Leben. Denn Pop wurde die nachhaltigste, alle Lebensbereiche bis heute verändernde Kulturerscheinung nach dem Zweiten Weltkrieg. Zentrale Bestandteile von Pop als Massenphänomen waren Musik, Zeitschriften und Mode, aber auch die bildende Kunst trug wesentlich dazu bei und formte den Begriff ‚Pop’. Der große Erfolg der Pop Art in den späten 1960er Jahren ging gerade in Deutschland Hand in Hand mit der Durchsetzung der Pop-Kultur. Pop Art war aber keine Illustration eines Lebensgefühls, sondern mit eigenständigen künstlerischen Mitteln Teil dieses kulturellen Umbruchs, indem sie die Wirkungsmechanismen von populären Bildmedien in der Kunst spiegelte. Allen Anleihen an die Trivialkultur zum Trotz blieb die Pop Art in erster Linie Teil der Hochkultur und fand über die Grafik zu einer stärkeren Popularisierung.

Der Terminus ‚Pop Art‘, vom englischen Kritiker und Kurator Lawrence Alloway im Umkreis der Independent Group in London um 1955 mit Blick auf die damalige Populärkultur verwendet, dient heute als Bezeichnung für Arbeiten englischer und amerikanischer Künstler ab etwa 1960. Die Künstler verband die Rückkehr zur gegenständlichen Kunst und das Interesse an den Folgen der massenindustriellen Entwicklung im Konsum-, Kultur- und Medienbereich. Sie konzentrierten sich auf die durch Technik und Werbung veränderte und durch Medien vermittelte gesellschaftliche Realität, wie sie von Marshall McLuhan und anderen seit den 1950er Jahren medientheoretisch analysiert wurde. McLuhans erste Veröffentlichung zur Populärkultur, The Mechanical Bride von 1951, trug den Untertitel Folklore of Industrial Man und gab wichtige Impulse für die Entwicklung der Pop Art als eine Kunstform, die Medienkultur als neue Volkskultur der industrialisierten Welt versteht. Lawrence Alloway hatte 1974 Pop Art noch als „Zeichen und Zeichensysteme“ einer neuen Kultur bezeichnet und damit auf semiologische Untersuchungen von Roland Barthes zurückgegriffen, der 1957 eine Reihe von Aufsätzen zum kritischen Verständnis von Alltagsphänomenen wie Autos, Fotos in Illustrierten, Spielzeug und anderen populären Dingen unter dem Titel Mythologies (Mythen des Alltags) publiziert hatte. Die Analyse der modernen Massenkultur, wie sie Mitte der 1950er Jahre im Umkreis der Londoner Independent Group diskutiert wurde, sollte Eingang finden in eine neue Pop-Ästhetik, in der die Grenzen zwischen Hoch- und Populärkultur aufgehoben und der Begriff der künstlerischen Autonomie aufgegeben werden sollte. Die damit einhergehende scheinbare Trivialisierung des Kunstbegriffs war ein regelrechter Schock, denn sie stellten den bis dahin gültigen Kunstbegriff, geprägt von Originalität, Virtuosität, Individualität und Spontaneität, grundsätzlich in Frage.

Pop-Künstler auf beiden Seiten des Atlantiks wandten sich gegen den gestischen Ansatz des Informell und des Abstrakten Expressionismus, der bis in die 1960er Jahre die Kunst beherrschte und von ihnen als elitär und lebensfremd betrachtet wurde. Der reinen Form und Farbe einer vergeistigten Abstraktion stellten sie – nicht ohne Selbstironie, aber vor allem in den USA mit einer großen inneren Distanz und Emotionslosigkeit – das Maschinelle und das Triviale des Alltäglichen gegenüber. Damit nahmen Pop-Künstler das auf, was der einflussreiche amerikanische Kunstkritiker Clement Greenberg 1939 in seinem Aufsatz Avantgarde und Kitsch als nicht-kunstwürdig bezeichnet hatte. Mit der Abwendung von der Abstraktion und der Hinwendung zum Realismus brachen Pop-Künstler mit einem Grundverständnis der Moderne, nach dem die Kunst selbstreferentiell und allein aus sich selbst zu schöpfen habe. Auf ihre Weise gaben sie einem klassischen Topos der frühen künstlerischen Bewegungen des 20. Jahrhunderts, die Aufhebung der Abgrenzung von Kunst und Leben, eine neue Bedeutung. Sie fanden Berührungspunkte mit dem Futurismus ebenso wie mit Dada und konnten sich auf Wegbereiter der künstlerischen Avantgarden des 20. Jahrhunderts wie Marcel Duchamp oder Kurt Schwitters berufen. Besonders Duchamp, der seit 1942 in New York lebte, war für die amerikanische Kunst nach dem Zweiten Weltkrieg eine wichtige Referenz. Indem er vorgefundene Alltagsobjekte als ‚Ready Mades‘ ins Museum verlegte und damit zu Kunstwerken erklärte, hatte der Franzose unter anderem die Bedeutung der künstlerischen Autorschaft und den traditionellen Kunstbegriff radikal in Frage gestellt. Für Künstler der Pop Art war dieser subversive Ansatz von großer Bedeutung, da er die Erhebung von vorgefertigten Bildern beziehungsweise Objekten der Trivialkultur zu Kunstwerken und die Verwendung von maschinellen Reproduktionstechniken entscheidend vorbereitet hatte.

Pop Art in den USA

Da Pop Art in erster Linie als ein amerikanisches Phänomen wahrgenommen wurde, beginnt die Ausstellung mit Werken aus den USA mit den beiden Zentren der amerikanischen Kunst New York und Los Angeles. Im New York der späten 1950er Jahre hatten die mit späteren Arbeiten gezeigten Künstler Robert Rauschenberg (s. S. #) und Jasper Johns (s. Abb. S. #), dann auch Allan Kaprow, Jim Dine, Claes Oldenburg (s. Abb. S. #) und Larry Rivers als Wegbereiter der Pop Art eine große Bedeutung. Rauschenberg und Johns waren in der Frühphase besonders wichtig, da die beiden engen Freunde das traditionelle Verständnis des Tafelbildes erweiterten. Sie brachten Elemente des Alltags und des Zufalls in ihre Kunst ein und formulierten das Problem von Abbildhaftigkeit und Identität eines Bildes neu. Kaprow, Dine und Oldenburg hatten Ende der 1950er Jahre mit Happenings angefangen, bei denen sie die Grenzen der Kunst mit performativen Ansätzen und der Integration von Gebrauchsgegenständen aufgehoben hatten. Dies waren entscheidende Impulse für die Entwicklung der Pop Art, die anfangs noch mit verschiedenen Bezeichnungen wie Neo-Dada, New Realists oder New Vulgars belegt wurde, sich jedoch ab etwa 1962 mit dem „Markennamen“ (W. Grasskamp) Pop Art in den USA durchsetzte.

Um 1960 bildete sich die Kerngruppe amerikanischer Pop-Künstler in New York heraus, zu der neben Claes Oldenburg auch Roy Lichtenstein, Andy Warhol, James Rosenquist, Tom Wesselmann und Robert Indiana gezählt werden. Anfangs angefeindet, brachen sie mit der Dominanz des Abstrakten Expressionismus und entwickelten sich auch dank der Unterstützung von Galeristen und Sammlern in den 1960er Jahren zu den maßgeblichen Künstlern der New Yorker Kunstszene. Es sind vor allem ihre Arbeiten, die als typische Pop Art wahrgenommen wurden und sie weltweit bekannt machten. Die meisten dieser Künstler waren gelernte Gebrauchsgrafiker oder Reklametafelmaler. Sie kannten die Wirkungsmechanismen der Werbebilder und die Ökonomie der Aufmerksamkeit bestens. „Die Pop-Künstler machten Bilder, die jeder, der den Broadway entlangging, im Bruchteil einer Sekunde wiedererkennen konnte“, so Andy Warhol rückblickend 1980, „Comics, Picknicktische, Männerhosen, Berühmtheiten, Duschvorhänge, Kühlschränke, Colaflaschen – all die großartigen modernen Dinge.“ Diese neuen Bildthemen verlangten nach neuen Techniken, welche die Pop-Künstler in mechanischen Reproduktionsverfahren beziehungsweise in der malerischen Nachahmung solcher Techniken fanden. Dabei übernahmen sie Spezifika aus Reklame und Gebrauchsgrafik wie Rasterpunkte oder die Motivwiederholung als ästhetische Schlüsselreize für ihre Kunst. Da Pop Art das gemeinsame Label war, unter dem sie sich vermarkteten, bediente sich jeder der Künstler einer bestimmten Thematik oder Technik, die sie von den anderen unterschied. Roy Lichtenstein konzentrierte sich unter anderem auf die Benday-Rasterpunkte und die Monumentalisierung des Trivialen durch die Verwendung von Comicstripvorlagen (s. S. #). Andy Warhols Spezialität lag auf der seriellen Wiederholung von Bildern aus Illustrierten und von Konsumgütern, die die Bedeutung des einzelnen Motivs reduzierte und Kunst im industriellen Siebdruck zum jederzeit wiederholbaren Produkt deklarierte (s. S. #). Claes Oldenburgs Interesse galt der Warenwelt und der Konsumkultur, die er zumeist in überdimensionierten und materialbetonten, weichen Plastiken persiflierte. Die plakative und ausschnitthafte Reduzierung stereotyper Motive aus Film und Werbung in Akten, Stillleben und Interieurs wurde ein Markenzeichen von Tom Wesselmann (s. Abb. S. #), während sich Robert Indiana auf eine typografische Zeichenhaftigkeit konzentrierte (s. S. #) und James Rosenquist atmosphärische Werbetafelbilder mit gesellschaftskritischen Hintersinn malte (s. S. #). Auch ein Künstler wie Alex Katz, der sich nicht zur Pop Art zählt, griff in seiner grafisch reduzierten Formensprache auf Techniken der auf Weitsicht konzipierten Reklamemalerei zurück.

Neben New York war Los Angeles das zweite Zentrum der amerikanischen Pop Art. Durch die Pop Art etablierte sich die Filmstadt auch als Kunststadt. Einen wichtigen Beitrag dazu leistete die Galerie Ferus, in der auch einem damals noch unbekannten Künstler 1962 seine erste eigene Ausstellung in den USA eingerichtet wurde: Andy Warhol. Neben anderen sind es vor allem Ed Ruscha, ebenfalls bei Ferus, und Mel Ramos, die einen eigenen Westküstenstil der Pop Art prägten (‚California cool‘). Auf unterschiedliche Weise verarbeiten beide Phänomene der modernen Bild- und Konsumkultur, die in Kalifornien mit seiner Film- und Unterhaltungsindustrie eine wichtige Rolle im täglichen Leben spielten. Ed Ruscha wandte sich stärker konzeptuell der Fotografie, den Schriftzeichen und der städtischen Landschaft zu und thematisierte dabei in den 1960er Jahren die landmarks und trademarks der Westküstenkultur (s. S. #). Mel Ramos hingegen konzentrierte sich in immer gleicher Weise auf die sexistisch aufgeladenen, stereotypen Frauenbilder in der amerikanischen Werbung, die er in eindeutigen Posen amerikanischer Pin-ups aus dem Playboy mit Konsumartikeln wie Hamburger oder Cola-Flaschen persiflierte (s. S. #).

Im Anschluss an die beiden Zentren der amerikanischen Pop Art werden Grafiken von Künstlern gezeigt, die nicht unmittelbar der Pop Art zugerechnet werden, aber die sich explizit mit dem Verhältnis von Medien zur Realität auseinandergesetzt und damit Überlegungen der Pop Art fortgeführt haben. Dazu zählen die Grafiken des Videokünstlers Les Levine, der kommunikative Strukturen als Teil seiner künstlerischen Arbeit begriff, oder auch die des Briten Malcolm Morley, der sich 1958 in New York niederließ und unter dem Einfluss der amerikanischen Pop Art präzise malerische Wiedergaben nach Reiseprospekten oder Postkarten schuf. Damit trug er entscheidend zur Entwicklung des Foto- oder Superrealismus bei, der mit Howard Kanovitz und Richard Estes hier vertreten ist. Besonders Estes griff die von der Pop Art gestellten Überlegungen zum Wahrheitsgehalt von Reproduktionen auf und trug mit seinen Arbeiten zur Befragung einer eigenen Bildrealität oder „Hyperrealität“ (J. Baudrillard) bei.

Pop Art in Großbritannien

Großbritannien gilt als das Geburtsland der Pop Art, ohne jedoch den gleichen Einfluss auf ihre weltweite Wahrnehmung gehabt zu haben wie die auch kommerziell erfolgreichere amerikanische Version, die dank eines größeren Netzes von Galeristen und Sammlern sich besser vermarkten konnte. In London hatten sich von 1952 bis 1955 Künstler, Architekten, Designer, Fotografen und Kritiker zur Independent Group zusammengefunden, um die Auswirkungen der nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem aus den USA kommenden Massenmedien, aber auch von neuem Design, Technik, Moden, Musik oder der Werbung auf das Leben in der Großstadt zu diskutieren und in Ausstellungen wie etwa Parallel of Life and Art (1953) oder This Is Tomorrow (1956) darzustellen. Aus diesen Debatten heraus wurden Ansprüche an eine neue moderne beziehungsweise postmoderne Kultur formuliert und damit Grundlagen der späteren Pop Art geschaffen. Zur Independent Group gehörten unter anderem die beiden Künstler Eduardo Paolozzi und Richard Hamilton sowie der Kritiker Lawrence Alloway, die maßgeblich für die weitere Entwicklung der britischen Pop Art wurden. „Es ist eine Sache der Blickerweiterung – der Ausdehnung seiner Landschaft – die den Künstler veranlasst, Massenmedien als Quellenmaterial anzusehen“, hatte Richard Hamilton später die Ausgangslage seiner Überlegungen zur Pop-Kultur beschrieben, „in den fünfziger Jahren sind wir uns mehr der Möglichkeit bewusst geworden, die ganze Welt auf einmal durch die große, uns umgebende Matrize zu sehen, ein synthetischer ‚Augenblick‘. Kino, Fernsehen, Illustrierte, Zeitungen überfluteten den Künstler mit einer Totallandschaft, und diese neue Umgebung war fotografisch.“ Diese fotografisch definierte ‚Totallandschaft‘ machten die Künstler der Pop Art zum Gegenstand ihrer neuen Kunstauffassung.

Als einer der ersten hat der hier in der Ausstellung mit späteren Grafiken gezeigte Paolozzi zwischen 1947 bis 1952 amerikanische Illustrierte zu Collagen unter dem Titel Bunk! verarbeitet. Sein Ziel war es, visuelle Phänomene jeder Art zu einer ausdrucksstarken Bildsprache zu vereinen. Richard Hamilton wiederum formulierte den Anspruch der Pop Art in Großbritannien mit dem Ziel einer neuen Bildkultur sowohl in seiner Kunst als auch in Ausstellungskonzeptionen und Schriften. Sein Interesse galt unter anderem der Überwindung von Gattungsgrenzen zwischen angewandter und freier Kunst, die er als nicht zeitgemäß empfand. Zugleich wandte er sich der kritischen Analyse von Wahrnehmungs- und auch Manipulationsprozessen von Bildern des modernen Massenkonsums zu (s. S. #).

Ende der 1950er Jahre folgte eine Generation von englischen Künstlern, die fast alle am Royal College of Art in London ausgebildet wurden und sich stärker auf Amerika orientierten als Hamilton oder Paolozzi. Während englische Beatmusik in Amerika ihren Siegeszug antrat (‚British Invasion’), fand in London die New Yorker Pop Art einen besonderen Widerhall, der fast einer „zweiten Entdeckung Amerikas“ (W. Grasskamp) gleichkam. Richard Hamilton blieb zwar als Künstler, Lehrer und intellektueller Kopf prägend, jedoch suchten Künstler wie Peter Blake, Richard Smith und Joe Tilson, dann auch R. B. Kitaj, Allen Jones, Gerald Laing oder Peter Phillips eigene Wege im Umgang mit den neuen Impulsen aus den USA. Unter den etwas älteren Künstlern wie Richard Smith oder Peter Blake ist dabei noch eine stärkere Neigung zu einer europäischen Tradition der Malerei zu erkennen. Peter Blake wandte sich eher seinen persönlichen Erinnerungen an die Jugend- und Musikkultur in England statt einer anonymen Konsumwelt zu (s. S. #), während Richard Smith, ein Vertreter der nicht-gegenständlichen Farbflächenmalerei, nach einem Aufenthalt in New York Ende der 1950er Jahre in seinen Grafiken stärker auf die amerikanische Werbe- und Filmästhetik reagierte. Auch Joe Tilson rezipierte amerikanische Werbetechniken, sowohl ikonografisch in der Aufnahme trivialer Werbemotive als auch materiell, etwa in der Verarbeitung von Materialien wie PVC (s. S. #).

Künstler wie Allen Jones, Gerald Laing oder Peter Phillips, die zeitweilig auch in den USA arbeiteten, suchten eigene Wege im Umgang mit der neuen Kunst aus den USA. Allen Jones lebte einige Jahre in New York und in Los Angeles, von wo er unter anderem eine Sammlung amerikanischer Fetisch-Illustrationen aus den 1940er und 1950er Jahren mit nach Europa brachte. Mit seinen vordergründig sexistisch-dominanten Figurendarstellungen, in reduziert kühler Manier gemalt, provozierte Jones Konservative wie Liberale gleichermaßen, wobei sein Interesse den ins Unterbewusste verdrängten Obsessionen galt (s. Abb. S. #). Der Amerikaner R. B. Kitaj, seit 1960 in London und ebenfalls Absolvent des Royal College of Art, hat mit der Pop Art seiner Künstlerkollegen wenig gemein, jedoch montierte er in seinen Grafiken Fotos und Texte wie gestaffelte Filmsequenzen, die seine persönliche Auseinandersetzungen mit der europäischen und speziell jüdischen Kultur in einer komplexen Bildsprache veranschaulichen. Ganz anders gingen Künstler wie Peter Phillips oder Gerald Laing vor. Mit intensiven Farben und grafischer Reduziertheit orientierten sie sich eher an der Direktheit des New Yorker ‚hard-core pop‘. Gerald Laing interessierte sich für die Wahrnehmung der Bilder in Werbung und Mode, die er mit den Pop-typischen Rasterpunkten umsetzte, während Phillips eher Themen wie Spielautomaten, Autos, erotische Sujets und die großstädtische Unterhaltungskultur auf eine sehr glatte, maschinell wirkende Weise verarbeitete (s. S. #).

Parallelentwicklungen und Gegenbewegungen in der Bundesrepublik Deutschland

Mit den selbst ernannten „German Pop artists“ von der Düsseldorfer Kunstakademie, Gerhard Richter, Konrad Lueg und Sigmar Polke beginnt der dritte Teil der Ausstellung, der, mit Ausnahme des Österreichers Otto Muehl, der westdeutschen Druckgrafik der 1960er und frühen 1970er Jahre gewidmet ist. Neben Fluxus, visueller Poesie, Prozess- und Konzeptkunst wurden in diesen Arbeiten auch Ansätze der Pop Art verarbeitet, ohne dass es zu einer direkten Übernahme der Pop Art gekommen wäre. Es sind hier eher Parallelentwicklungen und auch Gegenbewegungen zum Pop-Phänomen zu erkennen. 

Die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu den USA waren in den 1960er Jahren ambivalent und sowohl von Aneignungsstrategien als auch von Abneigungen geprägt. Zwar stand Westdeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg in einem engen Verhältnis zu den Vereinigten Staaten, allerdings litt das Ansehen der USA in der zweiten Hälfte der 1960er Jahren vor allem wegen ihrer militärischen Intervention in Vietnam ab 1965. Für viele westdeutsche Künstler und Kunstinteressierte blieb New York jedoch die wichtigste Referenz. Während der Hochphase der Studentenproteste 1968 etwa öffnete die 4. documenta ihre Hallen für die amerikanische Kunst und die Pop Art mit großem Publikumserfolg, was ihr den Beinamen Americana eintrug. Unabhängig von der damaligen Einschätzung, ob die amerikanischen Pop-Künstler affirmativ, kritisch oder ironisch zur Medien- und Konsumwelt standen – Horkheimer und Adorno sprachen von der „Kulturindustrie“, Enzensberger von der „Bewusstseinsindustrie“ –, galten in Deutschland ganz andere Ausgangsbedingungen als in den USA, Großbritannien oder in übrigen europäischen Ländern. Denn dreißig Jahre nach dem Aufstieg des Nationalsozialismus als Volks- und Massenbewegung und seinem Erfolg auch durch öffentliche Medien war es in der Bundesrepublik nicht möglich, ein ungebrochenes Verhältnis zur Massenkultur zu haben. Die Künstler mussten vor dem Hintergrund der eigenen Geschichte einen eigenen Umgang damit finden. „Die Aussage der amerikanischen Pop Art war so kraftvoll, so optimistisch, aber auch so limitiert, dass wir denken konnten, da kann man sich nur von absetzen und ein anderes Anliegen unterbringen“, erinnerte sich Gerhard Richter 2002 an seine Reaktion auf die Pop Art in den frühen 1960er Jahren, „Wir konnten nicht denselben Optimismus produzieren und dieselbe Art von Humor oder Ironie. […] Bei Polke und mir war das alles gebrochener.“ Jedoch kamen die von Pop-Künstlern aufgeworfenen Fragen zur Bedeutung der medial vermittelten Bilder und zur Alltagskultur ihren eigenen Überlegungen zur Erneuerung der Kunst jenseits von Abstraktion und Informel entgegen. Gerhard Richter, der seine künstlerische Ausbildung in der DDR gerade erst hinter sich gelassen hatte, verweigerte sich dem Fortschrittsmodell der Moderne und setzte in den 1960er Jahren einer Überbewertung von Sujet, Stil oder persönlichem Duktus die Verwendung von Amateurfotos und Zeitungsbildern als verunschärfte Vorlagen seiner Malerei entgegen (s. S. #). Konrad Lueg, der in den 1960er Jahren unter seinem bürgerlichen Namen Fischer zum wichtigsten Galeristen für amerikanische Kunst und besonders der Minimal Art in Düsseldorf wurde, benutzte unter anderem Handtücher und Tapeten als Vorlagen für seine Grafiken. Bei ihm ist eine besondere Nähe zur amerikanischen Pop Art in der Aufnahme von Trivialkultur mit ironischem Blick auf den deutschen Alltag zu erkennen. Die Wiedergabe der mit geometrischen Mustern in Grundfarben dekorierten Gebrauchsgegenstände kann man auch als Persiflage auf vergeistigte Abstraktionsformen der Moderne wie etwa bei Piet Mondrian verstehen. Sigmar Polke vermied Eindeutigkeiten, allerdings griff er unter anderem die Thematik einer Medienwirklichkeit und der Manipulierbarkeit von Bildern auf, wobei er die technischen Bedingungen der Reproduktion, wie etwa Rasterpunkte, zu einem bisweilen den Betrachter auch verwirrenden Thema seiner Arbeiten erhob (s. S. #). Andere Künstler, wie Timm Ulrichs, Dieter Roth oder H. A. Schult, kombinierten hier Ansätze von Fluxus, Konzept- und Prozesskunst mit Elementen der Pop Art. Serielle Verfahren und Rasterungen, wie bei der Grafik von Ulrichs, und auf starke plakative Wirkung setzende Farbgebung mit Motivwiederholungen bei Roth können als Nachwirkung einer Pop-Ästhetik verstanden werden. Der dem Informell nahestehende Peter Brüning wiederum verdichtete in seinen Grafiken technische Symbole und Stadtansichten zu Verkehrslandschaften; er nahm damit Überlegungen zu den Auswirkungen der modernen Technik auf die städtische Kultur auf, die auch die ersten englischen Pop Art-Künstler beschäftigte.

Andere Grafiken spiegeln thematisch den gesellschaftlichen und politischen Wandel – sprichwörtlich zwischen Marx und Coca-Cola – in der Bundesrepublik der späten 1960er Jahre wider. Die sogenannte sexuelle Revolution schlug sich in einer Zunahme von erotischen Darstellungen nieder. Die mit den drei Auschwitz-Prozessen von 1963 bis 1968 offen zu Tage tretende Frage nach der deutschen Schuld während des Nationalsozialismus, die besonders die Jugend und Studenten gegen ihre Eltern aufbrachte, aber auch die 1968 von der Großen Koalition verabschiedeten Notstandsgesetze und der Vietnamkrieg trugen wiederum zu einer deutlichen Politisierung vieler Künstler bei. Gestaltungstechniken der Pop Art, aber auch Foto- und Textmontagen in der Tradition John Heartfields wurden in den 1960er Jahren zunehmend im Sinne des ‚Agit-Prop’ in der Hoffnung auf eine größere gesellschaftskritische Relevanz eingesetzt. In den Arbeiten von Thomas Bayrle stehen hinter einer rein äußerlichen Nähe zur seriellen Wiederholung in der Pop Art Überlegungen zum Verhältnis von Individuum und Gesellschaft, die sich eher auf soziologische Untersuchungen stützen und ikonografisch der Konsumkultur öffnen (s. S. #). KP Brehmer wiederum gehörte wie Wolf Vostell der zweiten, vom Galeristen René Block „bewusst gegen die amerikanische Pop Art aufgestellten“ (R. Block) und antibürgerlichen Phase des Kapitalistischen Realismus in Berlin an. Politisch engagiert, griff er in seinen frühen Trivialgrafiken Klischees der Medienwelt mit gesellschaftlicher Relevanz auf oder kommentierte in seiner Reihe von nachgeahmten Briefmarken die politische Symbolkraft staatlicher Hoheitszeichen (s. S. #). Der österreichische Aktionist Otto Muehl verübte einen kalkulierten, befreienden Tabubruch mit den holzschnittartigen und kindlich verstellten Darstellungen politischer Führer (s. Abb. S. #). Und der Konzeptkünstler Jochen Gerz thematisierte in seiner zur visuellen Poesie neigenden Grafik die hinter dem Begriff ‚Revolution‘ stehende Militanz in Form von Patronenhülsen. Wolf Vostell, Fluxuskünstler und Pionier der Videokunst, ist in der Ausstellung sowohl mit Grafiken zu seinen Happenings als auch mit explizit politischen Arbeiten vertreten (s. S. #). Klaus Staeck schließlich engagierte sich ebenfalls mit den drei gezeigten Montagen für ein stärkeres politisches Bewusstsein mit Blick auf die von vielen als imperialistisch empfundenen Politik der USA (s. S. #). Besonders der Vietnamkrieg und die damit einhergehende Bilderflut wurden in Verbindung mit einer antikapitalistischen und bisweilen antiamerikanischen Haltung wichtige Referenzen für viele Künstler dieser Zeit, die mit ihren Arbeiten einen mediale Gegenkultur zur häufig amerikafreundlichen offiziellen Berichterstattung bildeten.

Pop Art und Druckgrafik

Ob stärker an Themen der Medien- und Konsumkultur oder an gesellschaftlichen und politischen Problemen interessiert, es eint die hier gezeigten Künstler aus den USA, England und Deutschland ein neuer Umgang mit der Druckgrafik und dem reproduzierten Bild. Die Zeit der Pop Art war eine Ära der Wiederentdeckung von künstlerischen und industriellen Drucktechniken und eine Zeit druckgrafischer Experimente (siehe den Aufsatz von K. Skrobanek in diesem Katalog). Denn der neue Blick der Pop-Künstler auf ihre Waren- und Alltagswelt erforderte neue künstlerische Produktionsmöglichkeiten, die sie in traditionellen und industriellen druckgrafischen Techniken fanden. Ein Charakteristikum der Pop Art war die Erhebung technischer Verfahren zum prägenden Gestaltungselement, zu ihrem Markenzeichen, in der die maschinelle Verarbeitung reproduzierter Bilder mit eigenen künstlerischen Interventionen kombiniert wurde. Viele der hier gezeigten Künstler wie Andy Warhol, Ed Ruscha, Richard Hamilton, Peter Blake oder Peter Phillips waren gelernte Gebrauchsgrafiker, andere wie Wolf Vostell oder KP Brehmer hatten in jungen Jahren eine Ausbildung im reproduktionsgrafischen Bereich erhalten. Sie verfügten über eine höhere Affinität zu Drucktechniken und benutzten die bis dahin in der Industrie oder der angewandten Kunst verwendeten Verfahren wie Siebdruck oder den Offset für ihre eigene künstlerische Arbeit (siehe zur Erläuterung der Techniken den Glossar von Lukas Holldorf in diesem Katalog). Auch ältere Techniken wie der aufwendige Lichtdruck oder die Lithografie erhielten eine neue Aufmerksamkeit unter den Künstlern. Die hohe Qualität der Blätter war auch der engen Zusammenarbeit von Künstlern mit hochspezialisierten Druckwerkstätten geschuldet. Jasper Johns, Robert Rauschenberg, Jim Dine, Larry Rivers und James Rosenquist zum Beispiel arbeiteten unter anderem mit Universal Limited Art Editions in New York zusammen, Claes Oldenburg mit dem Pratt Graphics Center in New York, Eduardo Paolozzi, Richard Hamilton und andere britische Künstler mit dem Kelpra Studio in London, Hamilton auch mit der Edition Domberger in Stuttgart, Roy Lichtenstein mit Gemini G.E.L., Gerhard Richter zuerst mit der HofhausPresse in Stuttgart und dann gemeinsam mit Sigmar Polke auch mit der Edition h in Hannover. Ed Ruscha hingegen übernahm Druck und Vertrieb seiner fotografischen Künstlerbücher in Los Angeles anfangs selbst, bevor er sich mit dem Tamarind Lithography Workshop zusammentat.

Pop Art-Grafiken trugen maßgeblich zur größeren Kenntnis der amerikanischen und englischen Kunst in Deutschland bei und waren zudem als ‚reproduzierte Originalgrafik’ auch ein begehrtes Sammelobjekt zu relativ erschwinglichen Preisen. Als wichtige Grafikedition mit Künstlern aus den USA und England sind zum Beispiel die 3 Bände der 11 Pop Artists – The New Image von 1966 zu nennen, aus denen hier Jacky II von Andy Warhol, Sweet Dreams Baby! von Roy Lichtenstein, Nude von Tom Wesselmann oder auch Custom Print I von Peter Phillips gezeigt werden. Finanziert durch Philipp Morris, tourte sie als Wanderausstellung durch amerikanische und europäische Galerien. Editionen dienten aber auch dazu, größere Aufmerksamkeit auf das Medium der Druckgrafik zu lenken. Richard Hamilton etwa regte 1964 in London das The Institut of Contemporary Arts Portfolio mit Druckgrafiken von 24 Künstlern an, das die hohe künstlerische Qualität der bei Kelpra in London gedruckten Grafiken in England publik machte. Zu dieser Mappe gehören zum Beispiel die hier gezeigten Arbeiten von Richard Smith (PM Zoom) und Peter Blake (Beach Boys). In Deutschland ist zum Beispiel die durch René Block herausgegebene Grafikmappe des Kapitalistischen Realismus von 1967 beziehungsweise 1971 zu erwähnen, die Grafiken von Gerhard Richter, Konrad Lueg, Sigmar Polke, K.H. Hödicke, KP Brehmer und Wolf Vostell vereint.

Parallel zur Öffnung des Werkbegriffs hin zum Prozesshaften und zur Integration von Rezeptionsabläufen wurde in den 1960er Jahren auch die Distribution als Teil der künstlerischen Praxis verstanden. So war die Produktion von Grafik-Editionen mit hohen und insgesamt preisgünstigen Auflagen, nicht nur von Pop Art-Grafiken, auch von der Hoffnung auf größere Zugänglichkeit und Teilhabe begleitet. Gerade der Offsetdruck eignete sich dafür besonders gut. Während in England 1967 zum Beispiel 10 000 Poster von Peter Blakes Babe Rainbow zum Preis von einem Pfund mit dem Wunsch vertrieben wurden, Kunst, Mode und ein positives Lebensgefühl den Menschen zu vermitteln, fand der Offset bei einigen deutschen Künstlern wie KP Brehmer oder Klaus Staeck aus politischen Gründen im Sinne einer Demokratisierung der Kunst Verwendung – ein Gedanke, den Walter Benjamin bereits 1936 in seiner Untersuchung über das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit formulierte. Die auflagenstarke Grafik versprach eine unvermittelte Rezeption der Kunst und wurde als ein Mittel zur Bewusstseinsänderung angesehen. Klaus Staeck etwa gründete bereits 1965 mit der Edition Tangente einen eigenen Produzentenverlag und spezialisierte sich auf Massenauflagen und -vertrieb von Kunst auf Postkarten und Postern. Unter den in der Ausstellung gezeigten Grafiken hat Staeck zum Beispiel die Siegessäule von Dieter Roth, Mylai von Wolf Vostell oder auch ABC des Lesens von Jochen Gerz produziert. Für den Vertrieb spielten in Deutschland Jahresgaben von Kunstvereinen, Grafikeditionen von Galerien und auch Zeitschriftenbeilagen eine wichtige Rolle. Auf der bereits erwähnten 4. documenta 1968 wurde zum Beispiel eine eigene Edition angeboten, zu der etwa das Autobahn-Denkmal von Peter Brüning und das Nose Handkerchief von Claes Oldenburg gehören. Auch Galerien legten sich Grafik-Vertriebe zu, wie die für Pop Art wichtigste New Yorker Galerie Leo Castelli, die unter anderem Roy Lichtensteins Crying Girl, CRAK! und Temple herausgab. Sogar Kaufhäuser boten Blätter zeitgenössischer deutscher Künstler an, wie 1966 Flugzeug I von Gerhard Richter der Edition Rottloff im Kaufhof. Dementsprechend wurde die Auflagehöhe angepasst, in München etwa legte die Galerie Leonhart eine Arbeit von Richard Hamilton in 5 000 Exemplaren auf. Die hier gezeigten Drucke Coke und Del Monte von Mel Ramos wurden zum Beispiel in einer Auflage von 2 500 Stück publiziert, KP Brehmers Trivialgrafik in einer Auflage von 1 200 Blättern. Der Erfolg von Grafik war so groß, dass mit der Ars Multiplicata 1968 den konventionellen Druckgrafiken ebenso wie den Editionen und Auflagenobjekten in Köln eine eigene Ausstellung gewidmet wurde. Die meisten Auflagen im Bereich der amerikanischen und englischen Pop Art blieben freilich weit unter den hier genannten Zahlen, in einer dem höheren Segment des internationalen Kunstmarkts angemessen Niveau mit entsprechenden Preisen.

Ausklang

Der Erfolg der Pop Art in Amerika, maßgeblich durch Galeristen wie etwa Leo Castelli, Ivan Karp oder Sidney Janis und Sammler wie Philip Johnson, Robert und Ethel Scull oder Leon Kraushar gefördert und entsprechend eng mit dem Kunstmarkt verbunden, hielt nur ein paar Jahre an. Ab etwa der Mitte der 1960er Jahre ließ das Interesse auf dem amerikanischen Kunstmarkt nach, als in Europa die erste Begeisterungswelle für Pop Art einsetzte. Deren sichtbarstes Zeichen 1964 die Verleihung des Goldenen Löwen an Robert Rauschenberg auf der Biennale von Venedig. In Europa war ihr Erfolg ebenfalls eng mit der Aktivität von Galeristen und Sammlern verbunden, etwa von Galeristen wie Ileana Sonnabend in Paris, anfangs Franz Dahlem und Heiner Friedrich in München, Rudolf Zwirner in Köln und Alfred Schmela in Düsseldorf, und Sammlern wie den Großindustriellen Karl Ströher und Peter Ludwig, aber auch des Düsseldorfer Rechtsanwalts Heinz Beck. Beck hatte ab etwa 1965 die wichtigste Pop Art-Grafiksammlung in Deutschland zusammengetragen, die den großen Erfolg der Pop Art in der Bundesrepublik widerspiegelt. Die öffentliche Präsentation ihrer Sammlungen ab 1968 etablierte die Pop Art als Publikumsliebling in Deutschland.

Der mit den 1960er Jahren und der Pop Art verbundene Optimismus wich jedoch Anfang der 1970er Jahre einer globalen wirtschaftlichen, kulturellen und ökologischen Krise, der auch eine Krise des Kunstmarkts folgte. Kapitalismus- und Konsumkritik, Vietnamkrieg und auch die Umweltverschmutzung trugen zuerst in Amerika und dann in Europa auch zu einer Abwendung von der Pop Art bei. Vielen Pop-Künstlern wurde vorgeworfen, zu affirmativ mit dem American Way of Life umzugehen und zu wenig gesellschaftskritisch zu argumentieren. Ab etwa 1972, als der Club of Rome die ‚Grenzen des Wachstums’ verkündete, kühlte die Begeisterung für die Pop Art und die Popkultur auch in Deutschland merklich ab. Hinzu kommt, dass sich ebenfalls das Bezugssystem der Pop Art mit dem in den frühen 1970er Jahren zu Ende gehenden „Kapitalismus der industriellen Massenproduktion“ (S. Neckel) grundlegend änderte. Künstler aus den Bereichen der Medien- und Konzeptkunst oder der Minimal und Land Art setzten sich im öffentlichen Bewusstsein zunehmend durch, hatten sie doch zeitweilig ein schärferes und wirkungsvolleres Instrumentarium mit Blick auf die offen zu Tage tretenden medialen Veränderungen, gesellschaftlichen Probleme und künstlerischen Fragen entwickelt. Deutlich war der Paradigmenwechsel von der Pop Art zu konzeptuellen Kunstformen auf der documenta 5 von 1972 von Harald Szeemann zu erkennen, die nun unter dem Zeichen der ‚individuellen Mythologien‘, der Performance, der Prozess- und Konzeptkunst und auch des Fotorealismus stand. Pop Art wurde historisch, bisweilen verkitscht, und fand erst in den 1980er Jahren unter anderen Vorzeichen zu einem erneuten Aufleben.

50 Jahre nach dem Durchbruch der Pop Art in New York 1962 und knapp 30 Jahre nach der ersten Pop Art-Ausstellung in Leipzig – 1984 wurden Werke der Sammlung Ludwig in der Galerie der Hochschule für Grafik und Buchkunst präsentiert – will die Ausstellung Leben mit Pop! die hier skizzierten Entwicklungen darstellen und dabei besonders den Blick auf die Bedeutung der Druckgrafik für die Kunst der 1960er Jahre lenken. „Die Pop Art hat vieles verändert – die Art der Menschen, Bilder zu betrachten“, schrieb Peter Blake 1967. Damit eng verknüpft sind die durch Pop-Künstler mit thematisierten Fragen zu Reproduktion und Urheberschaft, die sich gerade in Zeiten des digitalen copy and paste neu stellen. Der Wandel eines kollektiven Bildgedächtnisses unter dem Vorzeichen einer kapitalistischen Massenkultur und die Reproduzierbarkeit von Bildern wurden von Pop-Künstlern zu Kernthemen ihrer Kunst erhoben, die gerade in der Druckgrafik deutlich zu Tage treten. Pop Art gehört damit zur Vorgeschichte eines postmodernen Diskurses, der Fragen von Originalität und Meistererzählung der Moderne in den Mittelpunkt stellt.

Frédéric Bußmann

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