/ April 16, 2008/ Aufsätze

Nordkirchen

Im südlichen Münsterland, dem ehemaligen Oberstift Münster, verspricht auf der Autobahn ein Hinweisschild eine besondere touristische Attraktion: ‚Schloß Nordkirchen – das westfälische Versailles‘.1 Der Vergleich der bekanntesten französischen Residenz mit einem Wasserschloß in Westfalen erscheint zunächst befremdlich, mag man in dieser Gegend doch eher an Candides Baron Thunder-ten-tronckh denn an die französischen Könige denken. Vergegenwärtigt man sich jedoch die Konturen des Baus auf dem Schild, ist man erstaunt über die vordergründige Ähnlichkeit der beiden Bauten. Welche Ausstrahlung mögen das Versailler Schloß und die französische Architektur, die bereits um 1700 bis in die westfälische Tieflandbucht gereicht zu haben scheinen und die bis heute zur Selbstdarstellung der Region herangezogen werden, auf die Auftraggeber und die Architekten im Oberstift Münster gehabt haben? Das Verhältnis des künstlerischen und architektonischen Einflusses Frankreichs zu den gesellschaftlichen und politischen Normen im Reich wird hier am Beispiel von Schloß Nordkirchen, der Residenz des Fürstbischofs von Münster aus dem Haus Plettenberg, untersucht.

Das Hochstift Münster lag im Nordwesten des Reiches (Abbildung 1), es stand unter den im allgemeinen reichsfernen nördlichen Territorien dem Reich und dem Wiener Hof aber eher nah. Der Fürstbischof war mit Ausnahmen schon aus eigenem politischem Kalkül reichstreu. Das Hochstift unterhielt seit dem Hochmittelalter weitgehende politische, ökonomische und kulturelle Verbindung zu den Niederlanden und Flandern (bzw. den Teilen des Niederrheinisch-Westfälischen Reichskreises).2 Zentrum des Hochstifts war die Stadt Münster, in der die Handel treibenden Bürger und das adelige Domkapitel dem Bischof jedoch nur wenig Raum zur politischen Entfaltung ließen. Die Fürstbischöfe von Münster, die häufig in Personalunion auch Kölner Kurfürsten waren, residierten nur selten in der Stadt und lebten, wenn sie sich im Hochstift aufhielten, seit dem Mittelalter meist in Burgen auf dem Land. Die politische und gesellschaftliche Bedeutung eines eigenen Hofes für die Fürstbischöfe, wenn sie nicht als Kölner Kurfürsten in Bonn residierten und dort bereits Hof hielten, wurde in Münster erst im 18. Jahrhundert erkannt. Erst mit Friedrich Christian von Plettenberg, dem Bauherren von Nordkirchen, wird von einer regelmäßigen Hofhaltung berichtet.3 Zwar wurde ihm bereits in der Wahlkapitulation von 1688 der Bau einer Residenz auferlegt, jedoch war unter seiner Regierungszeit der Widerwille der nach politischer Eigenständigkeit strebenden münsterschen Bürger gegen eine fürstbischöfliche Residenz noch zu groß, als daß Plettenberg einen solchen Residenzbau in der Stadt Münster hätte errichten können, wie er später durch Johann Conrad Schlaun unter seinen Nachfolgern ab den 1730er Jahren geplant und ab den 1760er Jahren ausgeführt wurde.4

Mit dem Bauprojekt Nordkirchen kam der Fürstbischof Friedrich Christian von Plettenberg, der aus einer der einflußreichsten und wohlhabendsten Familien Westfalens stammte, dem bisherigen Mangel eines offiziellen Repräsentativbaus sowie eines prächtigen Familiensitzes in strategisch günstiger Lage zwischen Münster und dem Rheinland nach.5 Auch unter seinem Neffen und Erben Ferdinand von Plettenberg – „un jeune homme qui a de l’esprit et de la vivacité“, wie Montesquieu ihn 1729 charakterisierte blieb dieses Oszillieren zwischen politischer Repräsentation und familiärer Zurückgezogenheit spürbar6. Bereits von den Zeitgenossen wurde dieser Doppelstatus als Residenz eines Souveräns und als Familienschloß bemerkt, wie die münstersche Bischofschronik für die Jahre 1720–1722 bezeugt: „Der herr von Nordtkirchen hat negst beym dorff Nortkirchen einen adelichen sitz bawen lassen, so überaus courieus, als das wohl ein solches für einen könniglichen pallast bestehen konnte.“7

Baugeschichte des Schlosses Nordkirchen

Friedrich Christian von Plettenberg ließ Schloß Nordkirchen ab 1702/3 errichten, fortgeführt und beendet wurde die Bautätigkeit unter seinem Neffen Ferdinand von Plettenberg, dem späteren Obristkämmerer und Ersten Minister des Kölner Kurfürsten Clemens August8. Nordkirchen wurde vom münsterschen Landingenieur Gottfried Laurenz Pictorius anstelle der Anlage einer mittelalterlichen Wasserburg der Herren von Morrien, deren Besitz 1694 von Friedrich Christian von Plettenberg erworben und in der Folge noch erweitert wurde, erbaut.9 Die Arbeiten wurden mitfinanziert durch Subsidien, die teils aus Paris, teils aus Wien, teils aus den Niederlanden stammten und die dem geschickten Taktieren des Fürstbischofs während der Koalitionskriege am Ende des 17. Jahrhunderts zu verdanken waren. Nach dem Tod des Bauherren 1706 übernahm dessen Bruder Ferdinand von Plettenberg, Domprobst von Münster, die Bauaufsicht als Vormund des Erben und Neffen Werner Anton von Plettenberg. Nach dessen frühen Tod 1711 ging der Besitz an den jüngeren Bruder, Ferdinand von Plettenberg. Dieser ließ bis zu seiner ungnädigen Entlassung 1733 die Residenz zu der prächtigsten Schloßanlage Westfalens ausbauen.

Bevor 1703 mit den Arbeiten begonnen wurde, waren in den 1690er Jahren verschiedene Pläne von Gottfried Laurenz Pictorius, der mit seinem Bruder Peter dem Jüngeren zusammenarbeitete, und von Jacob Roman entworfen worden. Die zeitweilige politische Nähe zu den Generalstaaten nach der hollandfeindlichen Zeit unter seinem Vorgänger Bernhard von Galen mag Friedrich Christian von Plettenberg dazu bewogen haben, sich neben dem münsterschen Ingenieur Pictorius auch an Roman, dem Architekten des niederländischen Statthalters Wilhelm III. von Oranien, zu wenden.

Die ersten Planungen von Pictorius sahen vor, die bestehende vierflügelige Festungsburg der Morrien mit einzubeziehen und wenig an der Anlage zu ändern. Der Entwurf Romans (Abbildung 2) hingegen zeigt einen kompletten Neubau, der sich in der Disposition und der Fassade an französischen Bauten, wie dem ebenfalls von einem Wassergraben umgebene maison de plaisance Vaux-le-Vicomte oder dem Schloßbau in Roissy-le-Franc, orientiert. Roman, der zusammen mit Daniel Marot ab 1685 mit dem Schloß Het Loo eines der wichtigsten Bauwerke des Niederländischen Barockklassizismus geschaffen hatte, schlug einen H-förmigen Grundriß für den Hauptbau mit einer doppelgeschossigen, klassizistischen Fassade vor10. Die Fassade sollte durch ein erhöhtes, mit vier Statuen dekoriertes Mittelrisalit und zwei Eckpavillons betont werden – man findet in Pommersfelden etwas später eine ähnliche, wenn auch prächtigere Anlage. Dem Hauptbau waren auf Marots Plänen zwei zum Ehrenhof hin halbrunde Wirtschaftsgebäude vorgelagert.11

1698 schließlich legten die Pictorius einen zweiten Entwurf vor, der auf dem Vorentwurf Perspectivisches Project eines Hochadelichen Schlosses zu Nordkerchken zu sehen ist (Abbildung 3).12 In leicht modifizierter Form wurde dies die Grundlage für den tatsächlichen Generalplan von 1702, den Gottfried Laurenz Pictorius schließlich samt detaillierten Ansichten für den Fürstbischof als Ausführungsentwurf zeichnete.13 Im selben Jahr war Pictorius nach Den Haag gereist, um seine Pläne mit dem Architekten Steven Vennekool zu besprechen, der bei den ersten Planungen von 1696 bereits konsultiert worden war und den Brüdern Pictorius beratend zur Seite stand.14 Über seinen Anteil an den folgenden Planungen sind wir heute im Ungewissen. Allerdings läßt sich im Barock-Klassizismus Nordkirchens durchaus ein Einfluß Vennekools, der sich unter anderem 1695 durch den Neubau der in bestimmten Aspekten mit Nordkirchen vergleichbaren Wasserburg Middachten zusammen mit Jacob Roman einen Namen gemacht hatte, vermuten.

Im Vergleich zum Vogelschauentwurf von 1698 ist die Grunddisposition des Schlosses auf dem Generalplan von 1702 identisch geblieben. Kleinere Veränderungen manifestieren sich im Wegfall der abschließenden Bauten am Ende der Gartenanlage und den östlich und westlich des Corps de logis liegenden Galeriebauten, auf die eventuell aus finanziellen Gründen verzichtet wurde; darüber hinaus wurde auch die Grundform der Wirtschaftsgebäude leicht modifiziert. Die Anlage zeigt eine damals in Westfalen neuartige dreiflügelige, symmetrisch aufgebaute Residenz mit Galerien, Nebengebäuden und barocker Gartenanlage auf einer durch Eckpavillons begrenzten Schloßinsel. Eine Loggia im Erdgeschoß des Mittelrisalits sollte dem Plan zufolge als Eingangsbereich dienen; die Verwendung von eher italienisch inspirierten, klimatisch wenig angemessenen Bauformen verrät den etwas eklektischen Charakter des Entwurfs. Die runden Eckpavillons an der Stelle der ehemaligen Wehrtürme bildeten mit dem doppelten Wassergraben die einzigen Reminiszenzen an die alte Burg der Herren von Morrien, die für den Neubau geschliffen wurde.15

Vielleicht hatte sich der Fürstbischof aus Kostengründen gegen Roman entschieden, da Gottfried Laurenz Pictorius als Landesingenieur bereits in seinen Diensten stand und sein Entwurf insgesamt etwas einfacher ausfällt. Vergleicht man die beiden Entwürfe von Pictorius mit dem von Roman, zeigen sich in den Plänen von Pictorius klare Übernahmen von Romans Ideen. Hatte sich Pictorius bei seinem ersten Entwurf noch an der bestehenden Burganlage orientiert und den Wassergraben und die Burg unsymmetrisch belassen, rezipiert der folgende Entwurf sehr viel deutlicher den Barock-Klassizismus von Marot und Roman. In der neuen Planung von Pictorius ist die gesamte Anlage barocken Vorstellungen nach symmetrisch ausgerichtet, der Wassergraben wurde begradigt und die Gebäude finden entlang der Hauptachse von Süden nach Norden jeweils ihren Gegenpart (Abbildung 4). Das Hauptgebäude zeigt in seinen gestaffelten Bauvolumina, in der strengen Gliederung der Seitenfronten und in der schlichten, fast schmucklosen Fassadenstruktur zum Garten hin den Einfluß des niederländischen Klassizismus.

Über den Umweg der Niederlande – Daniel Marot verbreitete dort ab 1685 durch Kupferstiche französische Architekturansichten und Dekorationsmuster – finden sich hier in der Staffelung der Gebäude um zwei Ehrenhöfe Einflüsse Frankreichs, die an Vaux-le-Vicomtes Ehrenhofseite (ab 1656) erinnern. In der Frage möglicher Einflüsse läßt sich auch das Versailles von 1661 nennen, ohne daß man bei Nordkirchen aber von einer reinen Nachahmung des französischen Schloßbaus sprechen kann. Einzelne Elemente des Außenbaus, wie die gestaffelten Höfe oder auch die drei Bögen an der Fassade der Nebenflügel, mögen aus dem Versailler Formenrepertoire stammen, Grundriß und Raumdisposition insgesamt zeugen jedoch nicht von diesem Versailler, sondern von einem allgemein französischen Einfluß. Ähnliches läßt sich auch für eine Vorbildfunktion von Het Loo festhalten. Die Ehrenhoffassaden (samt Giebeln an den Seitenflügeln) und die Gestaltung des Eingangsportals in Nordkirchen verweisen zwar direkt auf das niederländische Schloß, die Raumfolgen und die Struktur der Gesamtanlage zeigen jedoch keine Parallelen. Vielmehr läßt sich im Vergleich von Nordkirchen mit diesen älteren Schloßanlagen festhalten, daß die Residenz eine eigenständige Neuschöpfung ist, die aber aus verschiedenen bekannten Schlössern und Bautraditionen einzelne Bauformen übernahm und mit regionalen Elementen neu kombinierte.

Die Grundsteinlegung des Schlosses erfolgte am 13. Juni 1703, die der Kapelle 1705. Unterbrochen wurden die Bauarbeiten 1706 durch den Tod des Fürstbischofs. Die Grunddisposition der Anlage, der zentrale Corps de logis mit den beiden Flügelpavillons, waren zu diesem Zeitpunkt schon fertiggestellt.16 In der Folgezeit wurden die beiden Nebenflügel, der Marstall und der Kapellenflügel, sowie die vier Eckpavillons auf der Schloßinsel vollendet. Es war vor allem die Heirat mit der reichen Landadeligen Bernhardine Felicitas von Westerholt zu Lembeck im Jahr 1712, die dem jungen Freiherrn Ferdinand von Plettenberg ­die verstärkte Weiterführung der Arbeiten, vor allem in der Innenausstattung und der Gartenanlage, erlaubte. Er ließ die beiden Wachthäuschen an der südlichen Brücke, dem Hauptzugang zur Insel, das Viehhaus auf der Ostseite und den Ackerstall auf der Westseite zwischen 1712 und 1720 errichten.

Entscheidend für die Ausstattung der Innenräume war die Erhebung Plettenbergs vom Freiherren- in den Reichsgrafenstand 1724. Der Bauherr scheute nun keine Kosten und Mühen mehr, um seine Residenz, zumindest die noch nicht fertig ausgeführten Räume, auf höchstem europäischem Niveau zu gestalten. Dafür beorderte er Johann Conrad Schlaun, der 1723 nach der Rückkehr von seiner Studienreise nach Würzburg, Italien, Wien und Frankreich mit den neuesten Geschmacks- und Dekorationstendenzen vertraut war und nun die Leitung in Nordkirchen übernahm. Mit der Fertigstellung von Teilen der Innendekoration im östlichen Flügel, dem Speisezimmer sowie dem Bau der westlich gelegenen, sehr eleganten Oranienburg und der Gestaltung des Gartens führte er die Arbeiten im und am Schloß zu Ende.17 Die letzten Arbeiten, vor allem im Gartenbereich, dauerten bis 1734 an, danach verringerten sich die Ausgaben für das Wasserschloß erheblich, da Plettenberg bei Clemens August 1733 aufgrund einer höfisch-politischen Intrige in Ungnade gefallen war und seiner Ämter enthoben wurde. In der Folgezeit versuchte Plettenberg, sich stärker nach Wien zu orientieren, erhielt aber entgegen seinen Hoffnungen von Karl VI. nur ein nachgeordnetes Amt in Rom und verstarb während der Umzugsvorbereitungen für Rom 1737 in Wien. Schloß Nordkirchen erhielt in diesen letzten Jahren nur noch wenig Aufmerksamkeit von seiten des Schloßherren.

Generalplan des Wasserschlosses

Man betrat das Wasserschloß von Süden her, nachdem man an den ersten Wirtschaftsgebäuden vorbei und über die Zugbrücke gegangen war, die beiden Tore durchquert, links und rechts die beiden Torhäuser hatte liegen lassen und den Ehrenhof durchschritten hatte (Abbildung 5). (Die beiden Skulpturen am Ehrenhoftor zeigen die Allegorien honor und virtus, 1722 durch Johann Wilhelm Gröninger ausgeführt, die in ihrer Themenwahl weniger auf einen dynastischen denn auf einen politischen Zusammenhang verweisen.) Zwei etwas zurückgesetzte Nebengebäude flankieren den U-förmigen, zweigeschossigen Hauptbau. Seine prächtige Wirkung entfaltet sich erst während des Zuschreitens auf das Schloß: die Orangerie und die Ställe auf der westlichen und östlichen Seite lenken den Blick; die gestaffelten Baukörper, auf der linken Seite der niedrigere Pavillonbau mit dem Dienertrakt und auf der rechten Seite symmetrisch dazu die Kapelle, führen den Besucher auf den hufeisenförmigen Corps de logis hin. Die Flügelbauten waren in der ursprünglichen Ausführung räumlich voneinander abgesetzt, erst seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts bilden sie einen zusammenhängenden Bau mit den Seitenflügeln, der in gestaffelter Höhe bis zum Herrenhaus hinaufsteigt.18 Das Betreten der Anlage folgt einer barocken Inszenierung der räumlichen und dekorativen Steigerung der Baukörper, die im Mittelrisalit im Eingangsbereich des zentralen Querflügels, von einem verzierten Dreiecksgiebel bekrönt, ihren Höhepunkt findet.

Die Gebäude sind in der für die Gegend typischen Bauweise in gebrannten roten Ziegeln in Kombination mit gelblichem Baumberger Sandstein gehalten; sie nehmen in dieser farblichen und materiellen Rhythmisierung den Münsteraner Residenzbau vorweg. Das Mansardendach ist in der Hinwendung zum platzgewinnenden Dachbau französischer Prägung als Zeichen für eine von Frankreich inspirierte Geschmacksausrichtung zu sehen, welche dem Bau mehr Noblesse verleihen sollte. Der Außenbau des Herrenhauses ist streng symmetrisch gegliedert und verzichtet mit Ausnahme des Mittelrisalits auf prächtigen Bauschmuck (Abbildung 6). Erst der das Mansardendach durchbrechende und mit einem Attikageschoß versehene Mittelrisalit auf der Ehrenhofseite erhält eine bauliche Betonung. Das Giebelfeld aus Sandstein mit Plettenberger Wappen samt Krone sowie die Verwendung von vier ionischen Kolossalpilastern aus gebranntem Ziegel, die dem Erdgeschoß und dem ersten Stockwerk vorgeblendet sind, verleihen dem Mittelteil herrschaftlichen Charakter. Eine Treppe führt zu dem erhöht liegenden Eingang des Schlosses, der von einem durch Balustraden angedeuteten Ehrenbalkon abgeschlossen wird. Der einzige Bauschmuck der Fassaden der Seitenflügel ist ein Segmentbogengiebel auf jeder Seite, wie man ihn auch in Het Loo findet. Die streng gegliederte Gartenseite wird ebenfalls von einem dreiachsigen Mittelrisalit dominiert, der sich durch vier Kolossalpilaster von den beiden fünfachsigen Seitenteilen absetzt. Wie auf der Ehrenhofseite schließt das Attikageschoß des Mittelteils durch einen Dreiecksgiebel ab. Dessen Giebelfeld ziert erneut das Familienwappen, das von Putti und Famae umgeben ist und von je einem Pinienzapfen und einem Trophäenrelief flankiert wird. Auffallend ist, daß sich nicht die geöffnete Ehrenhofseite, sondern die abgeschlossene Gartenseite dem Dorf Nordkirchen zuwandte. Hätte der Fürstbischof bei der Planung seiner Residenz an Versailles als Vorbild gedacht, so hätte er die Anlage wohl eher zum Dorf hin ausgerichtet.19

Der Gesamtplan sah vor, im Norden einen barocken Garten zum Dorf Nordkirchen hin anzulegen und so eine Nord-Süd-Achse zu schaffen, die vom Dorf Nordkirchen über das Schloß weiter geführt wurde in das nahegelegene Südkirchen. Mit der Gartenplanung war unter anderem der auch in Versailles und für die Wittelsbacher tätige Dominique Girard beauftragt worden. Auch taucht der Name François de Cuvilliés in den Quellen auf, ohne daß jedoch sein Anteil an der Anlage heute noch zu bestimmen ist. Im Zuge der Arbeiten am Schloß wurden auch Teile des Dorfes Nordkirchen erneuert, so ließ Plettenberg durch Schlaun die Kirche, die Vikarie und das Armenhaus neu errichten. Durch Schlaun wurde in den 1730er Jahren ebenfalls eine Ost-West-Achse geschaffen, die mit der Anlage eines großen barocken Gartens im Westen Ausdruck der für die Zeit typischen geometrische Gestaltung der Landschaft war. Beide Achsen spannten, und hier findet sich ein allgemeiner Verweis auf die auch in Versailles umgesetzten Planungen Le Nôtres, das Umland und das Dorf in die Residenzanlage mit ein. Der Bevölkerung und den konkurrierenden westfälischen Adelsfamilien wurde damit die Unterwerfung der umliegenden Natur und der Dörfer unter den Herrschaftsbereich des Schlosses vor Augen geführt.

Die Distribution der Appartements

Man betrat die Familienresidenz der Plettenbergs durch das zentral gelegene Vestibül, der zwischen Außen und Innen vermittelnden Empfangshalle (Abbildung 7).20 Nach links, d.h. nach Westen führt eine große Treppe in den ersten Stock, wo sich die Bibliothek und eine Gästewohnung befanden; eine Ahnengalerie in der ersten Etage führte in die Familiengeschichte ein. Weder die Treppe noch die Räume des ersten Geschosses waren von großer zeremonieller Bedeutung, wie das in deutschen Residenzen sonst häufig üblich war, da die Staatsappartements des Schlosses ebenerdig lagen. Die Gemächer des appartement de parade sind auf der Gartenseite in Enfilade angeordnet und erstrecken sich zu beiden Seiten des dem Vestibül folgenden, zentralen Festsaals, des heute sogenannten Jupitersaals. Westlich vom Jupitersaal liegen die sogenannten Kaiserräume, östlich vom Festsaal geht das Appartement der Hausherren ab. Auf der Ehrenhofseite liegt gegenüber der ‚großen Stiege‘ auf der rechten Seite des Vestibüls der von Schlaun eingerichtete Speisesaal. Betreten wurde er durch das Vestibül oder durch die Antichambre des Plettenbergschen Appartements. In dem linken Seitenflügel waren weitere Gästeschlafzimmer als appartement de commodité und später Teile der Bibliothek untergebracht. In dem rechten Flügel, an das Staatsappartement des Grafen von Plettenberg anschließend, befindet sich das appartement de commodité des fürstlichen Paares mit verschiedenen Salons und Kabinetten. Die privaten Gemächer des Hausherren hätten nicht im ersten Geschoß liegen dürfen, da sie sich sonst über die für den Landesherren reservierten Paradeappartements erhoben hätten. Dies hätte – wie von Ludwig XIV. in Vaux-le-Vicomte – als Affront empfunden werden können.

Das Schloß umfaßt im Corps de logis zwei Paradeappartements für den Landes- und den Hausherren. Das linke Appartement bestand aus einer „churfürstlichen Antechambre“, wie sie im Inventar von 1732 bezeichnet wird; noch unter dem Fürstbischof Friedrich Christian hatte dieser Raum die Funktion eines „fürstlichen Audienzzimmers“ inne.21 Darauf folgen auf der ‚churfürstlichen‘, westlichen Seite das Schlafzimmer, ein Kabinett und eine Garderobe. Diese Aufteilung findet sich auf der gegenüberliegenden Ostseite im ‚fürstlichen‘ Appartement mit der Raumfolge des ‚Vorzimmers‘, eines ‚SchlaffZimmer‘ samt ‚Cabinet‘ und ‚Garderobbe‘ wieder. Vom ‚fürstlichen Anti Chambre‘ konnte man ebenso wie über die Hinterzimmer des Schlafzimmers, der ‚hochgräfflichen Excellenz des Herrn Graffens Cabinett‘, das ‚Speise:Zimmer‘ betreten, das zum Ehrenhof an das Vestibül anschließend lag.22 Das Speisezimmer war Teil der offiziellen Raumfolge; daran schlossen sich die Appartements der Hausherren an.

Die Disposition der Staatsräume ist Ausdruck der Anforderungen an eine fürstliche Residenz, die aufgrund der geringeren repräsentativen Bedeutung als Familienresidenz mit reduzierter Raumfolge aufwartet, in der es weder Gardesaal noch ein zweites Antichambre gibt.23 Eine erhöhte Raumfolge wäre nicht schicklich gewesen, da sich Friedrich Christian von Plettenberg als Fürstbischof von Münster den Vorstellungen im Reich anzupassen hatte. Der ihm in Rang und Würde höherstehende Kölner Kurfürst Joseph Clemens hatte Robert de Cotte seine Ansicht über die für einen ‚minderen‘ Fürsten angemessene Raumzahl in einem Brief vom 25. Juni 1713 mitgeteilt: „Pour les appartements des Princes de moindre consequence Il ne faut seulement Qu’une Salle des Gardes. Une anti-chambre. La Chambre du Lict. Un Cabinet. Une Garderobe“ .24 In Nordkirchen wird diese Vorstellung noch unterlaufen und auch auf einen Gardenraum verzichtet, was als Hinweis auf den familiären Charakter der Residenz verstanden werden kann. Auch die unterschiedlichen Bezeichnungen in den Akten der 1710er und der 1720er bzw. 1730er Jahre – etwa statt des ‚fürstlichen Audienzzimmers‘ das ‚churfürstliche Antechambre‘ – verweist auf die unterschiedlichen Funktion der Räume und damit auf den geänderten Status des Schloßherrn. Eine Besonderheit von Nordkirchen ist, daß es als Familienresidenz in einem geistlichen Territorium seinen Rang innerhalb einer Generation wechselte, von der eines Landesherren hin zu dem eines wichtigen, aber dem Landesherren nachgeordneten Ministers. Der Bau, die Funktion der Räume und ihre Ausstattung spiegeln diesen Statuswechsel wider. Seit 1724 Reichsgraf von Wittem, besaß Ferdinand von Plettenberg (ab 1732) Sitz und (Kuriat-) Stimme in der Westfälischen Grafenbank des Reichstags; parallel zur Standeserhöhung steigerte er auch die Aufwendungen in der Ausstattung von Nordkirchen. Da er allerdings

Die Disposition der Räume orientiert sich stärker an französischen (bzw. niederländischen) Traditionen denn an deutschen. Sie folgt mit der Raumfolge Garderobe, Kabinett, Schlafzimmer, Vorzimmer‚ Saal‚ Vorzimmer, Schlafzimmer, Kabinett, Garderobe entlang einer gartenseitigen Enfilade der aus den französischen Architekturtrakten übernommenen Distribution, wie sie Charles d’Aviler in seinen Cours d’Architecture 1691 mustergültig formulierte und von Leonhard Christoph Sturm in seiner Ausführlichen Anleitung der ganzen Civil-Baukunst 1699 ins Deutsche übertragen und teilweise modifiziert wurde. Diese Raumverteilung der aus antichambre, chambre und cabinet bestehenden appartements doubles, ausgehend vom mittig gelegenen Festsaal samt vorgelagertem Vestibül, sollte stilbildend für einen Sondertypus im französischen Schloßbau, dem ländlichen Lusthaus bzw. der maison de plaisance werden.25 Diese ‚französische‘ Raumfolge wurde durch Gottfried Laurenz Pictorius 1701 im Beverfoerder Hof erstmalig eingeführt und erhielt in Nordkirchen ihre erste Umsetzung in einer fürstlichen Residenz in Westfalen. Da von keinem der Pictorius-Brüder bekannt ist, ob sie auf einer Studienreise in Frankreich diesen Gebäudetyp direkt kennengelernt haben konnten, bleibt zu vermuten, daß sie sich diese Bauregeln über die einschlägigen Traktate und Stichwerke, vor allem aber über die Pläne von Jacob Roman für Nordkirchen angeeignet hatten.26 In der Distribution der Räume des Schlosses manifestiert sich 1703 früh der wachsende Einfluß Frankreichs; allerdings zeigt er sich hier in Kombination mit den politisch-repräsentativen Bedürfnissen im Reich, wo die Betonung der Mitte, bestehend aus Vestibül, Treppenhaus und Festsaal, den zeremoniellen Handlungsmustern entsprach.27

Dekoration der Appartements

Insgesamt war die Ausstattung der Residenzräume, die unter Fürstbischof Friedrich Christian von Plettenberg geplant und ausgeführt wurde, in einem schlicht-rustikalen, regionalen Stil gehalten. Sie bestand aus Eichenholz-Wandverkleidungen, die zum Teil mit holländischen Kacheln kombiniert waren, stuckierten Balken und Bohlenfußböden. Man findet diese vor allem im westlichen Flügel und im ersten Stock. In Kontrast dazu standen die unter Ferdinand von Plettenberg entworfenen Appartements im Corps de logis, die sich in ihrer ausgesuchten und repräsentativen Ausstattung sehr viel stärker an internationalen Geschmacksvorstellungen orientierten. Die Innendekoration dieser neueren Appartements erhielt neben der der Schloßkapelle, die gerade weil sie in einer Residenz eines geistlichen Landesherren lag besonders reich ausgestattet wurde, am meisten gestalterische Aufmerksamkeit.28 Sie läßt sich in zwei unterschiedliche Gruppen einteilen: Einerseits in erste, unter Pictorius ausgeführte Arbeiten, die insgesamt in einem damals bereits veralteten Louis XIV-Stil ausgeführt wurden; andererseits in spätere, unter der Aufsicht und teilweise von Schlaun selbst konzipierte Dekorationen im Stil der aktuellen Mode der Régence, die dieser auf seiner eben beendeten Reise nach Paris kennengelernt hatte und in Westfalen einführte. Die appartements de société im corps de logis gehören, mit Ausnahme des Speisezimmers, in die von Pictorius geprägte Phase, das Speisezimmer und die privateren Rückzugsräume des östlichen Seitenflügels in die spätere Phase unter Schlaun.

Im Vestibül wird der Besucher direkt mit dem dynastischen Programm der Residenz konfrontiert. Seine Augen richten sich auf die von Antonio Rizzo, Giovanni Antonio Oldelli und Caspare Molla stuckierte Decke, in die unter anderem zwei Deckengemälde eingesetzt wurden, in denen Johann Martin Pictorius Allegorien des Glücks und des Ruhmes des Hauses Plettenberg gemalt hatte.29 In den Wandschmuck eingelassene Wappen, Portraits und Skulpturen nehmen Bezug auf die Bauherren und ihre Familie. Die wichtigste skulpturale Ausstattung sind die Büsten Ferdinand von Plettenbergs und seiner Frau, der Gräfin Bernhardine, die Johann Wilhelm Gröninger zwischen 1721 und 1724 schuf, und die links und rechts des Eingangs zum Festsaal stehen.30 Die Skulpturen ‚begrüßen‘ den Eintretenden, die Hausherren sind somit auch in physischer Abwesenheit anwesend, so, wie es beispielsweise in den repräsentativen Treppenhäusern von Brühl, Pommersfelden oder Versailles der Fall war. Die von Kir Kiersen marmorierten Holzsäulen korinthischer Ordnung, welche die Wände gliedern und den Blick durch eine Verdoppelung auf den Zugang zum Festsaal lenken, geben dem Raum durch ihre schwarze Farbe eine gewisse Noblesse, die im schwarz-weißen Muster des Steinbodens wieder aufgenommen wird.31 Insgesamt ist das Vestibül aber zurückhaltend in seiner Größe und Ausführung, um eine Steigerung zu den kommenden Räumen, vor allem dem darauf folgenden Festsaal, zuzulassen. Im Vestibül stand auch die wohl wichtigste Skulptur aus der Sammlung Ferdinand von Plettenbergs, der Ganymed von Jérôme Duquesnoy, ein Hinweis auf das Zusammenwirken von kultureller und politischer Ambition.32

Über dem an der Nordseite des Vestibüls liegenden Eingang zum Festsaal sind zwei von Löwen flankierte Wappen der Plettenbergs angebracht, auf die eine Krone als Ausdruck der fürstbischöflichen Präsenz plaziert wurde. Der längs von zwei Enfiladen und frontal durch drei zum Garten gehenden Fensterachsen durchbrochene Festsaal war der größte und der am reichsten ausgestattete Saal des Schlosses. Er umfaßt nicht, wie in Vaux-le-Vicomte, zwei Etagen als salon à l’italienne, doch ist er in seinen Ausmaßen höher als die Nachbarräume. Zwischen den Türöffnungen der Enfilade sind große, schwarze Marmorkamine in die Wand eingelassen, deren mit Engeln und einem Baldachin aus Stuck dekorierte Aufsätze je ein ovales Portrait der Fürstbischöfe Friedrich Christian von Plettenberg und seines Neffens und Nachfolgers Franz Arnold von Wolff-Metternich fassen. Der Festsaal war bestückt mit Möbeln „les plus à la mode“ und „les plus magnifiques“, die Ferdinand von Plettenberg 1727 unter anderem bei Calley in Paris bestellt hatte.33

An den heute mit purpurnen Damast verkleideten Wänden hingen bis 1914 sechs Tapisserien, die 1709 eigens bei Auwerex in Brüssel nach den Zeichnungen Jan van Orleys bestellt worden waren.34 Die 1710 gefertigten Wandteppiche, zwei große an der Innenwand und vier kleine gegenüber neben den Fenstern, mit den Wappen der Plettenbergs zeigten Szenen aus der Ilias und der Odysee. Zentral plaziert war der Teppich mit der Geschichte des Telemachos, des Sohn des Odysseus. Diese mythologische Erzählung über die Treue des Sohnes zum Vater hatte durch den Erzieher des Enkelkindes Ludwigs XIV., François de Salignac de la Mothe-Fénelon im 18. Jahrhundert besonders viel Popularität in gebildeten Kreisen in Europa erhalten. So finden sich auch im Audienzzimmer des Bonner Stadtschlosses Tapisserien mit den Motiven aus der Telemachie.35 Der Bezug zur Telemachos-Sage mag hier im nachhinein auch als Erinnerung an Ferdinand von Plettenbergs eigene Situation vis à vis seiner Familie und vor allem seines Onkels, des Fürstbischofs Friedrich Christian von Plettenberg verstanden worden sein. An so prominenter Stelle angebracht, unterstreichen die Teppiche hier die dynastische Verbindung zum ersten Bauherrn des Schlosses.36

Die Decke des Festsaals wurde auch hier reich von Antonio Rizzo mit weißem Stuck verziert.37 Die Decke ist durch ein kräftiges Gesims stark von der Wand abgesetzt – eine nicht sehr französische Art der Wandbehandlung –, in der Deckenkehle dienen girlandentragende Putti und in den Kehlnischen wiederum große Muscheln der Dekoration. Engel, Muscheln und florale Motive bilden mit Adlern als Verweis auf das Reich die Formensprache der Verzierungen. Die über den abgeschrägten Nischen des Saales, in denen Statuen oder Vasen standen, angebrachten Bilder zeigen vier Szenen aus den Metamorphosen des Ovid. Sie wurden von Johann Martin Pictorius, der auch einen großen Teil der anderen Malereien im Schloß ausführte, mit Sepia auf Kupfer gemalt. Das ikonographische Programm des heute fälschlicherweise so genannten Jupitersaals ist dem Leben des Herkules gewidmet. Neben vier Gemälden, die mittig in den Deckenkehlen angebracht sind, zeigen die zwei großen Deckengemälde die Fahrt des Herkules zum Olymp und die Aufnahme des Herkules unter die Götter, die von Engelbert Ernst Witte stammen.38 Die Gäste Ferdinand von Plettenbergs, die im Eingang die ‚Widmung‘ der Residenz zu Ehren der Familie Plettenberg gesehen hatten, wurden hier mit den politischen Ambition der Familie, im Reich aufzusteigen und mit Ferdinand von Plettenberg womöglich das Amt des Vizekanzlers des Reiches zu bekleiden, konfrontiert. Dynastische und politische Repräsentation folgen hier im Zentrum aufeinander.

Auf der linken Seite des Festsaals liegen die für hohe Gäste wie den Fürstbischof oder den Kurfürsten vorgesehenen Räume, die heute den Namen Kaiserzimmer tragen, auch wenn dort bis auf Wilhelm II. wahrscheinlich nie ein Kaiser zu Besuch gewesen ist.39 Der Name ‚Kaiserzimmer‘ rührt von einer Reihe von Kaiserportraits her, darunter des Herzogs Franz Stephan von Lothringen, der spätere Kaiser Franz I., der Nordkirchen als Herzog besucht haben soll, sowie seiner späteren Frau Maria Theresia und der zu Baubeginn von Nordkirchen regierende Kaiser Joseph I. samt seiner Gemahlin. Das Deckengemälde des Vorzimmers dieses westlichen Appartements zeigt die Bezwingung der Titanen durch die Götter, umgeben von vier kleineren Medaillons mit Bildnissen der vier Göttergestalten Merkur, Minerva, Venus und Mars. Stuckierte antikisierende Kaiserköpfe verweisen auf die hohen Gäste, für die diese Zimmer vorgesehen waren. Das Deckengemälde des folgenden Schlafzimmers stellt eine Szene aus der Prometheusgeschichte dar. Ein reich geschmücktes Staatsbett, das heute verschollen ist, bildete das Zentrum des Raumes. Am Ende des Appartements befinden sich noch ein Kabinett und eine Garderobe für die hohen Gäste. Bespannt waren die Wände der Kaiserzimmer mit blau durchwirktem goldgelbem Damast, den Hausfarben der Plettenbergs.

Die Reservierung des linken Appartements für höher stehende Gäste bzw. den Kaiser entspricht grundsätzlich der zeremoniellen Norm für Residenzen in geistlichen Fürstentümern. In den Kaisersälen wird auf die Präsenz des Kaisers als oberstem weltlichem Lehns- und Schutzherrn verwiesen.40 Die Existenz eines solchen, hier nur bedingt die Kriterien eines Kaisersaals erfüllenden Raumes in einer Familienresidenz ist eher ungewöhnlich; die ältere Bezeichnung als ‚kurfürstliche Zimmer wäre hier historisch angemessener. Die Existenz eines Kaiserzimmers läßt sich hier nur durch die erweiterte Funktion des Schlosses Nordkirchen auch als politische Repräsentanz, zuerst des Fürstbischofs und dann des Reichsgrafen, erklären. Besonders Ferdinand von Plettenberg, der nach seiner Entlassung in Köln zum „Kayserlichen Gesandten, bevollmächtigten Abgesandten in dem Nieder-Rheinisch-Westphälischen Kreis, und des Reichs lieben getreuen Grafen“, so Karl VI. 1733, avancierte, suchte die Nähe und den Schutz der Habsburger.41 Die in den beiden Räumen angebrachten Bildnisse und Supraporten zeigen die Fürstbischöfe des Landes, etwa von Clemens August, entstanden um 1720, oder von Christoph Bernhard von Galen und Ferdinand von Fürstenberg sowie Repliken der Portraits der Wittelsbacher Kölner Kurfürsten Ernst, Ferdinand und Max Heinrich, die in Brühl hingen. Auch fanden sich in den beiden Räumen Ehrenportraits weiterer Mitglieder der Häuser Wittelsbach und Plettenberg, so die des Kurfürsten Max Emanuel von Bayern und von Franz Joseph von Plettenberg, Sohn Ferdinands. Einen Ehrenplatz über dem Kamin erhielt der Kurfürst Joseph Clemens, unter dessen Kölner Regierungszeit ein großer Teil des Schlosses erbaut wurde.

Das gegenüber im Osten liegende Appartement diente als appartement de société des Fürsten gesellschaftlich-repräsentativen Zwecken. Die ikonographische Ausstattung des Staatsappartements des Hausherren wird anhand der Deckengemälde der einzelnen Räumen in ihrer Bedeutungsebene gesteigert. Im Vorzimmer, das heute Paradieszimmer genannt wird, stellt das Deckengemälde Bacchus und Ceres dar. Im folgenden, heute Olympzimmer genannt, sind die vier Hauptgötter Jupiter, Juno, Venus und Neptun zu sehen. Diese Götter werden seitlich durch die vier bildlichen Personifikationen der vier Elemente gerahmt. Die Bilder stammen wie im Festsaal von Johann Martin Pictorius.42 Supraporten mit Darstellungen der fünf Sinne vollenden die Ausstattung des Raumes. Das zweite, im Zeremoniell wichtigere Zimmer erhielt eine weitere dekorative Steigerung durch die leicht grünlich-blaue Grundierung der Decke, die die floralen Stukkaturen stärker zur Geltung bringt. Portraits schmückten in diesen Räumen wie in den Kaiserzimmern die Wände, allerdings waren hier in erster Linie Bildnisse der Familie zu sehen. Die Raumausstattung mit Götterbildern und Allegorien der Elemente entspricht den Konventionen im Reich für Herrscherzimmer, wie man sie später durch Carlo Carlone ausgeführt auch im sehr viel reicheren Festsaal in Brühl findet. Die malerische Ausgestaltung des östlichen Appartements verweist auf den politischen Anspruch des Hausherren: Die Decke des nordöstlichen Eckkabinetts wurde 1733 vom münsterschen Maler Gerhard Kappers mit einer Allegorie auf die Verleihung des Goldenen Vlieses versehen, da Ferdinand von Plettenberg in diesem Jahr vom Kaiser in diesen Orden des Reiches aufgenommen wurde.43 Er bekundete hier seine Nähe zum Kaiser und gab der Hoffnung auf eine Fortsetzung seiner politischen Karriere auf höchster Ebene in Wien Ausdruck.

Für das Speisezimmer, das laut Sturms Anweisungen einer der wichtigsten gesellschaftlichen Räume in einem Schloß war, da dieser den idealen Rahmen einer intimeren und auch wärmeren Atmosphäre als etwa ein großer Festsaal biete,44 existieren sowohl Planungen von Gottfried Laurenz Pictorius als auch von dem jüngeren Johann Conrad Schlaun.45 Während die von Pictorius stammenden Entwürfe, die er mit Elementen aus Stichwerken wie Paul Deckers Fürstlichen Baumeister ergänzt hatte,46 für das Speisezimmer noch stark klassisch beeinflußt sind, spiegeln diejenigen Schlauns die ästhetischen Erfahrungen seiner eben erst beendeten Kavalierstour nach Paris wider. Begonnen wurde zuerst die Ausstattung nach den Plänen von Pictorius (). Die Grotesken und Arabesken der Zeit um 1700, wie sie Bérain entwickelt hatte, prägen noch den Stil von Pictorius, während Schlaun sehr viel stärker die Form der Rocaille verwandte. Pictorius verarbeitete in seinen Entwürfen auch französische Versatzstücke, die er zum Teil aus Stichwerken wie dem von Daniel Marot, Jean Le Pautre oder Jean Bérain entnommen haben mag, ohne die französischen Dekorationsmuster jedoch persönlich gesehen zu haben.47

Als Schlaun 1723 in Nordkirchen antritt, modifiziert er die Planungen und paßt sie dem moderneren Geschmack der Régence an ( Abbildung 10). Der Speisesaal ist durchgehend in einer Eichenholzvertäfelung gehalten, die zu keiner Zeit bemalt oder vergoldet war – eine für den Residenzbau ungewöhnliche und eher auf den Sakralbau oder auf die bereits erwähnte regionaltypische rustikale Einrichtung verweisende Eigenschaft. Zwischen den Fenstern vergrößern zwei Spiegel den Raumeindruck, wie es zu der Zeit in den Pariser Hôtels in Mode war. Ursprünglich waren in Schlauns Planungen unterhalb der Spiegel noch je ein Konsoltisch mit Muschelornamenten und geschweiften Girlanden vorgesehen gewesen, die jedoch nicht ausgeführt wurden.48 Der Bildhauer Johann Bernhard Fix stand Schlaun bei der Ausarbeitung der Schnitzereien zur Seite. Die feinste Ausgestaltung erhielten die Ost- und Westwand mit jeweils einem Kamin im Osten und einem Buffettisch im Westen. Für die Westwand war der Tisch in einer ähnlichen Form bereits von Pictorius angedacht worden (). Schlaun stützt sich bei seiner Planung auf dessen Entwurf, versieht ihn aber mit einer sehr viel eleganteren Dekoration (). Links und rechts neben dem Tisch sind Wasserbehälter in Muschelform angebracht, die von dem Meister Rochedaux aus Namur stammen und 1723 geliefert wurden.49 Oberhalb des Buffets war ursprünglich ein Spiegel vorgesehen, der von Schlaun durch einen in die Wand eingelassenen Buffetschrank und ein darüber liegendes Gemäldefeld mit dem Wappen des Hausherren ersetzt wurde. Das Gemäldefeld war ursprünglich mit einem heute verschollenen Portrait von Ferdinand von Plettenberg versehen worden, dem auf der gegenüberliegenden Wand als Pendant das Portrait seiner Gemahlin Bernhardine entsprochen hätte. Links und rechts daneben sind Lisenenfelder in den Lambris eingelassen, die von Rosetten mittig auf der Höhe der Türstürze unterbrochen werden. Die Ostseite ist entsprechend aufgebaut und mit Rankenornamenten dekoriert, nur daß sich anstelle des Buffettisches, des Wandschrankes und der Wasserbecken ein großer Granitkaminrahmen in rosa Stein erhebt, über dem ein Spiegel wieder den Raumeindruck erweiterte und ein Gemäldefeld die Wand abschloß. Eine vergleichbare wandfeste Dekoration ist in noch prächtigerer Form beispielsweise in der chambre du prince im Schloß der Condé in Chantilly, von François Antoine Vassé ausgestattet, zu sehen, das Plettenberg mit dem Kurfürsten Clemens August anläßlich der Hochzeitsfeierlichkeiten Ludwigs XV. 1725 in Versailles besuchte und das eventuell als Inspiration gewirkt haben könnte.50

Die um 1730 ausgeführte Decke des Speisesaals ist mit Stuck verziert. Filigrane Rocaille-Muster künden hier vom Einfluß Frankreichs. Eine Farbgebung in hellen gelblichen Tönen betont das Stuckmuster noch. Wildpret, Geflügel und Früchteschalen verweisen im Deckendekor auf die Funktion des Raumes als Speisezimmer. Im Vergleich zu den Stukkaturen der beiden Staatsappartements zeugen die hier ausgeführten Verzierungen von der Leichtigkeit und Eleganz des style Régence. Die Wandfelder auf der Nordseite werden heute von zwei großen Portraits der wittelsbacher Kurfürsten Joseph Clemens und Clemens August ausgefüllt, die ursprüngliche Planung sah eine einfache Wandbespannung vor. Die Supraporte zeigt Portraits aus den Familien Plettenberg und Westerholt, gemalt von Jan Frans Douven zwischen 1722 und 1726.51

Schlaun hatte es hier verstanden, durch die Anpassung der altmodischeren Dekorationen Pictorius‘ an einen moderneren, französisch inspirierten Stil, in Nordkirchen ein in Westfalen in dieser Zeit einzigartiges Ensemble zu schaffen und den Anschluß an den im Rheinland bereits vorherrschenden Geschmack zu finden. Die Ausführungen Schlauns in Nordkirchen, „die schönsten Interieurs dieses französisch geprägten Régence-Stils in Westfalen [… und] das früheste Beispiel dafür im ganzen Land“,52 haben Plettenberg dazu bewogen, ihn für den Ausbau von Augustusburg in Brühl beim Kurfürsten Clemens August zu empfehlen, und ihm damit den Weg zum wichtigsten Barockarchitekten Westfalens eröffnet.

Die Privatgemächer Plettenbergs im östlichen Flügel, bestehend aus drei ineinander verwobenen appartements de commodité für den Hausherrn, die Hausherrin und die Kinder, wurden erst nach dem Tod von Gottfried Laurenz Pictorius 1729 ebenfalls unter der Bauleitung Johann Conrad Schlauns eingerichtet. In der Ausstattung des südöstlichen Appartements wird der Anspruch Plettenbergs auf eine Brühl gleichwertige Residenz deutlich. Politischer Ehrgeiz und künstlerische Dekoration bedingen sich hier. Der Wand- und Deckenschmuck von 1732/33 war einer der feinsten und modernsten im Hochstift und mußte den Vergleich mit den Bonner Residenzen nicht scheuen. Mit der Ausführung beauftragte Plettenberg 1730 die Stukkatoren Carlo Pietro Morsegno und die Brüder Carlo Pietro und Giovanni Domenico Castelli,53 die für Clemens August in Brühl bereits das Gelbe Appartement ausgestattet hatten. Entwurfszeichnungen von Michel Leveilly – ebenso wie die von Stephan Laurent Delarocque und Johann Adolf Biarelle54 – für Nordkirchen zeigen die ganze Vielfalt und Eleganz der Dekorationsmuster (Abbildung 12), für die sich die Wittelsbacher Höfe so begeistern konnten und die gleichzeitig ihre politische Orientierung nach Frankreich unterstrich. Die mit weißen und teilvergoldeten Boiserien, Kaminen und Spiegeln im Régence-Stil ausgekleideten Salons und Kabinette im Ostflügel erhielten vor allem an den Decken grazile Ornamente aus Muschel- und Blütenmotiven, die sich mit Netzwerkpartien verschränkten.55 Besonders erwähnenswert sind zum einen der Blaue Salon der Gräfin, dessen Dekoration Putti als Allegorien der schönen Künste zeigt, und zum anderen der zum Ehrenhof gerichtete Gelbe Salon des Grafen Plettenberg, dessen Wände mit gelbem Damast behängt waren und dessen mit gelben Pastelltönen aufgehellte Stuckdecke von den Bonner Künstlern entworfen worden war. Hier findet die Ausstattung des Gelben Appartements in Brühl ihren Widerhall. Im Jagdschloß Clemenswerth haben Delarocque, Leveilly und Schlaun kurze Zeit später für den Kurfürsten Clemens August eine ähnlich feingliederige und ganz dem höfischen Geschmack aufgeschlossene Dekoration entworfen. Plettenberg verweist hier nicht mehr durch das Anbringen von Portraits an seine politische Verbindung mit dem Landesherren, sondern übernimmt dessen durch Cuvilliés und Leveilly in Brühl geprägten Stil, um auch repräsentativ Ebenbürtigkeit zu suggerieren.

Die Kunstsammlung, der künstlerische Austausch mit Kurköln und der französische Geschmack

Das Schloß beherbergte, vor allem in den kleineren Kabinetten im ersten Obergeschoß, neben den genannten Supraporten und Portraits auch die erste große Kunstsammlung Westfalens, die Plettenberg ab 1725 durch Ankäufe in München und später in Amsterdam zusammentrug.56 Als 1732 der Baron Pöllnitz zu Besuch in Kurköln war, gab er folgende Beschreibung des Ersten Ministers Plettenberg:

Wie er als einer der reichsten großen Herren Deutschlands geboren ist, so gehört er auch zu den prachtliebendsten. Seine Ausgaben sind beträchtlich. Sein Bonner Hof ist reich möbliert und enthält ausgezeichnete Gemälde der besten Meister. Aber der Glanz dieses Hauses reicht nicht im entferntesten an die Pracht seines Schlosses Nordkirchen heran, wo alles hervorragend ist und an die Residenz eines Souveräns erinnert. Dabei läßt Graf Plettenberg es dauernd weiter verschönern, zur Zeit wird vor allem an den Gärten gearbeitet, die kaum Ihresgleichen in Deutschland haben.57

Die Kunstsammlungen, neben dem Wasserschloß und dem von Schlaun geplanten französischen Garten samt Skulpturenpark, waren wesentlicher Bestandteil der politischen Symbolik Nordkirchens. Sie waren Teil seines kulturellen Kapitals, mit dem Plettenberg das Schloß zur ‚Residenz eines Souveräns‘ und damit seine eigene Position aufwerten wollte. Die Sammlung bestand aus über 250 Gemälden vor allem nordischer, aber auch französischer und italienischer Künstler. Plettenberg ließ über Schlaun einheitlich Goldrahmen anfertigen und ergänzte die Sammlung durch Preziosen, durch Silber und Porzellan aus Augsburg (bei Seuter), Amsterdam und Paris.58 Für die zahlreichen Portraits des Hausherren, seiner Familie und des Fürstbischofs ließ er den ebenfalls in Brühl tätigen Joseph Vivien engagieren (Abbildung 13). Daneben finden sich Aufträge an einen weiteren Pariser Maler, Robert Tournières, und an die in Mannheim arbeitenden Johann Philipp van der Schlichten, Pierre Goudreaux und David Le Clerc sowie Jan Frans van Douven, Anton Paulsen und den ebenfalls in Bonn arbeitenden Johann Conrad Sartori.59 Nicht nur die enge Verbindung zu den Wittelsbachern in Bonn wird anhand der aufgeführten Künstler deutlich, sondern auch zu denjenigen in München, beauftragte Plettenberg doch den kurbayerischen Maler Franz Joseph Winter mit der Replik von zwei Ganzfiguren-Portraits vom Kurfürsten Max Emanuel und seiner Frau nach Joseph Vivien. Die hier genannten Maler zeigen in ihrem Stil eine starke Orientierung an den in Paris vorherrschenden Geschmacksmoden bzw. sie stammen selbst aus Paris.

Diese geschmackliche Tendenz wird auch in der Wahl der Dekorateure und Gartenplaner deutlich, die, wie Stephan Laurent Delarocque oder der französisch-kurbayerische Garten- und Wasserbau-Ingenieur Dominique Girard, einen direkten Einfluß auf die Rezeption französischer Dekorationsmuster im Rheinland und in Westfalen hatten.60 Girard hatte seine 1709–1715 bei der Arbeit in Versailles gesammelten Erfahrungen in der Gestaltung der Gärten von Nymphenburg und Schleißheim weitergegeben und erarbeitete zusammen mit seinem Assistenten Moreau 1725 auch in Nordkirchen die Gartenplanung. Die Gartenanlagen spielten in der Verbreitung ästhetischer Vorstellungen in Anlehnung an politische Ansichten eine ebenso starke Rolle wie die Distribution und Dekoration des Schlosses selbst. Die in der ‚Wittelsbacher Hausunion‘ 1724 beschlossene profranzösische Außenpolitik, die den politischen Interessen des ehrgeizigen und nach Wien orientierten Ferdinand von Plettenberg weniger entsprach,61 fand durch seine Orientierung zum Kurkölnischen Hof ihre künstlerische Entsprechung im Engagement französischer bzw. französisch inspirierter Künstler.

Als ein weiterer Hinweis zum zumindest geschmacklich und kulturell frankreichfreundlichen Selbstverständnis des Fürsten ist der Bibliotheksbestand im Schloß heranzuziehen, der für Plettenberg eigens „auf französische Art“ neu gebunden worden war.62 In der Bibliothek waren die für einen weitgereisten und nach europäischer Kompetenz im Reich strebenden Adeligen wichtige Werke aus Frankreich, Italien und den deutschen Ländern zu Fragen der Theologie, Diplomatie, militärischen Strategie, Literatur und Kultur vorhanden. Das Inventar der Bibliothek des Schlosses von Nordkirchen von 1769 nennt neben italienisch-lateinischer auch eine ganze Reihe von französischer Literatur und Architekturtraktate, die den Bauherrn und Architekten als Orientierung sowie als Quelle der ästhetischen wie politischen Inspiration gedient haben.63 Neben den Architekturtraktaten von Blondel, d’Aviler und Leclerc (sowie denen von Serlio, Branca und Bosboom) behandelten die Werke den gesamten französischen Kulturraum und Zivilisation: Das Inventar listet Reiseliteratur nach Versailles, Paris und Fontainebleau auf, gibt Hinweise auf Traktate über das höfische Benehmen, das richtige Französisch und informiert über die Biographien der wichtigsten französischen Könige, Prinzen und Fürsten.64 Ferdinand von Plettenberg hatte ebenso wie sein älterer Bruder Werner auf seiner Cavalierstour Station in Paris und Anger gemacht und vor Ort Manieren und Moden kennengelernt.65 Die dort gewonnenen persönlichen Vorstellungen vom höfischen Leben in Frankreich übertrug Plettenberg nach Westfalen und teilte diese auch durch Bücher und Stichwerke mit seinen Zeitgenossen. Bücher über die französische Geschichte und Politik, ihre Sitten und Zeremonien, ihre Philosophie, Wissenschaft, Kunst, Kultur und Architektur eröffneten dem westfälischen Landadel hier ganz neue Perspektiven und Ansichten über die Zivilisation im anbrechenden Jahrhundert der Aufklärung.

Zeremonie, Hof und politische Zeichenhaftigkeit in Nordkirchen

Die Raumfolge und die Ausstattung sowie die halb-repräsentative Funktion des Wasserschlosses sprechen für ein Mindestmaß an formalisiertem Ablauf beim Besuch von offiziellen oder höherstehenden Gästen, ohne daß man es hier jedoch mit einem so ausdifferenzierten Hofzeremoniell zu tun hätte, wie es beispielweise in Bonn und Brühl eingehalten wurde. Das in den Jahren 1712 bis 1720 vom Kammerfourier Matthias Biber in einer Sammlung zeremonieller Handlungen aufgezeichnete Repertoire unter Joseph Clemens war auch für die Zeit Clemens Augusts und für seinen leitenden Minister Plettenberg prägend gewesen.66 Da Nordkirchen keinen offiziellen Status inne hatte, keine Landesburg oder offizielle Residenz war, fanden diese zeremoniellen Vorstellungen dort nur begrenzt ihre Umsetzung. Das Hofreisejournal von Clemens August, eine wichtige Quelle für das Verständnis der zeremoniellen Gepflogenheiten des kurfürstlichen Hofes, nennt vereinzelte Besuche des Kurfürsten in Nordkirchen. Ohne auf Details einzugehen, wird dort von einem ersten Besuch in Nordkirchen am 12. und 13. Dezember 1719 kurz nach der Wahl zum Fürstbischof von Münster berichtet:

wohselbst Ihro Hertzogliche Durchlaucht unter lösung derer in ziemblicher anzahl daselbst obhandener canons und sonsten gebührenden ehrenbezeugungen zu ihrem höchsten vergnügen angelanget, auch ein hohes gefallen getragen auf diesem so vortrefflichen hauße ein paar tage als den 12 und 13 dito [Decembris] auszuruhen, während welcher zeit Ihro Excellenz der herr obristencämmerer [Plettenberg] obgemelt diesen seinen so hohen gast mit allen nur ersinnlichen und möglichsten divertissements, besonders aber durch ein fürtreffliches und kostbares lufft- und waßer feuerwerck zu divertieren gesucht, wozu dann die herrn thumb-praelaten und capitular-herren samt anderen vornehmen standes-persohnen aus Münster und dem hochstift das ihrige samt bezeugung ihrer unterthänigsten devotion zum contenement dieses hohen printzen beyzutragen keines weges ermangelte.67

Deutlich wird an diesem Bericht, daß das Zeremoniell nicht allein ein auf Außenrepräsentation bedachtes politisches Zeichensystem darstellte, sondern auch nach innen wirkte und sich an den landständischen Adel und die Bevölkerung richtete.68 Auch wenn Nordkirchen in seiner politischen Funktion nachrangig war, so war der Schloßbau sowohl an die Landstände des Hochstifts, vor allem an die konkurrierenden westfälischen Adelsfamilien und das Domkapitel in Münster, als auch an ‚äußere‘ Besucher wie die Kurfürsten von Köln oder andere Reichsfürsten und die Abgesandten der europäischen Herrscherhäuser gerichtet. Zwar erfährt man nichts Genaues über die genannten ‚ehrenbezeugungen‘ und ‚divertissements‘, jedoch wird deutlich, daß Nordkirchen als ein Ort des fürstbischöflichen Zeremoniells diente, bei dem die aus Münster und dem Hochstift angereisten Untertanen dem neuen Landesherren ihre politische Treuergebenheit symbolisch entgegenbrachten, bevor dieser sich schließlich am 15. Dezember zum offiziellen Antrittsbesuch nach Münster begab. Auch in den folgenden Jahren hielt der Kurfürst immer wieder in Nordkirchen, wenn er auf dem Weg von oder nach Münster war; auch „weillen Seine Excellenz der herr obrist cammerer [Plettenberg] ala kein fleiß spardte, höchst dieselbe auf das päßt zu bewirten, auch alle die mit dahin kommen seind, auf das kostligste dractirt worden“.69 Der Kurfürst fand im westlichen Staatsappartement Unterkunft, sein mitreisender Hofstaat in den daran anschließenden Appartements im westlichen Flügel.

Schloß Nordkirchen beherbergte unter Ferdinand von Plettenberg als Familiensitz des Ersten Ministers nicht nur den Kurfürsten auf seinen Reisen durch das Hochstift, sondern diente darüber hinaus Plettenberg auch als Zentrum eines eigenen kleinen, temporären Hoflebens mit einer Vielzahl von Edelleuten, die zum Teil mit Plettenberg verwandtschaftlich verbunden waren. Das wohl Anfang der 1730er Jahren entstandene Inventar des Schlosses listet eine größere Anzahl von einzelnen Edelleuten zugeteilten Räumen auf, darunter namentlich ‚des Herrn von Wachtendorn, der Frau von Lembeck, des Herren Grafen von der Lippe, des Herren von Beverförde, des Herren und des Fräulein von Droste, der Gräfin von Schönborn, Herren von Binder‘, etc.70 Diese Edelleute wurden begleitet von einer entsprechenden Entourage und bildeten eine adelige Gesellschaft in Nordkirchen, deren Zentrum bei Abwesenheit des Kurfürsten der Hausherr Plettenberg bildete. Da sie sich aber nicht ständig dort aufhielten, kann man nicht von einer dauerhaften Hofhaltung in Nordkirchen sprechen.

Auch wenn Nordkirchen in seiner politischen Funktion nachrangig war, so richtete sich der Schloßbau also sowohl an die Landstände des Hochstifts, vor allem an die konkurrierenden westfälischen Adelsfamilien und das Domkapitel in Münster, als auch an ‚äußere‘ Besucher wie die Kurfürsten von Köln oder andere Reichsfürsten, ja im Prinzip auch an die Abgesandten der europäischen Herrscherhäuser. Das Schloß ist in seiner Anlage und Ausstattung der gebaute Anspruch auf Herrschaft, den sowohl der regierende Fürstbischof Friedrich Christian von Plettenberg als auch sein Erbe, der junge und ehrgeizige kurkölnische Minister Ferdinand von Plettenberg hier umgesetzt haben. Ebenfalls die Planungen durch Peter Pictorius d. J. für den nicht gebauten Nordkirchener Hof in Münster – die sich in einer ‚italienischen‘ und einer an den Entwürfen Berninis für die Louvre-Fassade angelehnten ‚französischen‘ Variante erhalten haben und die sowohl dem Stand des Hausherren als auch der Stadt völlig unangemessen waren –, sollten den Führungsanspruch innerhalb der westfälischen Elite bestärken, und neben ihrem Palast in Bonn den repräsentativen Hintergrund für einen Aufstieg im Reich bilden.

Schloß Nordkirchen war ein Ensemble politischer Zeichenhaftigkeit, das sich im Laufe der Zeit mit den unterschiedlichen Bauherren und den von ihnen verfolgten politischen Zielen veränderte. Die Residenz war die architektonische und dekorative Vorwegnahme politischer Ansprüche, ein Element in der symbolischen politischen Handlung, zuerst des Fürstbischofs Friedrich Christian und dann Ferdinand von Plettenbergs. Die Architektur und die Ausstattung waren nicht nur Ausdruck dieses Anspruchs, sondern neben anderen Faktoren bereits konstitutiv für die Stellung und das Ansehen der adeligen Elite innerhalb der feudalen Gesellschaft.71 Allerdings war das Schloß unter Ferdinand von Plettenberg nicht direkter Ausdruck eines Herrschaftsprogrammes und bildete nicht den Rahmen eines Herrschaftszeremoniells, da sich dort weder ein herrschender Fürst noch ein fester Hof dauerhaft aufhielten.

Schlußbemerkung

Die Position des Hochstifts Münster in politischer Zweitrangigkeit, seine kulturelle Nähe zu Holland, seine zeitweilige Orientierung hin zu einem frankreichfreundlichen Kölner Kurfürsten aus dem Haus Wittelsbach und die eigene politische Ausrichtung der Nordkirchener Bauherren aus dem Hause Plettenberg nach Wien hin definierten die Ausgangslage der vorliegenden Untersuchung. Zwar ist Nordkirchen in erster Linie als eine Familienresidenz zu betrachten, doch ist nach der Untersuchung offenkundig geworden, daß diese Residenz mit Blick auf einen sozialen und politischen Aufstieg Plettenbergs ausgeführt wurde und in ihrer Anlage höfischen Regeln gehorchte. In der Hoffnung auf ein reichsunmittelbares Amt, vielleicht sogar das des Vizekanzlers, ist Schloß Nordkirchen unter Ferdinand von Plettenberg als die bauliche Vorwegnahme eines erwarteten sozialen und politischen Aufstiegs zu bezeichnen. Das Ausmaß und die Grundform der Anlage, ihr Bauschmuck und die Distribution sowie die Dekoration der Räume bezeugen den Anspruch und Ehrgeiz, der von den Plettenbergs mit der Residenz Nordkirchen verbunden wurde und der über die Anforderungen an eine Familienresidenz weit hinausweist.

Zur Beantwortung der Frage, ob Versailles ein Vorbild, Modell oder Inspiration war, muß man sich zuerst die politisch-gesellschaftliche Situation im Hochstift Münster vor Augen führen und diese mit derjenigen in Frankreich vergleichen. Wird heute noch in Anlehnung an die von Kunsthistorikern vorgebrachten Analogien bei Nordkirchen auf Versailles verwiesen, so wird damit die äußere Form der Anlage, einzelne Dispositionen oder ausgewählte Elemente der Formensprache im Inneren gemeint, ohne daß dieser Vergleich jedoch präzise vorgenommen wurde. Es zeigt sich nämlich, daß es in Nordkirchen zwar Anleihen am französischen Schloßbau in der Disposition und Dekoration gibt, diese aber mit Versailles nur entfernt in Verbindung zu bringen sind. Entscheidend an Versailles und der Vorstellung von Versailles als Zentrum der politischen und kulturellen Bestrebungen war aber dessen Rolle im Staatsaufbau des französischen Absolutismus. Einem ständigen Wandel unterworfen korrespondierte das Schloß seit dem Einzug Ludwigs XIV. 1682 mit kodierten zeremoniellen Handlungen und dem höfischen Gesellschaftsgefüge im Absolutismus. Versailles war somit die Veranschaulichung des zeitgenössischen politisch-sozialen Systems in Frankreich. Aber als Schloß war Versailles nicht nur wenig typisch für Frankreich, sondern auch das Produkt verschiedener Bauphasen und Architekturvorstellungen, nicht eine systematisch geplante, einheitliche Umsetzung des politischen Absolutismus, wie es heute erscheinen mag.

Dieser Absolutismus war in keinem der anderen europäischen Länder eins zu eins übertragbar, auch wenn bisweilen versucht wurde, ihn politisch und gesellschaftlich nachzuahmen. Besonders die geistlichen Fürstentümer entziehen sich einer solchen Deutung über die Nachahmung des höfischen Absolutismus, da keiner der von den Domkapiteln gewählten und von den Landständen abhängigen Fürstbischöfe je mit seiner Einführung erfolgreich gewesen wäre.72 Die Residenzen in den geistlichen Fürstentümern spiegeln das Streben nach diesem Absolutismus nicht wider. So ist die Residenz in Münster, deren Bau von Ferdinand von Plettenberg in einer ersten Phase vorangetrieben wurde und die von Schlaun unter teilweiser Bezugnahme auf Nordkirchen 1732/34 geplant wurde, der architekturikonographische Ausdruck der landständischen Verfaßtheit des Fürstbistums, in der der Landesherr von den Ständen gestützt und zum Teil kontrolliert wird, und keinesfalls ein Ausdruck der Domestizierung des Adels wie in Versailles.

Die ständigen Verweise auf Versailles in der kunsthistorischen Forschung über Nordkirchen sind aus den hier vorgelegten kunsthistorischen, politischen und gesellschaftlichen Unterschieden nicht haltbar. Versailles wird von vielen Kunsthistorikern nicht als höfisches System verstanden, sondern als architektonisches Barockensemble, dessen Glanz bzw. ‚rayonnement‘ die ganze Welt blende, wie ältere französische Kunsthistoriker gerne behaupteten.73 Weder für Nordkirchen noch später für Münster, auch nicht für Brühl, kann der politische Wille unterstellt werden, ein neues Versailles zu erschaffen. Die Bedingungen waren sowohl nach innen als auch nach außen völlig unterschiedlich. Die repräsentativen Aufgaben bezogen sich in Westfalen auch nicht auf das höchste europäische Niveau wie in Versailles, sondern allenfalls auf den zweit- bis drittrangigen europäischen, dem reichsnahen oder dem Landadel. Gerade in einer Residenz wie Nordkirchen war der imitierende Blick nach Versailles weder gesellschaftlich angemessen noch politisch erwünscht.74

In der Synthese von Münsterländer Wasserburgen mit holländischen Schloßanlagen in Kombination mit französisch geprägter Distribution und Dekoration, die von italienischen Meistern umgesetzt wurde, ist Nordkirchen konzentrierter kultureller und politischer Ausdruck eines selbstbewußten Landadels, dessen Landstrich immer eine Durchgangsregion war und der aufgrund mangelnder künstlerischer Selbständigkeit hochwertige Neuerungen durch die Kombination mit dem Fremden leistete. Spielten regionale Elemente und eine traditionelle Ausrichtung nach Holland für den Bau eine wichtige Rolle, so ist der Einfluß französischer Geschmacksnormen hier zu unterstreichen. An Nordkirchen ist gut abzulesen, wie stark der allgemeine kulturelle und geschmackliche Einfluß Frankreichs auch bei dem rangniedrigeren, mindermächtigen Landadel war. In Nordkirchen ist das Spannungsfeld zwischen französischem Geschmack, italienischer Kunstfertigkeit und regionalen Traditionen gut zu erkennen. Französische Konventionen der Raumfolge sowie die Begeisterung für französische Kultur und Zivilisation waren hier bedeutsam und baubestimmend. Daneben prägten westfälisch-rheinländische bzw. niederländische Bautraditionen und italienische Handwerkskunst Schloß Nordkirchen sehr viel nachhaltiger als ein bisweilen angenommener Imitationswille. Die Untersuchung unter diesem Blickwinkel läßt den Schluß zu, daß Versailles keineswegs Vorbild noch Modell war, sondern eine über Umwege tradierte architektonische Inspiration neben anderen. Versailles war in Europa ein Wille, kein Vorbild! Im Fall der geistlichen Fürstentümer des Reiches muß festgehalten werden, daß es wohl weder Wille noch Vorbild war.

 

Abbildungen

Abbildung 1: Die westfälischen geistlichen Territorien im 18. Jahrhundert (aus: Braunfels 1980, S. 320)

Abbildung 2: Jacob Roman, Entwurf für das Schloß Nordkirchen – Plan van Noordkern huys buyte Münster (nicht ausgeführt, 1698, Federzeichnung, 55×32,9cm, Landesmuseum Münster, P 25)

Abbildung 3: Gottfried Laurenz Pictorius, Perspectivische Project eines Hochadelichen Schlosses zu Nordkerchken, Vorentwurf von 1698 (nicht ausgeführt, Federzeichnung, 35,2×56,8cm, Landesmuseum Münster, P 24)

Abbildung 4: Gottfried Laurenz Pictorius, Entwurf für das Schloß Nordkirchen, Gesamtplan der Schloßgebäude (1702, Federzeichnung, 55,5×78,8, Landesmuseum Münster, Konvolut Nordkirchen 64-155 a, Tafel I)

Abbildung 5: Schloß Nordkirchen, Luftbild von Süden (Postkarte, vor den Umbauten durch das Land NRW entstanden)

Abbildung 6: Gottfried Laurenz Pictorius, Schloß Nordkirchen, Aufriß der Ehrenhof- und Gartenseite (1702, Federzeichnung, 21,2×27,9cm, Münster, Landesmuseum, P 5)

Abbildung 7: Gottfried Laurenz Pictorius, Grundriß Schloß Nordkirchen, Erdgeschoß (1702, Federzeichnung, 44,3x57cm, Landesmuseum Münster, Konvolut Nordkirchen, 64–155 c, Tafel III)

a. Die Stiege; b. Vorhauss.; c. Saal.; VorZimmer; e. SchlaffZimmer; f. Cabinet; g. Garderobbe; h. Gangh und Stiege zu den Kellern; i. Stube.; k: Speise:Zimmer; l. VorZimmer; m. Schlaff:Zimmer.; n. Cabinet; o.o. Garderobbe; p. Die grosse Stieghe; q. Vorhauss für den Flügell.; r. SchlaffZimmer für den Herrn; s. Garderobbe.; t. Cabinet.; u. Klein gewölb zum Archiv; x. Schlafzimmer für die frau; y. Cabinet; z. Garderobbe; *Stube für Kindere.; **Gangh zu den Zimmeren; ***Träppe zu den Weinkeller; a.a. Vorhauss fur den Flugell.; bb. Stieghe; cc. SchlaffZimmer; dd. Cabinet; ee. Garderobbe.; ff. SchlaffZimmer; gg. Garderobbe.; ii. SchlaffZimmer; hh. Garderobbe.; kk. Gangh zu den Zimmeren

Abbildung 8: Peter d.J. Pictorius, Entwurf für das Speisezimmer, Fensterwand (Federzeichnung, 28×41,3 Landesmuseum Münster, P 101)

Abbildung 9: Peter d.J. Pictorius, Entwurf für das Speisezimmer, Westwand (Federzeichnung, 28×35,8, Landesmuseum Münster, P 102)

Abbildung 10: Johann Conrad Schlaun, Entwurf für das Speisezimmer, Fensterwand (1723, Federzeichnung, 27,6×40,8cm, Landesmuseum Münster, 105)

Abbildung 11: Johann Conrad Schlaun, Entwurf für das Speisezimmer, Westwand (1723, Federzeichnung, 28,8×38,4, Landesmuseum Münster, 107)

Abbildung 12: Johann Adolf Biarelle, Entwurf Stuckdecke für den Plafond des westlichen Salon im Ostflügel von Nordkirchen (1730, 29×41,3cm, Stadtmuseum Münster)

Abbildung 13: Joseph Vivien, Ferdinand Freiherrn von Plettenberg-Nordkirchen (1690-1737) (um 1721/22, Öl auf Leinwand, 85,0 x 70,5 cm (oval), Landesmuseum Münster, Inv.-Nr. 2085 LM)

Anmerkungen

1 Die frühesten Forschungen zu Nordkirchen bemühen immer wieder Versailles als Vorbild, so etwa: „Das alte Versailles Ludwigs XIII. von 1661 mag auch wohl in seiner Gesamtgruppierung eines seiner [Nordkirchen] Vorbilder gewesen sein“. (Engelbert Kerckerinck zur Borg und Richard Klapheck, Alt-Westfalen. Die Bauentwicklung Westfalens seit der Renaissance, Stuttgart, 1912, S. XXVIII.) Stellvertretend für die lange Liste der Schriften, in denen Nordkirchen als ein ‚westfälisches Versailles‘ bezeichnet wird, soll Wolfgang Braunfels‘ (ansonsten differenzierte) Analyse zitiert werden: „In Nordkirchen gelang es, den großen Gedanken von Versailles mit der Überlieferung der westfälischen Wasserschlösser zu verbinden.“ (Wolfgang Braunfels, Die Kunst im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, Bd. II, Die geistlichen Fürstentümer, München, 1980, S. 336.) Diese Vorstellung von Versailles als nicht nur architektonisches, sondern auch politisches Vorbild, ist merkwürdigerweise auch unter den jüngeren Historikern verbreitet: Die Vorbildhaftigkeit Versailles’ für den Fürstenhof spiegelt sich zudem in der von ihm [F. C. von Plettenberg] veranlaßten architektonischen Adaption der französischen Königsresidenz beim Bau seines Familienschlosses Nordkirchen. (Marcus Weidner, Landadel in Münster, 1600–1760. Stadtverfassung, Standesbehauptung und Fürstenhof, 2 Bde., Münster, 2000, Bd. i, p. 243.)

2 Das Hochstift Münster war das größte geistliche Territorium (ca. 300 000 Einwohner auf 9 900m2 um 1789) im Alten Reich und bestand aus dem fast bis an die Nordsee reichenden Niederstift und dem bis zur Lippe reichenden Oberstift Münster. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts war der Fürstbischof von Münster zumeist in (offiziell durch die Kirche verbotener) Personalunion auch Kölner Kurfürst; so wurde der Wittelsbacher Clemens August, Neffe und Nachfolger von Joseph Clemens, auch ‚Monsieur des cinq églises‘ genannt, weil er neben dem Erzamt als Kurfürst von Köln (1723) auch Fürstbischof von Münster (1719), Paderborn (1719), Hildesheim (1724) und Osnabrück (1728) und schließlich Hochmeister des Deutschen Ordens (1732) war.

3In der im 18. Jahrhundert vom Architekten Corfey fortgeführten Münsterischen Chronik heißt es bezüglich des Fürstbischofs: „[Er ist] ein sehr klueg und verstendiger herr, in viel gesandtschaften an grosse hofe gebraucht und gleichfalls staffelweise zu dieser dignitet gestiegen. Er hatte allzeit auserlesene und capable bediente, fuhrte eine schone und regulierte Hofhaltung, regierte in summa dergestalten loblich, sowohl in geistlichen, civilen und militärischen sachen, dass man gewiss bekennen muesse, das stift Münster habe nimmer besser floriert als unter seiner regierung.“ (Die münsterischen Chroniken von Röchell, Stevermann und Corfey, hrsg. von Johannes Janssen, Münster, 1856, S. 275.)

4 Mit der Wahl von Clemens August zum Fürstbischof 1719 verband das Domkapitel die Forderung, daß dieser „eine beständige Residentz Behuef den künfttigen Landtsfürsten und dessen Sucessoren uffgebauet“ (hier zititert aus Max Geisberg, Die Stadt Münster, Bd. 1, Die Ansichten und Pläne, Grundlage und Entwicklung, die Befestigungen, die Residenzen der Bischöfe, Münster, 1932, S. 376 (= Die Baukunstwerke Westfalens.). Clemens August beauftragt schließlich Johann Conrad Schlaun mit ersten Entwürfen, die in den 1730er Jahren aber reine Planungen blieben und erst in den 1760er Jahren umgesetzt wurden. Ob Clemens August nie ernsthaft daran dachte, ein Residenzschloß zu bauen, wie Marcus Weidner aufgrund mangelnder schriftlicher Quellen behauptet (Weidner, 2000 (wie Anm. 1), Bd. i, S. 239ff.), oder ob diese Planungen nach der Entlassung des Premierministers Plettenberg infolge der Roll-Affäre nicht umgesetzt wurden, wie es in der kunsthistorischen Forschung allgemein angenommen wird (Bußmann, Matzner, Schulze, siehe unten), ist letztendlich irrelevant, da die Planungen Schlauns aus den 1730er Jahren die Grundlage des späteren Baus blieben. Ulrich Schulze hat die Veröffentlichung seiner Habilitationsschrift Überformung. Johann Conrad Schlaun und das Konzept der Residenz Münster aus dem Jahr 2001 angekündigt, in der er unter anderem auf den Einfluß von Wiener Zeremoniell auf die Gestaltung und Disposition der Hauptraumfolgen des Münsteraner Schlosses eingeht.

5 „[…] er [F. C. von Plettenberg] hat das schone haus nordkirchen fur seine familie, fur das land aber Ahaus anno 1690, Sassenberg anno 1698, das zeuchhaus und die casematten zu Vecht gebawet.“ (Münsterische Chronik (wie Anm. 3), S. 279.) Der Fürstbischof besaß mit Sassenberg und Ahaus zwei Landesburgen im Oberstift, die allerdings nicht die gleiche repräsentative Eleganz aufwiesen wie später Nordkirchen. Aufgrund der wechselnden, nicht-dynastischen Machtverhältnisse im Hochstift, in dem landsässiger und auswärtiger Adel sich in der Position des Fürstbischofs abwechselten, kam es zu eine unklaren Aufgabenverteilung zwischen familiären Residenzen, vom ortsansässigen Adel bevorzugt, und landeshoheitlichen Residenzen wie zum Beispiel dem Fraterhaus in Münster, die dem auswärtigem Adel zur Verfügung standen. Siehe zum Verhältnis von Fürstbischof, Stadt und Landstände Weidner, 2000 (wie Anm. 1), Bd. i, p. 192-315.

6 „Le comte de Plettenberg, faisant fonction de premier ministre, jeune homme qui a de l’esprit et de la vivacité, était neveu d’un évêque de Münster, qui lui laissa du bien et du crédit dans le Chapitre. Livré à la maison de Bavière, il travailla pour cette élection et engagea une partie de son bien pour la faire réussir; promis, il donna un argent immense, et se conduisit adroitement. Il étoit ruiné si l’affaire avoit manqué. Il est souvent sur l’Électeur pour les affaires étrangères. C’est lui qui, lors des deux traités, fit faire ce sot traité aux électeurs de Bavière et de Cologne avec l’Empereur, moyennant des subsides, pour l’accession de Vienne. Il étoit mécontent de la France, à qui, au voyage de l’Électeur en France, il avoit fait beaucoup d’ouvertures et proposé plusieurs projets dont on n’avoit pas fait grand cas. Est prodigieusement riche.“ (Montesquieu, Œuvres complètes, hrsg. von Roger Caillois, Bd. I, Paris, 1949, S. 837.)

7Münsterische Bischofschronik, 1720–1722, Handschrift 5, Münster, Westfälisches Staatsarchiv (früher NR 925), hier zitiert nach Helmut Lahrkamp, „Corfey und Pictorius. Notizen zur Barockarchitektur Münsters 1700–1722“, in Westfalen, Bd. 58 (1980), S. 139–152, hier S. 139.

8 Vgl. zu Nordkirchen Karl E. Mummenhoff, Schloß Nordkirchen, München, 1975 (überarbeitete Neuauflage hrsg. von Gerd Dethlefs, Berlin/München 2012); zu Nordkirchen und Schlaun vgl. Id., „Schloß Nordkirchen. Die Bauten Schlauns für Ferdinand von Plettenberg“, in Johann Conrad Schlaun. 1695–1773. Architektur des Spätbarock in Europa, Kat. Münster, Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, 1995, hrsg. von Klaus Bußmann, Florian Matzner und Ulrich Schulze, Köln, 1995 (im Folgenden Münster, 1995), S. 238–297; „Schloß Nordkirchen“, in Florian Matzner und Ulrich Schulze, Johann Conrad Schlaun. 1695–1773. Das Gesamtwerk, Köln, 1995 (im Folgenden Schlaun, 1995), Nr. 13, „Schloß Nordkirchen, 1723–35“, S. 55–105, dort mit Verweisen auf ältere Literatur. Siehe zur Architektur und Architekten des 17. und 18. Jahrhundert in Münster Klaus Bußmann, Architektur der Neuzeit, in Geschichte der Stadt Münster, hrsg. von Franz-Josef Jakobi, 3 Bde., Münster, 1993, Bd. iii, S. 463-521. Vgl. zu G. L. Pictorius zuletzt die Dissertation von Jörg Niemer, Gottfried Laurenz Pictorius, Münster, Westfälische Wilhelms-Universität, 2002. Das Archiv Nordkirchen liegt heute im Westfälischen Archivamt Münster, in dem auch der Nachlaß des Nordkirchen-Forschers Karl Eugen Mummenhoff einzusehen ist.

9 Der Fürstbischof Friedrich Christian von Plettenberg (1644–1706) aus dem Zweig der Plettenberg-Lenhausen war 1688 zum Nachfolger von Maximilian Heinrich von Bayern in Münster gewählt worden und hatte die Ländereien samt Gerichtsbarkeiten zur Erweiterung des Familienbesitzes nach dem Aussterben der Reichsherren von Morrien 1694 gekauft. Sein Neffe Ferdinand von Plettenberg (1690–1737) erbte 1711 nach dem Tod seines älteren Bruders Werner den Besitz (und u.a. das Amt des Erbmarschalls, der Leitung der Ritterschaft) und führte die Arbeiten bis 1734 fort. Im 19. Jahrhundert kam der Besitz über Heirat an die ungarischen Grafen Esterhazy, die den mobilen und immobilen Besitz schließlich 1905 an die Herzöge von Arenberg verkauften; nach dem Zweiten Weltkrieg, in dem Nordkirchen fast keinen Schaden genommen hat, verkauften diese das Schloß an das Land Nordrhein-Westfalen, das dort seine heute noch im Schloß ansässige Finanzhochschule einrichtete.

10 Louis Réau, seine These von der nachzuahmenden Ausstrahlung von Versailles und einer francisation (‚Verwelschung‘) Europas und speziell des Reiches immer wieder untermauernd, schreibt über Daniel Marot und Het Loo: „L’imitation du château de Versailles y est flagrante, le grand escalier est une réplique du fameux escalier des Ambassadeurs […].“ (Louis Réau, Histoire de l’expansion de l’art français. Belgique et Hollande – Suisse, Allemagne et Autriche – Bohème et Hongrie, Paris, 1928, S. 53.) Die stilistische Ähnlichkeit mit Het Loo beziehen sich in Nordkirchen allerdings auf den Außenbau, nicht auf das Stiegenhaus.

11 Landesmuseum Münster, Inv. P16, P25 und P27. Der Grundrißplan von Jacob Roman (P25) sah ein zentrales Treppenhaus vor, von dem links und rechts je ein Appartement mit mehreren Sälen en enfilade abging; der Plan trägt die Bezeichnung der einzelnen Räume, im Mittelbau: „Cabined, GardRob., Chambre du lid, Chapelle, AntiCham, Cambre, Vestibule, Escalie, Chambre, Antichamb, Cabined, GarRob, Chambre du lid, Beains“. Auf dem Plan P26 („pour la maison de Noorkerke a Münster“), der wahrscheinlich ebenfalls aus dem Baubüro Roman stammt, ist ein Grundriß nach dem Vorbild eines maison de plaisance entwickelt worden: in der Mitte ist ein Vestibül einem ovalen Festsaal („Salon“) vorgeschaltet, links sind die Treppe („Grand Escalier“) und ein Appartement mit zwei Zimmern („Antichambre, Chambre du lid“ mit einem „Cabinet, Garderobe“), rechts ein Appartement für den Hausherren mit drei Zimmern („Chambre, Antichambre, Chambre du lid“ samt „Cabinet, Garderobe“ sowie einer „Escalier“) eingezeichnet.

12 Gottfried Laurenz Pictorius, Perspectivisches Project eines Hochadelichen Schlosses zu Nordkerchken, Vogelschau von Norden, Vorentwurf von 1698, Münster, Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte (im Folgenden Landesmuseum Münster), P 24.

13 Die Entwurfsplanungen, zumeist aus der Feder der Architektenfamilie Pictorius stammend, sind heute im Westfälischen Landesmuseum für Kunst- und Kulturgeschichte in Münster aufbewahrt (Schloß Nordkirchen, um 1703, P84; weitere Pläne, Grund- und Aufrisse unter P24, P2, P16, P19, P30, P84, P23, P24, P25; Konvolut Nordkirchen, 64–155; ich danke den Mitarbeitern des Landesmuseums, besonders Herrn Dethlefs, für ihre freundliche Hilfe). Die chronologische Reihenfolge und die Autorenschaft der verschiedenen Zeichnungen sind nicht bei allen Zeichnungen geklärt; da die Bauzeichnungen und Entwürfe im Fürstbistum von den Landesingenieuren an den Nachfolger weitergegeben wurden, geben sie einen kompletten Überblick über die verschiedenen Planungsstufen.

14 Vgl. Theodor Rensing, „Fürstbischof Friedrich Christian von Plettenberg als Auftraggeber und Mäzen“, in Westfalen, Nr. 38 (1960), S. 174–201, hier S. 185 (Quellen ebd. im Anhang).

15 Die für die Burgen der Region typischen Wassergräben sollten auch 1732 bzw. 1766 noch ein bestimmendes Element bei der Planung der Residenz in Münster sein (vgl. zum Typus der ‚wehrhaften Schloßbauten‘ Ulrich Schütte, Das Schloß als Wehranlage. Befestigte Schloßbauten der frühen Neuzeit, Darmstadt, 1994, S. 274ff.).

16 1706 bezeichnet Johannes Quincken, Hofkaplan, Kanonikus an der Martinikirche in Münster, Vikar am Dom zu Münster und Bauleiter in Nordkirchen, den Bau in seiner Grundausstattung als abgeschlossen (Archiv Nordkirchen, Akte 6450, Bl. 4f.).

17 Neben den Planungen Schlauns existiert auch ein Entwurf von Lambert Friedrich Corfey für Nordkirchen, der vermutlich noch vor 1707 entstanden und dessen Verwendung bis heute unklar ist (vgl. den Aufsatz von Hans J. Böker, „Eine Planung Lambert Friedrich Corfeys für Schloß Nordkirchen“, in Westfalen, Bd. 68 (1990), S. 89–100).

18 Je ein Pavillon auf jeder Seite verbindet heute den U-förmigen Hauptbau und die beiden ursprünglich separiert davon stehenden Seitenflügel, dem Diener- und Kappelenflügel. Sie wurden erst unter den Herzögen von Arenberg in Vorbereitung des Besuchs des Kaisers Wilhelm II. 1911 errichtet.

19 Bei einigen Entwürfen ist auch eine Orientierung zum Dorf hin vorgesehen gewesen, ohne zur Ausführung gekommen zu sein (z.B. beim Perspectivisches Project eines Hochadelichen Schlosses zu Nordkerchken, Landesmuseum Münster, P 24).

20 Vgl. den Grundrißplan von Gottfried Laurenz Pictorius für Nordkirchen, wahrscheinlich 1702, Landesmuseum Münster, Konvolut Nordkirchen 64–155 c Tafel III, dort mit Bezeichnung der Räume. Die Räume des appartement de parade wurden bis in die jüngste Zeit renoviert (die Restaurierung des Festsaals dauerte bis ins Jahr 2002) und geben bis auf die nach dem zweiten Weltkrieg verkaufte Einrichtung einen Eindruck des Zustands des 18. Jahrhunderts wieder (vgl. Karl E. Mummenhoff, „Das Schloß Nordkirchen von 1918 bis 1976“, in Westfalen, Bd. 56 (1978), S. 146–173).

21 Als „fürst. Audienzzimmer“ wurde das Zimmer unter Friedrich Christian und während der 1710er Jahre bezeichnet, so z.B. in Archiv Nordkirchen, Akte 6412, Bl. 26, 11.4.1709, oder auch ibid., Bl. 32, 23.12.1708 („audienz- und schlafzimmer ad sinistra des großen Saals“). Die Bezeichnung ‚churfürstlich‘ taucht seit den 1720er Jahren auf, z.B. in Archiv Nordkirchen, Akte 6447, Bl. 31verso, 4.9.1724 (Aufstellung des Staatsbetts für Clemens-August) und bleibt dann für diese Zimmer gebräuchlich (siehe z.B. ibid., Akte 6410, Bl. 39, 6.8.1732, oder auch im Inventar von 1766, ibid., Kastenarchiv, Lade 21, Nr. 5). Das Inventar von Schloß Nordkirchen aus dem Jahr 1732 befindet sich im Archiv Nordkirchen, Kastenarchiv, Lade 89, zz; vgl. Simone Epking, Der Quellenwert und die archivische Erschließung von Inventaren am Beispiel der mobilen Innenausstattung von Schloß Nordkirchen (1695–1781), unpubl. Diplomarbeit, Potsdam, Fachhochschule Potsdam, 2007.

22 Bezeichnungen aus Gottfried Laurenz Pictorius, Grundriß Schloß Nordkirchen, Erdgeschoß, in Landesmuseum Münster, Konvolut Nordkirchen 64-155c, Tafel III (siehe Abb. im Anhang) und aus dem Inventar der 1730er Jahre in Archiv Nordkirchen, Kastenarchiv, Lade 89, zz.

23 In den frühneuzeitlichen Residenzen des Reiches bestanden die Raumfolgen der fürstlichen Gemächer eher in der Reihenfolge Gardesaal, Ritter- und Tafelstube, Vorzimmer, Audienzzimmer, angeschlossen daran der Wohnbereich mit Retirade und Schlafzimmer. Im Münsterischen Residenzschloß, der letzten barocken Schloßanlage im Reich, bestand die Raumfolge aus zwei Antichambres, einem Audienzsaal, einem Schlafzimmer und mehreren Kabinetten (vgl. Ulrich Schulze, „Das Residenzschloß in Münster“, in Schlaun, 1995 (wie Anm. 1), S. 343–406, bes. S. 379ff.; vgl. zur Raumfolge fürstlicher Residenzen Leonhard Christoph Sturm, Vollständige Anweisung großer Herren Palläste, Augsburg, 1718, S. 22f.). Die Habilitationsschrift Ulrich Schulzes über das Münstersche Schloß von 2001 ist zum Druck angekündigt.

24 Letters of Joseph Clemens to Robert de Cotte, hrsg. von John Finley Oglevee, Bowling Green, 1955, S. 8, hier zitiert nach Hugh Murray Baillie, „Etiquette and the Planning of the State Apartements in Baroque Palaces“, in Archeologia or miscellaneous tracts relating to antiquity, Nr. 101 (1967), S. 169–199, hier S. 197.

25 Vgl. Katharina Krause, Die maison de plaisance. Landhäuser in der Ile-de-France (1660-1730), München, 1996 und für den westfälischen Bereich bzw. Schlaun Karin Zinkann, Der Typ der Maison de Plaisance im Werke von Johann Conrad Schlaun, Münster, 1989.

26 Vgl. zur französischen Traktatliteratur, d’Aviler und Sturm sowie zum Einfluß der französischen Architekturtheorie auf westfälische Architekten, besonders auf Schlaun, den Aufsatz von Katharina Krause im Katalog Münster, 1995 (wie Anm. 1), „Schlaun und Frankreich“, S. 205–235; vgl. auch ihren Aufsatz in diesem Band.

27 Vgl. Annegret Möhlenkamp Form und Funktion der fürstlichen Appartements im deutschen Residenzschloß des Absolutismus, Marburg, 1991, S. 115ff.; sie kommt zum Schluß, daß im Reich aus politischen und zeremoniellen Gründen kein Bedürfnis danach bestand, Versailles eins zu eins zu kopieren, sondern daß bestimmte Elemente übernommen wurden, wobei jedoch gerade die Raumfolge des Appartement du roi mit der Betonung des zentralen und offenen Wohn- bzw. Herrschaftsbereich im Reich unerwünscht war.

28 Die Kapelle wurde ab 1713 durch den Stukkator Stephano Melchion und den Maler Johann Martin Pictorius ausgestattet (siehe u.a. Archiv Nordkirchen, Akte 6415, Bl. 20, 26.12.1714; Quittung „wegen verfertigter Stucador arbeit“ für Melchion in ibid., Akte 6419, Bl. 28, 17.11.1713; ibid., Akte 6451, Bl. 1, 18.5.1713, Arbeit in der Kapelle und Vestibül); im östlichen Flügel gelegen, mit einem stark verzierten Portal begehbar, ist dies der am reichsten dekorierte Raum und als solches das dekorative Zentrum des Schlosses, was dem geistlichen Stand des Hausherren nur angemessen war.

29 Die Bilder wurden im Auftrag des Münsteraner Domprobst Ferdinand von Plettenberg, Bruder von Friedrich Christian von Plettenberg, angefertigt (Archiv Nordkirchen, Akte 6411, Bl. 56, 6.5.1712, Abrechnung zusätzlich von vier weiteren Bildern mit Personifikationen der Jahreszeiten – „negst der sala verfertiget 6 stück mahlerei die vier jahreszeiten genannt“). Die Stukkaturen wurden in erster Linie von Rizzo ausgeführt, Molla und Oldelli ergänzten und besserten sie lediglich aus (vgl. Archiv Nordkirchen, Akte 6408, Bl. 87, 10.11.1713).

30 Vgl. zu den Arbeiten Gröningers, der auch einen Teil des Bauschmucks der Kapelle und der Skulpturen des Gartens schuf, Archiv Nordkirchen, u.a. die Akten 2249, 2250, 2255, 2259 und 2263 (1720 bis 1723); daneben wird auch der Bildhauer Fleront in den Akten als in Nordkirchen tätig genannt (ebd., Akte 6480, Bl. 10, 17.2.1723).

31 Kir Kiersen wird als Maler für die Marmorierung der Säulen genannt (in Archiv Nordkirchen, Akte U 3251, Bl. 4, 1.9.1707). Karl E. Mummenhoff vermutet, daß „hinter dem Gliederungssystem das berühmte Vestibül der Schloßkapelle zu Versailles von Jules Hardouin Mansart und Robert de Cotte“ stehe (Mummenhoff 1975, S. 54). Dieser Analogie muß hier widersprochen werden, da sie nach Meinung des Autors bei einem Vergleich der Anlage, ihrer Dekoration und Funktion nicht haltbar ist.

32 Vgl. Alain Jacobs, „Le Ganymède et l’aiglede Jérôme Duquesnoy le Jeune“, in Revue de l’art, Nr. 132 (2001), S. 57–66.

33 Brief von Mme. Callay aus Paris bezüglich der Lieferung von Möbeln an den Grafen von Plettenberg, 27.12.1729, Archiv Nordkirchen, Akte 5470 (mit der Bemerkung: „quand on veut du parfait il faut bien rapporter des attentions“). Die Quellen bezeugen auch den Kauf eines Bildes in Paris durch die Vermittlung des Priesters Thenot 1727 und die Aufträge für Möbel, Ausstattungsgegenstände und Luxusgüter an verschiedene Pariser Händler wie Mondet und Calet in den 1720er Jahren für Bonn und für Nordkirchen (Archiv Nordkirchen, Akte U 2817; ibid., Akte 10753, 17.10.1727, Brief von Thenot bezüglich eines Familienportraits; ibid., Kasten 125, Nr. ss, tt und vv, verschiedene Rechnungen und Quittungen). 1725 nutzte er während seiner Reise mit dem Kölner Kurfürsten anläßlich der Hochzeit Ludwigs XV. 1725 die Gelegenheit, selber in Paris einzukaufen (u.a. einen Schreibtisch und einen Kronleuchter, siehe ibid., Kasten 125, Nr. vv, Bl. 70).

34 Herstellung von Wandteppichen für Plettenberg durch die Meister Auwerex Vater und Sohn in Brüssel, 1709–1711, Archiv Nordkirchen, Akte 14176; ibid., Akte Nachtrag B 122 f, 12.7.1709, Quittung von Jan van Orley. 1911 wurden sie noch ausführlich von Josef Aistermann beschrieben, 1914 jedoch vom damaligen Besitzer Arenberg zur Restauerierung nach Belgien verbracht und blieben schließlich dort, ohne daß ihr heutiger Ort bekannt ist („Beschreibung des Schlosses und des Parkes von Nordkirchen“, in Nordkirchen. Festschrift zur Prinz Heinrich-Fahrt, Münster, 1911, S. 73–130, hier S. 106).

35 Vgl. den Aufsatz von Marc Jumpers zu Bonn in diesem Band.

36 Josef Aistermann behauptet, daß Telemachos die Gesichtszüge Ferdinand von Plettenbergs trage (ebd.). Dieser Zusammenhang ist allerdings aus zwei Gründen fragwürdig, da ersten ein solches direktes Erziehungsmotiv für einen Festsaal eher ungewöhnlich wäre, vor allem aber weil zu dem Zeitpunkt der Stammhalter der Plettenbergs Werner, der ältere der beiden Brüder, war und nicht Ferdinand.

37 Entgegen seiner Monographie von 1975 (Mummenhoff, 1975, wie Anm. 1), in der Karl E. Mummenhoff Antonio Rizzo als verantwortlichen Stukkateur nennt, sind es in seinem Aufsatz von 1978 Caspare Molla und Giovanni Antonio Oldelli (Mummenhoff, 1978 (wie Anm. 19) , S. 155). In den Quellen wird für die ältere Innendekoration noch Giovanni Battista Duca genannt (Abschluß seiner „stucador arbeith“ in Zusammenarbeit mit Rubini, Melchion, Rinaldi, Anthonini und Parlasca 1706, Archiv Nordkirchen, Akte 6450, Bl. 1, 8.2.1706; siehe auch ibid., Akte 6428; ibid., Akte U 3251, Bl.1, 11.9.1706; ibid., Bl. 2, 24.5.1707, wird in einer Quittung ein Stukkateur namens Antonio Melchion genannt).

38 Die Aufträge stammen noch von Friedrich Christian von Plettenberg. Als Maler der Bilder wurde auch Johann Martin Pictorius genannt, Witte erscheint aber in den entsprechenden Rechnungen ab 1708 (Archiv Nordkirchen, Akte 6412, Bl. 10ff., v.a. Bl. 41 und 64f.; vgl. auch Mummenhoff, 1978 (wie Anm. 19), S. 155). 1708 erscheint in bezug auf die Lesbarkeit als Vorwegnahme des politischen Aufstiegs Ferdinand von Plettenbergs jedoch zu früh; diese wurde zuerst auf den Münsteraner Fürstbischof bezogen und wird später auf Ferdinand von Plettenberg übertragen worden sein.

39 Angeblich weilte Kaiser Karl VI. in Nordkirchen und schenkte „zum Andenken an seinen Aufenthalt den Weihbrunnkassel“ (Aistermann, 1911 (wie Anm. 33), S. 108; vgl. auch Rudi Jung, Schloß Nordkirchen. Das ‚westfälische Versailles‘, Lüdinghausen, 51990, S. 42, der auf einen Besuch von Karl VI. und später Franz I. verweist), doch können für einen Besuch der Gegend keine Anhaltspunkte gefunden werden – ebensowenig für den Besuch von Franz Stephan von Lothringen.

40 Vgl. zum Kaiserzimmer zuletzt den Aufsatz von Johannes Erichsen („Kaisersäle, Kaiserzimmer. Eine kritische Nachsicht“, in Kat. Berlin, Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation. 962–1806. Altes Reich und neue Staaten 1495 bis 1806. Essays, Dresden, 2006, S. 273–287), der das entscheidende Kriterium für die Bezeichnung Kaisersaal anstatt in der Ikonographie in der Funktion eines dem Kaiser zugedachten Appartements sieht.

41 Brief von Karl VI. an Ferdinand von Plettenberg, Dezember 1732, in Archiv Nordkirchen, Kastenarchiv, Lade 89, Nr. i, Bl. 92. Plettenberg sucht den Schutz zu Recht, wurde das Schloß doch zeitweilig von den kurfürstlichen Truppen unter Befehl des Generalleutnants von der Horst 1734 besetzt gehalten (siehe auch ibid., Kastenarchiv, Lade 13, Nr. 15f.).

42 Abrechnung von Johann Martin Pictorius in Archiv Nordkirchen, Akte 6415, Bl. 20, 26.12.1714.

43 Abrechnung von Kappers für die Umarbeitung von bestehenden Gemälden und für zwei Kniestücke, eines von Christoph Bernhard von Galen und eines von Ferdinand von Plettenberg, in Archiv Nordkirchen, Akte 6410, Bl. 36 und 39, 1732. Schlaun merkt dazu noch an: „diese beyden portraiter seynd in die churfürstliche Antechambre placiret“ (ebd.).

44 Leonhard Christoph Sturm, Erste Ausübung der vortreflichen und vollständigen Anweisung zu der Civil-Bau-Kunst Nicolai Goldmanns, Braunschweig, 1699, S. 158. Geheizt wurde der Speisesaal durch einen eigens von Schlaun entworfenen Ofen (vgl. Schlaun, 1995 (wie Anm. 1), S. 72; in der Abrechnung von Kock bezeichnet als „newmodeschen offen“, in Archiv Nordkirchen, Akte 6435, Bl. 18, 24.4.1732).

45 Landesmuseum Münster, für Pictorius: 101, 102, 105, 106, 107; für Schlaun: Schl.-Bd. 105, 106, 107; vgl. Kat. Münster, 1995 (wie Anm. 1), S. 279ff.; vgl. für die Beschreibung der einzelnen Räume Mummenhoff, 1975 (wie Anm. 1), S. 52–68, die hier in Ergänzung der Quellen und der eigenen Anschauung herangezogen wurde. Für die Mitarbeit von Bernhard Fix aus Münster vgl. Archiv Nordkirchen, Akte 6452, 1723; ibid., Akte 6494, Bl. 9, 19.9.1731; ibid., Akte U 2871, Bl. N 112, 11.12.1728.

46 Vgl. Tafel Nr. 16, Lange Seite des ersten Vorgemachs zu dem Audienzzimmer, in Paul Decker, Fürstlicher Baumeister, Bd. 1, Augsburg, 1711, von dem, wie Mummenhoff zu Recht feststellte, Pictorius eine vereinfachte Wandbehandlung sowie Dekorationsmuster übernahm (vgl. Münster, 1995 (wie Anm. 1), S. 279).

47 Vgl. Mummenhoff, 1975 (wie Anm. 1), S. 64. Die Bibliothek Nordkirchen weist die Stichwerke neben anderen französischen, italienischen und holländischen Druckgraphiken aus.

48 Johann Conrad Schlaun. Neues Schloß. Dekorationsentwurf des Speisezimmers. Aufriß der Fensterwand, Landesmuseum Münster, 105; vgl. Schlaun 1995, S. 280.

49 Vertrag über die Anfertigung von zwei Marmorbecken nach Zeichnungen Schlauns für das Schloß Nordkirchen vom 25.9.1723, Johann Conrad Schlaun mit Bernhard Fix aus Münster und Joann Rohcaudaux aus Namur, Archiv Nordkirchen, Akte 6452, 25.9.1732.

50 Vgl. Das Hofreisejournal des Kurfürsten Clemens August von Köln 1719–1745, bearbeitet von André Krischer, hrsg. von Barbara Stollberg-Rillinger, Siegburg 2000, S. 114. Ich danke Herrn Krischer für die freundliche Zusendung des Quellentextes.

51 Vgl. Mummenhoff ,1978 (wie Anm. 19), S. 58.

52 Mummenhoff, 1975 (wie Anm. 1), S. 64.

53 Abrechnungen von Morsegno in Archiv Nordkirchen, Akte 2277 (1730); ibid., Akte 2284 (1731, Kapelle); ibid., Akte 2282 (1732, mit Domenico Castelli in der Kapelle); ibid., Akte 6423, Bl. 1 (1730, u.a. auch Arbeiten in der „entrata del palazzo“); ibid., Akte 6410, Bl. 27 (1732, verschiedene Arbeiten in der Kapelle und den Sälen mit Castelli; ibid., Akte 6494, Bl. 1, 4.7.1731, Kapelle). Die beiden Castelli-Brüder sind die Söhne des ab 1724 in der Würzburger Residenz arbeitenden Johann Peter Castelli; Morsegno und Castelli arbeiten zusammen ebenfalls in Brühl (1728–31), Falkenlust (1731–33) und Clemenswerth (1740–41) sowie im Palais Thurn und Taxis in Frankfurt (1733–37) und in Ansbach (1734–1745). Das Palais in Frankfurt, von Robert de Cotte und Guillaume Hauberat 1733–1735 erbaut, steht dekorativ in einem engen Zusammenhang mit Bonn und Nordkirchen, der besonders gut an der Form der Deckenrosetten abzulesen ist.

54 Siehe zu den Arbeiten Delarocques den Etat des quinzaines de ceux qui m’ont aidé à travailler au platfond de S. E. Monsieur le Comte de Plettenberg, in Archiv Nordkirchen, Kastenarchiv, Lade 125, Nr. n, Bl. 61, auf der Biarelle und Morel als Mitarbeit genannt werden; vgl. die Aufsätze von Gerd Dethlefs, in denen er verschiedene Dekorationsentwürfe für Nordkirchen sowohl Delarocque als auch Johann Adolf Biarelle zuweist (Gerd Dethlefs, „Fünf Dekorationsentwürfe von Stephan Laurent Delarocque“, in Johann Conrad Schlaun in Münster, Aust.-Kat., Münster, Stadtmuseum, Münster, 1995, S. 58–63, und id., „Zwei Entwürfe für Stuckdecken von Johann Adolf Biarelle“, in ibid., S. 64–77). Siehe zu Morsegno in Brühl Wilfried Hansmann, Das Treppenhaus und das Große Neue Appartement des Brühler Schlosses, Düsseldorf, 1972, S. 31-32.

55 Die Salons wurden von dem Bonner Hofvergolder Franz Joseph Heideloff teilvergoldet (siehe Archiv Nordkirchen, Akte 2282, 1732; ibid., Akte 6410, Bl. 30, 1733).

56 Siehe Archiv Nordkirchen, Kastenarchiv, Lade 21, Nr. 1–4; Plettenberg persönlich führte bis 1734 das Inventar der Sammlung (vgl. Georg Erler, „Beiträge zur Geschichte der Nordkirchener Gemäldegalerie“, in Westfalen, Bd. 4 (1912), S. 22–29, S. 59–65; vgl. auch Gerd Dethlefs, „Johann Conrad Schlaun in seiner Zeit“, in Münster Stadtmuseum, 1995 (wie Anm. 53), S. 10–22, hier S. 13). Er nahm seine Sammlung nach 1734 zuerst mit nach Wien und ließ sie dann nach Rom in den Palazzo Altemps bringen, ohne jedoch selbst jemals dort angekommen zu sein, da er 1737 in Wien verstarb. Seine Witwe ließ einen Teil der Gegenstände in Rom versteigern und vor allem die Gemälde nach Amsterdam bringen, wo sie 1738 ebenfalls angeboten wurden (siehe Archiv Nordkirchen, Kastenarchiv, Lade 14, Nr. 47). Ein Teil gelangte schließlich zurück nach Nordkirchen, wo ein zweiter Verkauf stattfand; der Rest verblieb im Besitz der Nachfahren. Da das Land Nordrhein-Westfalen 1958 beim Kauf des Schlosses auf die mobilen Werte verzichtete, wurde die Sammlung über den Kunstmarkt in alle Welt verstreut.

57 Zitiert nach Max Braubach, „Ferdinand von Plettenberg. Ein westfälischer Politiker und Diplomat des 18. Jahrhunderts“, in Westfalen, Bd. 22 (1937), S. 165–175, hier S. 165.

58 Archiv Nordkirchen, Akte 8018, Bl. 26. Zum Porzellan- und Silberkauf 1728 in Augsburg vgl. Archiv Nordkirchen, Akte 14308, Bl. 82 bzw. ibid., Akte 12879; vgl. den Katalog Elfenbein, Alabaster und Porzellan aus der Sammlung des fürstbischöflichen Ministers Ferdinand von Plettenberg und der Freiherren von Ketteler, hrsg. von der Kulturstiftung der Länder in Verbindung mit dem Stadtmuseum Münster, Berlin, 2001.

59 Archiv Nordkirchen, Akte 8667, Bl. 48 und 99 (Paulsen 1725), ibid., Bl. 111 (Douven 1725); ibid., Akte 8339, Bl. 12 (Goudreaux 1726); ibid., Akte 8357, Quittung 164 (Tournière 1730, siehe auch ibid., Kasten 125, Nr. ww, Bl. 83); ibid., Akte 11666, Quittung vom 8.5.1725 (Schlichter), vom 16.2.1725 (Le Clerc) sowie verschiedene Arbeiten von Sartori erwähnt in ibid., Akte 13356, Bl. 96 verso, ibid., Akte 13358, Bl. 118, ibid., Akte 12501, Bl. 61 verso und 64 verso, ibid., Akte 13361, Bl. 87, ibid., Akte 13364, Bl. 113 und 135, ibid., Akte 8667, Bl. 86, ibid., Akte 8666, Bl. 27–28, ibid., Akte 9119, Bl. 84 und ibid., Akte 9663, Quittung 106 (vgl. Dethlefs 1995 (wie Anm. 42), S. 13f.).

60 Zusammen mit Plettenberg und Schlaun unternahmen die beiden Gartenplaner eine Art Bildungsreise zu den bekanntesten deutschen Gartenanlagen (Stationen waren München, Stuttgart, Mannheim, Mainz, Bonn, Brühl, Köln, Nordkirchen, Münster, Osnabrück, Hannover, Hildesheim, Kassel, Frankfurt, Mannheim, Karlsruhe und wieder München; Reiserechnung Archiv Nordkirchen, 11884–11886; vgl. Dethlefs 1995 (wie Anm. 42), S. 14).

61 Montesquieu zeichnet während seiner Reisebeschreibung (1729) ein sehr negatives Bild über Ferdinand von Plettenberg: „Je vis aussi son ministre Plettenberg, qui a toujours l’air très petit-maître. Sa vanité se tourne un peu en ambition. Il veut être vice-chancelier de l’Empire en faisant enrager l’Empereur, voyant qu’il n’est pas plus avancé pour l’avoir servi“. (Montesquieu, 1949 (wie Anm. 6), S. 860.)

62 Vertrag für das Neubinden des Bibliotheksbestandes durch Conradt Wege, Archiv Nordkirchen, Akte 6448, Bl. 194, 8.9.1725.

63Description du château de Versailles, par Mr Félibien à Paris, 1696; La galérie des peintures, à Paris, 1663; Le voyage de Fontainebleau, à Paris, 1678; Traité de la cour ou instruction des courtisans, par Mr du Refuge, à Paris, 1658; Abrégé des analyses de la ville de Paris, à Paris, 1664; Traité d’Architecture, par Seb. Le Clerc, à Paris, 1714; Cours d’architecture, par M. le Sieur Daviller, à Paris, 1694; Cours d’architecture, par M. Blondel, à Paris, 1675; Libro primo d’Architettura, di Sebastiano Serlio, in Venetia; Cours d’Architecture, par M. Franc. Blondel, à Paris, 1683; Recueil des planches des Sieurs Marot père et fils; Manuale d’Architettura, di Giov. Branca, in Ascoli, 1629; Description de la ville de Paris, par Gemain Brice, à Paris 1706; Description des chateaux et parcs de Versailles et de Marly, seconde édition 1704; Dessein divers des châteaux à bâtir; Cheminés et portes à la mansarde à Paris; Lambris de galeries, chambres, et cabinets, par J.B. le Roux; Desseins de lambris de menuiserie, par Cottar; Alcoves à la françoise, plafonds, termes, porte-cochères, par J. le Pautre; Desseins de diverses ornemens et moulures antiques et modernes; Plans du dessein, du S. le Blond; Les Œuvres et desseins de Marot père et fils; Onderwys van de vyt colomen door Simon Bosboom, Amsterdam 1686.“ (Catalogue ou l’abrégé de tous les livres françois, italiens, espagnols, grecs, anglois de la bibliothèque à Nordkirchen, 1769, in ULB Münster, Handschriftenabteilung, NK 189, S. 16ff, und Catalogue des livres de la bibliothèque de Nordkirchen écrit en l’année 1797 sous les auspices de Monseigneur Maximilien Frédéric Comte regnant de Plettenberg Wittem, 1797, in ULB Münster, Handschriftenabteilung, NK 191 und NK 192. Die Bücher aus der Bibliothek befinden sich zum Teil in der ULB Münster und im Stadtmuseum Münster.)

64 Das Inventar listet Bücher über den Kardinal Richelieu, den Kardinal Mazarin, Colbert, den Kardinal d’Amboise, Sully, Plessis, die französischen Könige Heinrich III, Heinrich IV., Franz I., Ludwig XII., Ludwig XIII., Ludwig XIV. (mehrfach), die frz. Marechalle, die frz. Fürsten, Duc d’Orléans, Prince de Condé, Henry de Montmorency, etc., und Literatur von Balzac, Boileau, Molière, Rabelais, etc. auf; weiterhin werden u.a. genannt die Histoire des princes illustres, 1699; Traité de la cour ou instruction des courtisans, par Mr du Refuge, 1658; Le cabinet ou la bibliothèque des grands, par Gedeon Pontier, 1682; Le devoir d’un jeune cavalier voyageur, 1698; Traité de la civilité qui se pratique en France, 1702; Des mots à la mode, et des nouvelles façons de parler, troisième édition, 1698; Du bon et du mauvais usage dans les maniéres de s’exprimer, suite des mots à la mode, 1698; Instruction du roy en l’exercice de monter à cheval, de M. Antoine de Pluviel, 1625; sowie die damals aktuellen Zeitschriften wie der Mercure de France, der Mercure galant, das Journal des scavans, die Nouvelles des cours de l’Europe, etc. (ibid.)

65 Die Kavalierstour des Ferdinand von Plettenberg wurde rekonstruiert durch Georg Erler (in id., „Erziehung westfälischer Adeliger im 18. Jahrhundert“, in Westfalen, Bd. 1 (1909), S. 103–124, hier S. 121ff.).

66 Vgl. Aloys Winterling, Der Hof der Kurfürsten von Köln. 1688–1794, Bonn, 1986; Winterling kommt zu dem Schluß, daß eine ‚absolutistische‘ Hofhaltung in Köln zwar von Joseph Clemens eingeführt wurde, allerdings ohne politische bzw. gesellschaftliche Konsequenzen im Sinne einer Domestizierung des Adels hatte und entsprechend von seinem Nachfolger Clemens August vor allem in Bezug auf Gesandte eingehalten wurde. Die zeremoniellen Anweisungen sind wiedergegeben in George Livet, Recueil des Instructions données aux Ambassadeurs et Ministres de France depuis les Traités de Westphalie jusqu’à la Révolution Française, Bd. II, Paris, 1963; vgl. auch Hofreisejournal (wie Anm. 49).

67 Hofreisejournal (wie Anm. 49), Dezember 1719, S. 41.

68 Vgl. einführend zur Funktion und Ausbildung des Hofzeremoniells nach dem Westfälischen Frieden von 1648 Volker Bauer, Hofökonomie. Der Diskurs über den Fürstenhof in Zeremonialwissenschaft, Hausväterliteratur und Kameralismus, Wien, 1997; zur inneren und äußeren Ordnung vgl. ibid., S. 35.

69 Hofreisejournal (wie Anm. 49), Oktober 1726, S. 134. So ist beispielsweise überliefert, daß Clemens August am 11. März 1723 auf dem Weg nach Holland in Nordkirchen mit einem Teil seines Hofes, darunter „Herr Baron von Schorff, Herr Graf von Trauner, Herr Marquis Caponi, Herr Baron von Thaen, Herr Baron von Aertzen, Pater Ellspacher, Herr Marquis Trotti, Herr Baron von Lutzelburg“ sowie deren Edelknaben, Kammerdienern, Feld- und Hoflakaien Rast nahm, um dort eine ganze Woche zu verweilen (vgl. ibid., März 1723, S. 80f.).

70 Inventarium sämtlicher Möbel im Schloß, auf der Oranienburg, in der Fasanerie u. Orangerie, 1730er Jahre, in Archiv Nordkirchen, Kastenarchiv, Lade 89, zz.

71 Christian Wolff begründet 1721 Pracht und Zeremoniell als konstitutives Element der gesellschaftlichen Ordnung in der feudalen Gesellschaft: „Wenn die Unterthanen die Majestät des Königs erkennen sollen, so müssen sie erkennen, daß bey ihm die höchste Gewalt und Macht sey. Und demnach ist nöthig, daß ein König und Landes-Herr seinen Hoff-Staat dergestalt einrichte, damit man daraus seine Macht und Gewalt zuerkennen Anlaß nehmen kann. Auch entspringen aus dieser Quelle alle Hoff-Ceremonien“. (Christian Wolff, Vernünftige Gedancken Von dem Gesellschafftlichen Leben der Menschen, Halle, 1721, S. 499, hier zitiert nach Günther Vogler, Absolutistische Herrschaft und ständische Gesellschaft, Stuttgart, 1996, S.73.)

72 Vgl. zum Verhältnis von Kaiser und Ständen nach dem Westfälischen Frieden im Vergleich zu Frankreich Klaus Malettke, Les relations entre la France et le Saint-Empire au XVIIe siècle, Paris, 2001; vgl. für die besondere politische und Situation der geistlichen Fürstentümer in Bezug auf ihr Repräsentationsbedürfnis Lars Reinking, „Herrschaftliches Selbstverständnis und Repräsentation in den geistlichen Fürstentümern des 18. Jahrhunderts: das Beispiel ‚Schloß Brühl‘ des Kölner Kurfürsten Clemens August“, in Geistliche Staaten im Nordwesten des Alten Reiches, hrsg. von Bettina Braun, Köln, 2003, S. 117–137; die Fragestellung nach Zeremoniell, Funktion und Dekoration der Residenzen in der besonderen Situation der geistlichen Staaten würde eine noch ausführlichere Behandlung verdienen.

73 Schon Pierre du Colombier nährte diese Ansicht von Versailles als ‚exemple‘ mit einer Bemerkung über Nordkirchen als dem nach Rastatt zweiten Beispiel einer Versailles-Nachahmung im Reich: „Versailles inspira certainement aussi Nordkirchen conçu par Godefroy-Laurent Pictorius à une date à peine postérieure [Rastatt 1700] et où l’architecte Schlaun, qui dessina les jardins vers 1708, trouva dans les eaux abondantes de la Westphalie des facilités qui avaient été réfusées à Versailles.“ (Pierre du Colombier, L’architecture française et Allemagne au XVIIIe siècle, Bd. I, Paris, 1956, S. 73.) Man muß ihm zugute halten, daß er, anders als viele Kunsthistoriker nach ihm, Versailles aber als soziales System begreift: „Entendons-nous: dans l’esprit de ceux qui les [mémoires] écrivent, l’architecture n’est pas tellement en cause, mais bien ce que l’histoire appelle aujourd’hui […] un ‚genre de vie‘.“ (Ebd., S. 72)

74 Hugh Murray Baillie warnte in seinem grundlegenden Aufsatz zum Verhältnis von Zeremoniell und Staatsappartement vor einem undifferenzierten Blick auf angebliche Imitationen in den europäischen Fürstenhäusern: „Although the European courts of the seventeenth and eighteenth centuries display a considerable degree of similarity in their organization and costums, we should, I suggest, be careful not to over-estimate the amount of imitation that took place between them […]“. (Baillie 1967 (wie Anm. 17), S. 170.)

 

bussmann-nordkirchen-april2008

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