Orpheus in der Unterwelt, oder: Chaos im White Cube – monumentale Künstlerräume als erweiterte Kritik- und Erfahrungsräume

Orpheus in der Unterwelt, oder: Chaos im White Cube – monumentale Künstlerräume als erweiterte Kritik- und Erfahrungsräume

Stefan Vogels Raum-im-Raum-Installationen in den Kunstsammlungen Chemnitz können Unsicherheit und Unbehagen erzeugen, bei Besucher:in wie auch beim Museum. Die Ausstellung ist dem Keller gewidmet und die zweite Station einer Reihe, die in der Gesamterscheinung ein Haus bilden wird. Die Kellerräume wecken dunkle Phantasien und rufen abstruse Szenen hervor. Durch Einbauten, Verkürzungen, neue Proportionen, veränderte Lichtverhältnisse, rohe und im Ausstellungsbereich ungewohnte Materialien wie Zement und alchemistisch anmutende Objekte erfährt das Publikum eine unerwartete und irritierende Erfahrung der Ausstellungsräume am Theaterplatz. Stefan Vogel arbeitet sich mit seinen Raumkonstruktionen, Werkpräsentationen und Assemblagen von Erinnerungsstücken vom Keller in die Nebenräume empor

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Good Vibrations? Anmerkungen zu Carlfriedrich Claus‘ Eulenspiegel-Reflex, 1964–1965

Good Vibrations? Anmerkungen zu Carlfriedrich Claus‘ Eulenspiegel-Reflex, 1964–1965

PDF Literatur Anmerkungen Carlfriedrich Claus gehört auf künstlerischem und intellektuellem Gebiet zu den großen Solitären der Nachkriegszeit in Ostdeutschland, als individuelle Künstlerpersönlichkeit jenseits des Mainstreams und fern der staatlichen Kulturpolitik. Sucht man nach ihm in den einschlägigen Übersichtswerken zur Kunst in Deutschland oder in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg, ist es zumeist vergebens. Bei Carlfriedrich Claus, künstlerisch und intellektuell ein Autodidakt und mit der Welt durch Korrespondenzen verbunden, führte die Zurückgezogenheit seiner Existenz in der Peripherie der DDR dazu, dass er zeitlebens ein Nischendasein fristete und bis heute nicht von einem größeren Publikum wahrgenommen wird. Claus war

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Ambivalente Heldengeschichte: Rezeption und Kanonisierung der expressionistischen Künstlergruppen Brücke und Blauer Reiter nach dem Zweiten Weltkrieg in Ost- und Westdeutschland

Ambivalente Heldengeschichte: Rezeption und Kanonisierung der expressionistischen Künstlergruppen Brücke und Blauer Reiter nach dem Zweiten Weltkrieg in Ost- und Westdeutschland

      I.          Einführung Im Sammlungskatalog zur Moderne des Frankfurter Städel wird der 93-jährige Altbundeskanzler Helmut Schmidt nach seinem Verhältnis zur Kunst und vor allem zum Expressionismus befragt.[1] Er erinnert sich an die Jahre des Nationalsozialismus und die Verfemung der Avantgarden. Seine Liebe zu Emil Nolde sei auf die „Kinderzeit zurückzuführen, aber nicht nur zu Nolde, sondern zu fast allen Malern der Brücke und des Blauen Reiters“.[2] Schmidt war sicherlich einer der prominentesten Anhänger der beiden Künstlergruppen in der Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg. Seine Erinnerungen sind repräsentativ für eine Generation, die von der Erfahrung des Nationalsozialismus so

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Notizen zu Friedrich Schreiber-Weigands Ausstellungspolitik im Netzwerk der deutschen Museumslandschaft in der Weimarer Republik

Notizen zu Friedrich Schreiber-Weigands Ausstellungspolitik im Netzwerk der deutschen Museumslandschaft in der Weimarer Republik

Infolge der Museumsreformbewegung erfuhren die Museen in Deutschland einen wichtigen Professionalisierungs- und Internationalisierungsschub wie in keinem anderen Land in Europa.[1] Seit dem späten 19. Jahrhundert spielten Museen und einige Museumsdirektoren, etwa durch Hugo von Tschudi in Berlin und München, Alfred Lichtwark in Hamburg oder etwas später auch Gustav Pauli in Bremen und Hamburg,[2] eine wichtige Rolle für die Verbreitung der Moderne und die Entwicklung der Museen als gesellschaftlich relevante Orte der ästhetischen Bildung. Neben der Auswahl von Werken für Ausstellung und Ankäufe – erinnert sei an die Kontroversen, die Tschudi in Berlin durchstehen musste, als er impressionistische

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‚Eine Idee vom Anderssein‘ – Clara Mosch und Ralf-Rainer Wasse, von der Aktion zur Fotografie. Eine Einführung

‚Eine Idee vom Anderssein‘ – Clara Mosch und Ralf-Rainer Wasse, von der Aktion zur Fotografie. Eine Einführung

Clara Mosch, Galerie und Künstlergruppe            Mit der Gründung der Galerie Clara Mosch durch die Künstler Carlfriedrich Claus, Thomas Ranft, Dagmar Ranft-Schinke, Michael Morgner und Gregor-Torsten Schade (seit 1980 Kozik) in Karl-Marx-Stadt begann eine neue, zeitweilig fruchtbare künstlerische Ära in der von Arbeit und Industrie geprägten Stadt und Region. Vier der Künstler hatten in den 1960er und frühen 1970er Jahren an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig studiert. Aufgrund persönlicher Freundschaft zwischen den Künstlern und einer gewissen Grundhaltung gegenüber den staatlichen Autoritäten, die eher von Dada als vom Untertanengeist gespeist war, und dem Wunsch nach Eigensinn,

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Jay Gard

Über die Jahrhunderte hinweg finden sich in der Kunstgeschichte Systematisierungen visueller Phänomene von Farbe durch Künstler und Gelehrte, die sehr häufig nicht nur in schriftlichen Abhandlungen niedergelegt, sondern auch mit Diagrammen veranschaulicht werden. Analyse und Emotion, Geist und Gefühl durchdringen den Kosmos von Kunstliteratur und Lehre als Hintergrund für die künstlerische Praxis. Farbkreise oder Farbkugeln gehören dabei zu beliebten Anschauungsmodellen, verbinden sie doch wissenschaftliche Erscheinungsweise mit ästhetischer Deutlichkeit. Stark vertreten ist diese Neigung unter deutschen Gelehrten und Künstlern gewesen. So hat Johann Wolfgang von Goethe seine Farbenlehre (1810), die sich im bewussten Widerspruch zur naturwissenschaftlichen  Empirie Isaac

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Henrike Naumann, DDR Noir. Schichtwechsel

Henrike Naumann, DDR Noir. Schichtwechsel

Max-Pechstein-Preis, Zwickau 2019 Der Titel von Henrike Naumanns Rauminstallation DDR Noir. Schichtwechsel referiert auf den Film noir, mit dem vornehmlich die amerikanischen Kriminalfilme der 1940er und 1950er Jahre bezeichnet wurden, geprägt durch eine desillusionierte Weltsicht und deprimierte, verbitterte Typen, viel Schatten, starke Schwarz-Weiß-Kontraste und häufige Rückblenden. Verbunden mit der DDR, stellt sich bei mir eine Kette an Assoziationen ein: düstere Landschaften, vom Tagebau erodiert, graue und giftige Luft, verschmierte und dreckige Gesichter von Bergwerksarbeitern, Familiendramen und Enge. (Bilder, die sich durchaus auch mit bestimmten Regionen Westdeutschlands wie dem Ruhrgebiet einstellen könnten.) Ein solcher Rückblick auf die DDR

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Gedanken zum gesellschaftlichen Engagement von Museen

Natürlich sind Künstler*innen genauso wenig wie Kurator*innen dazu berufen, die Welt allein zu retten. Und Museen sind weder Schulen noch Gerichtsräume. Sie ersetzen auch nicht die athenische Agora als Ort der öffentlichen Debatte, aber können als sozialer und diskursiver Raum fungieren. Auch wenn Kunst Freiheit genießt und nicht externen Bedürfnissen dient, können Künstler*innen und Kurator*innen als politisch handelnde Wesen mit ihren Mitteln ihren Teil zu öffentlichen Debatten beitragen. Welche Fragen beschäftigen uns im Augenblick? Vielleicht gar nicht so sehr das Verhältnis von Neu- zu Altbürger*innen – zumindest nicht mit Blick auf das Jahr 2015. Klar schaffen wir

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M+M. Fan der Menschheit

M+M. Fan der Menschheit

Vorwort zum Katalaog M+M. Fan der Menschheit, Kunstsammlungen Chemnitz 2019 „Fan der Menschheit“ oder, wie es im Englischen noch eingängiger heißt, „Fan of Man“ ist der Titel der Ausstellung des Künstlerduos M+M in den Kunstsammlungen Chemnitz. Der Titel ist ein Zitat: In der aktueller Zweikanal-Videoarbeit des Duos, Der 8. Tag, bekennen sich Teufel und Gott gleichzeitig dazu, ein solcher Fan zu sein. Es ist also auch der Teufel, der sich zum Freund der Menschen erklärt („Ich bin Humanist, vielleicht der letzte Humanist“). Denn er weiß die Schwäche der Menschen auf seiner Seite, aufseiten von Zerstörung und Vernichtung,

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Lichtsplitter. David Schnells Glasmalerei im Kontext moderner und zeitgenössischer Glaskunst

Lichtsplitter. David Schnells Glasmalerei im Kontext moderner und zeitgenössischer Glaskunst

Licht wurde in der europäischen Kultur seit jeher religiös und metaphysisch überhöht. Die biblische Schöpfungsgeschichte beginnt sogar damit: mit der Erschaffung des Lichts. Zugleich wurde es stets als Voraussetzung für Erkenntnis verstanden, nicht zuletzt im Zeitalter der Aufklärung, als die zentrale Metapher für geistige Erleuchtung durch die Vernunft. Schon seit dem frühen Mittelalter gelten gestaltete Glasfenster daher als wichtiges Medium für die materielle und künstlerische Umsetzung dieser Auffassungen. In Kathedralen, Kirchen, Synagogen, Moscheen oder anderen sakralen Gebäuden verbindet es architektonische Erfordernisse mit spirituellem Gehalt. Frühe und bekannte Beispiele sind die Pariser Sainte-Chapelle oder die Kathedrale von Chartres,

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