/ November 13, 2012/ Vorträge

Intro

Sehr verehrte Damen und Herren, sehr geehrter Herr Kaiser, liebe Julia, sehr geehrter Herr Prinzing,

haben Sie vielen Dank für die Einladung zu der Tagung und die freundliche Einführung. Ich muß zugeben, daß ich anfangs ein wenig gezögert habe, die Einladung zu einem Kurzvortrag über das Museum der bildenden Künste Leipzig bei dieser Tagung anzunehmen, da der Schwerpunkt der Tagung auf der Moderne liegt. Und Leipzig ist keine Stadt der Moderne, das Museum nicht für seine Sammlung moderner Kunst bekannt, höchstens ‚der anderen Moderne’, wie es auf einer Tagung zur DDR-Kunst in Weimar vor einem Monat hieß. Bereits in den 1920er Jahren wurde vom Kunsthistorikern wie Erwin Redslob „das geringe Interesse Leipzigs für alles, was neues, geistiges Leben bedeutet“ bemängelt und Wolfgang Balzer schrieb, daß Leipzig „in künstlerischen Dingen […] äußerste Provinz“ sei. Bis heute ist die Abteilung moderne Kunst bis 1945 im Museum nur sehr schwach vertreten, nicht vergleichbar mit Halle oder auch Chemnitz, von Dresden oder Berlin natürlich ganz zu schweigen. Die Gründe hierfür sind vielfältig und auch nicht Gegenstand des Vortrags, aber sicher spielte der konservative Einfluß von Max Klinger, der bis heute das künstlerische Selbstverständnis der Stadt prägt, eine ebenso große Rolle wie die Tatsache, daß es in den 1920er Jahren lange Zeit keinen eigenen hauptamtlichen Direktor gab.

In diesem Vortrag werde ich mich angesichts der kurzen Zeitvorgaben allein auf die konkrete Museumssituation in Leipzig beschränken, auch wenn die Hauptaktivitäten nach 1945 im Museum allerdings die Ausstellungs- und Vermittlungsarbeit betreffen. Da mein Eindruck ist, daß diese sehr viel deutlicher Wandel und Konstanz kunsthistorischer Vorstellungen und die ideologische Debatten der Zeit widerspiegeln, wäre eine weitere Tagung zur Ausstellungspolitik in Ost und West wünschenswert!

Räumliche und ideelle Zerstörungen Am 4. Dezember 1943 und dann erneut am 27. Februar 1945 werden bei schweren Luftangriffen der Alliierten auf die Stadt Leipzig auch der 1858 errichtete Bau des Museum der bildenden Künste getroffen. Beim ersten Angriff waren sämtliche Geschosse bereits ausgebrannt. „Vernichtet wurden hierbei einige im ersten Geschoss noch befindliche plastische Kunstwerke, einige große Rahmen, die im Treppenhaus sichergestellt waren sowie einige zurückgebliebene Bestände des Graphischen Kabinetts und ein Teil der Handbibliothek des Leipziger Kunstvereins sowie die gesamte damals in den unteren Räumen des Museums befindliche Große Leipziger Kunstausstellung“, wie es In einem Bericht vom Juni 1945 heißt. Beim zweiten Angriff trafen etwa 10 Sprengbomben das Gebäude, Betondecken und drei Magazine wurden zerstört, danach trat Regen in das Gebäude ein. Das Gebäude sei ein „Totalschaden“. Klingers Beethoven, der ebenfalls im Museum verblieben war, blieb allerdings in seinem von Klinger initiierten Anbau an das Museum wie durch ein Wunder unbeschädigt und wurde ab 1946 zusammen mit anderen Skulpturen des Künstlers in der Klingerschau als einzige Ausstellung dauerhaft den Leipzigern in Erinnerung der alten Pracht inmitten der Ruinen präsentiert. Die übrigen Bauteile eigneten sich nicht mehr für Ausstellungen, die anfangs dann in dem einzigen nicht zerstörten Museumsbau in Leipzig, im Naturkundlichen Heimatmuseum organisiert wurden.

Als der Museumsbau im Krieg getroffen wurde, war weniger der Bestand des Museums verletzt als viel stärker das Selbstverständnis des Museums innerhalb der Stadt Leipzig, Sachsens, ja auch Deutschlands. Das Museum, das als großes kommunales Museum auf eine lange bürgerschaftliche Tradition seit 1848 blicken kann, hatte seinen stolzen, an die Renaissance verweisenden historistischen Raum und damit seine Präsenz in der vor dem Krieg vielleicht wichtigsten deutschen Messe- und Verlagsstadt verloren. Man hatte bis in die 1960er Jahre hinein immer wieder darüber debattiert, ob man die Ruine wieder aufbauen und mit Anbauten neuen räumlichen Erfordernissen Rechnung tragen sollte oder ob man einen Neubau an die Stelle setzt. Aus finanziellen Gründen entschied man sich letzen Endes gegen einen Neubau. Bis zur Eröffnung des Neubaus des Museums im Jahr 2004 – dem ersten und bisher einzigen größeren Museumsbau in den neuen Ländern nach der Wende und dem dritten Museumsneubau in Ostdeutschland nach 1945, Berlin ausgenommen –, wurde das Museum ab 1945 immer wieder in Interimsquartieren untergebracht und verlor so auch ein Stück seiner identitätstiftenden Funktion für die Stadt Leipzig.

Interimsquartiere Mit den Befehlen Nr. 51 vom 4.9.1945 und Nr. 85 vom 2.10.1945 wurden von der Sowjetischen Militäradministration die „Wiedererrichtung und Tätigkeit der Kunstinstitutionen“ bzw. die „Wiederingangsetzung der Museen und die Ausnutzung der kulturellen Denkmäler für die Volksbildung“ gefordert. Wie wir bereits gehört haben, war die Wiedereröffnung von Museen eine wichtige Forderung der Besatzungsmacht mit Blick auf die Umerziehung der Deutschen nach der Indoktrination durch den Nationalsozialismus. Die Museen sollten in der unmittelbaren Nachkriegszeit „kulturelle Aufklärungsinstitute [sein …], wobei der antidemokratische und humanitätsfeindliche Charakter der faschistischen, rassischen und militaristischen Ideologie aufzudecken ist“, wie es im Statut des Museums der bildenden Künste von 1946 dann heißt. In Leipzig sollten die Museen am 1. November 1945 ihre Tätigkeit wieder aufnehmen. Es mußte „unter allen Umständen der Eindruck vermieden werden, als ob aus Nachlässigkeit oder Schlimmerem den Anordnungen der Militär-Regierung nicht auf’s Prompteste nachgekommen werden soll“, so mahnte das Kulturamt die Leipziger Museen im Oktober 1945. Vordringlichste Aufgabe war in der unmittelbaren Nachkriegszeit entsprechend die Lösung der Raumfrage, „die für unser Museum wirklich eine Lebensfrage ist“, wie der damalige Direktor Werner Teupser am 9. November 1945 an das Kulturamt schrieb. Es wurde zuerst eine Villa am Leipziger Stadtpark in Betracht gezogen, um „inmitten von Ruinen und Zerstörung eine geruhsame Oase, ein kleiner Kunsttempel zu schaffen, der in dem grauen und wirren Alltag unserer Gegenwart innere Sammlung und Schönheit vermitteln würde“.

Aus praktischen Erwägungen entschloß sich die Stadtverwaltung dann, dem Museum als erstes Interimsquartier Ende 1946 Teile des Gebäudes der ehemaligen Reichsbank in der Peterstraße zuzuweisen, das im Zentrum der Stadt lag und große und sichere Räume aufweisen konnte. Es konnte auf den 1130 qm Ausstellungsfläche etwa 10% seines Bestandes zeigen, was gegenüber den 9600 qm des ursprünglichen Museumsbaus beklagt wurde [Karton 72]. Jedoch wurden diese Räume ab 1947 von der Emissions- und Girobank Sachsen zurückgefordert, so daß man sich nach einem neuen Domizil umschauen mußte, das schließlich in dem weitgehend unzerstörten Gebäude des ehemaligen Reichsgerichts gefunden wurde. Ab 1952 konnte das Museum im Reichsgericht das gesamte Erdgeschoß und Teile des oberen Geschosses einnehmen. Die Ausstellungsfläche hatte sich nun verdreifacht, so daß bis 1997 dort sowohl die ständige Sammlung als auch Sonderausstellungen gezeigt werden konnten.

Dominierend in der öffentlichen Wahrnehmung des Museums wurde dann allerdings das im Reichsgericht in Erinnerung an den Reichstagsbrandprozess von 1933 errichtete Dimitroff-Museum, das dem Gebäude und dem Platz seinen Namen gab und das Museum der bildenden Künste wie eine Unterabteilung desselbigen erscheinen ließ. Deutlich wurde so eine bildungsbürgerliche Institution dem neuen politischen System des ersten Arbeiter- und Bauernstaates auf deutschem Boden und dem Führungsanspruch der SED unterworfen. Denn das Reichsgerichtgebäude sollte mit Unterstützung des gebürtigen Leipzigers Walter Ulbricht zu einem Haus der Freundschaft ausgebaut werden und neben dem Dimitroff-Museum auch die Gesellschaft für deutsch-sowjetische Freundschaft, die deutsch-polnische Gesellschaft, den Kulturbund und das Museum des fortschrittlichen Bürgertums und der Arbeiterbewegung beherbergen. Der Umzug des Museums in dieses Haus der Freundschaft, der in erster Linie eine räumliche Notwendigkeit war, folgte äußerlich im Jahr der zentralistischen Verwaltungsreform von 1952 den sich zunehmend autoritär formulierten Anforderung von Staat und Partei an die Museen, nach dem „Brechung des Bildungsmonopols“ der herrschenden bürgerlichen Klasse [Anders Programm definieren von Museen].

Ein Blick auf die Sammlungs-, Vermittlungs- und Ausstellungstätigkeit seit 1945 verrät jedoch, daß sich der im November 1945 neu eingesetzte Museumsleiter Prof. Johannes Jahn (1892–1976) zuerst der Kunst und dann den neuen gesellschaftspolitischen Anforderungen verpflichtet fühlte. In einer Stellungnahme vom Juli 1951 an die sächsische Landesregierung zu den Richtlinien für die Arbeit der Sächsischen Museen fordert er erfolglos eine „weniger diktatorische“ Formulierung der Richtlinien und definiert sein Selbstverständnis als Museumsleiter mit den Worten: „Die erste und vornehmste Aufgabe des Leiters eines Kunstmuseums ist, Mittler und Deuter von Kunstwerken zu sein und erst in zweiter Linie gehen ihn gesellschaftliche Zusammenhänge, die Zusammenhänge von Kunst und Geschichte usw. an.“ Auch die Erwerbungspolitik unter Johannes Jahn, der zugleich seit 1934 außerplanmäßiger Professor und seit 1956 Ordinarius für Kunstgeschichte an der Universität Leipzig mit dem Schwerpunkt Mittelalter bis Frühe Neuzeit war und das Museum bis 1968 leitete, unterstützt den Eindruck, daß er versucht hat, einen Kompromiß zwischen den neuen Machthabern und den eigenen Überzeugungen zu finden.

Auslagerungen und Rückführungen 1943–1946 Bevor ich auf die Erwerbungen nach 1945 eingehe, will ich Ihnen kurz einen Überblick über die Situation um ‘45 geben, die im Sammlungsbestand von Verlusten ebenso geprägt war wie von Zugewinnen. Nachdem die Stadt am 19. April 1945 an die Amerikaner übergeben wurde, galt es zunächst, die seit 1942 an 17 verschiedenen Stätten ausgelagerten Kunstwerke wieder zusammenzuführen. Neben Auslagerungsstätten in Tresoren in Leipzig, war der Großteil über ganz Sachsen auf Rittergütern, Herrenhäusern, entlegenen Fabriken und Stollen zum Teil bis ins Erzgebirge verteilt. Genaue Zahlen zu ermitteln ist in diesem Zusammenhang schwierig, da es bereits während des Krieges zu Plünderungen kam und sich nach Kriegsende auch amerikanische und sowjetische Besatzungssoldaten entgegen den internationalen Statuten schadhaft hielten. In einem Zwischenbericht vom Dezember 1945 heißt es, daß vom Gesamtbestand über etwa 1500 Gemälden etwa 60%, also 917 Stück bis dahin geborgen waren. 1947 ging man im Bereich der Gemälde von einem Verlust von etwa 25% aus, dabei eingeschlossen waren allerdings die von der Roten Armee ‚sichergestellten‘ Kunstwerke.

Sequestrierungen, Plünderungen 1945–1946 Die Beschlagnahmungen von Gemälden, Grafiken, Plastiken und Büchern durch die sowjetische Armee aus den Banktresoren begannen bereits Anfang Juli 1945 und dauerten bis Februar 1946 an. Dies geschah anfangs unsystematisch, teilweise nur zur Ausschmückung von Diensträumen, dann aber zunehmend systematisch mit Blick auf die wichtigsten Werke vor allem Alter Kunst durch die sowjetische Trophäenkommission. 1958 erst wurden diese an die Stadt Leipzig zurückgegeben, ein Jahr später erinnerte eine große Ausstellung mit 110 Gemälden und 5 Plastiken an diese „großherzige Tat“, wie im Katalogvorwort für die „von sowjetischen Restauratoren und Kunstwissenschaftlern liebevolle und sachverständige“ Betreuung gedankt wurde. Unter den konfiszierten Werken waren zum Beispiel Frans Hals’ Mulatte, Paul Delaroches Napoléon oder Edvard Munchs Bildnis des Malers Dornberger. Bis heute fehlt von sechs von der Roten Armee geraubten Gemälden jede Spur, wie etwa von Hippolyte Bellangés Schlacht von Wagram aus der Sammlung Schletter.

Andere, weniger schmerzliche Verluste erleidet das Museum infolge der Vernichtung von Werken mit militaristischem oder nationalsozialistischem Charakter infolge des Befehls Nr. ???, so meldet zum Beispiel Direktor Jahn 1950 dem Dezernat Volksbildung drei Büsten von „heute nicht mehr aktuellen Persönlichkeiten“, die man einschmelzen könne: Hitler, Wilhelm II. und Generalfeldmarschall Häseler. Göring sei bereits eingeschmolzen.

Bodenreform und Beschlagnahmungen Die wichtigsten Zugänge zum Bestand wiederum erhielt das Museum neben wenigen Schenkungen und Vermächtnissen durch die mit der Bodenreform ab September 1945 enteigneten mobilen Kunstgegenstände und Bibliotheken im Landkreis und in der Stadt Leipzig. Unter den etwa 500 dem Museum in der Zeit zugegangenen Kunstwerke sind vor allem die aus den Sammlung Krug von Nidda, Graf Hohenthal und ganz zentral die Sammlung Speck von Sternburg zu nennen. Ein Teil dieser in der Bodenreform beschlagnahmten Sammlungen wurde nach 1990 restituiert, ein anderer Teil, wie zum Beispiel die Sammlung Speck von Sternburg, ging als Stiftung ans Museum und bildet heute den Kern der Abteilung Alte Meister. Im Verhältnis zu den Neuerwerbungen überwiegen die Zuwächse aus der Bodenreform quantitativ und auch in qualitativer Hinsicht, da man gerade mit der Sammlung Speck von Sternburg eine der wichtigsten sächsischen Adelssammlungen mit wichtigen Werken des 19. Jahrhunderts wie etwa von Wilhelm von Schadow oder Caspar David Friedrich und der Alten Meister wie von Rubens oder Lucas Cranach. Gerade die Cranach-Gemälde riefen besondere Aufmerksamkeit hervor, da das Leipziger Museum bereits einer der wichtigsten deutschen Sammlungen für Cranach, dessen Jubiläum 1953 in der gesamten DDR groß begangen wurde. Das Werk Cranachs wurde durch die offizielle Kulturpolitik im Sinne einer fortschrittlichen deutschen Tradition der gesellschaftlichen Emanzipation unter anderem durch die Cranach-Kommission neu interpretiert, die nach 1954 direkt dem Kultusministerium unterstellt war und von Johannes Jahn geleitet wurde. Das Leipziger Museum konnte sich auf diese Weise als wichtige Stütze der offiziellen nationalen Erbepolitik erweisen, die zugleich aber den kunsthistorischen Interessen des Museumsleiters entsprach.

Verwahrbestand Neben der Enteignung von adeligem oder nationalsozialistischem Besitz erweiterten auch Kunstwerke aus dem Bestand von verstaatlichten Gesellschaften wie die Deutsche Gesellschaft oder die Thüringer Gaswerke, aber auch von beschlagnahmten Besitz bzw. der Einziehung von ‚herrenlosem Gut’, wie es hieß, also von Personen, die in den Westen gezogen sind oder straffällig wurden. Diese Kunstwerke, wie etwa die wichtige Sammlung Kummerlé, die sich zum Teil aus den im Krieg erpressten jüdischen Sammlungen wie die des Händlers Goudstikker speiste und im Augenblick im Restitutionsverfahren steht, wurden dem Museum von anderen Behörden entweder übereignet und dann in den Bestand integriert oder nur zur Aufbewahrung überlassen. Sie zählen zum sogenannten Verwahrbestand, der mit knapp 500 Werken sehr unterschiedlicher Qualität bis heute noch seiner Erforschung und Klärung der Eigentumsverhältnisse harrt. Das Museum organisierte mit diesem sehr heterogenen Verwahrbestand eine Reihe von Ausstellungen ab 1949 unter dem Titel Kunst und Kitsch, in dem hochrangige Werke aus dem Museum mit solchen niedriger künstlerische Qualität verglichen wurden, um einem größeren Publikum kunsthistorische Qualitätsmaßstäbe zu vermitteln. Die in der Bodenreform und in der Zeit danach beschlagnahmten oder durch Verstaatlichung in den Besitz des Museums gelangten Kunstwerke machen im Zeitraum 1945 bis 1955 mit zwei Dritteln den weitaus größten Teil der Neuzugänge aus.

Schenkungen Größere Stiftungen oder Schenkungen bleiben anders als im Westen in Leipzig die Ausnahme, da viele der potentiellen bürgerliche Mäzene entweder enteignet wurden oder nach dem Krieg in den Westen geflohen sind. Erwähnenswert war als größere Schenkung Mitte der 50er Jahre die Stiftung Dr. Paul Geipel aus Dresden, der neben Werken von Max Klinger oder Lovis Corinths Salomé das Lebenswerk des Tierbildhauers August Gaul mit über 100 Plastiken übergab.

Erwerbungen nach 1945 Eigenständige Erwerbungen von Gemälden und Grafiken wurden aufgrund mangelnder Infrastruktur in der unmittelbaren Nachkriegszeit nicht getätigt, sondern sind erst ab 1946 langsam zu verzeichnen. Bei den Erwerbungen ist das Eintauschen von Kunstwerken etwa aus dem Verwahrbestand oder von Doubletten bis Ende des Jahres 1947 die gegenüber den städtischen oder staatlichen Ankaufsmitteln die gängige Praxis gewesen. Im Gesamtüberblick lassen sich vor diesem Hintergrund bis 1955 in der Erwerbungspolitik des Museums drei Haupttendenzen ausmachen: 1) Das Schließen von Lücken, die durch das NS-Regime und Krieg entstanden sind; 2) das Abrunden vorhandener Bestände und Sammlungsschwerpunkte wie etwa das 19. Jahrhundert und Max Klinger; 3) der Erwerb von realistischer Gegenwartskunst, vor allem Leipziger Künstler, mit zunehmenden ideologischen Bezug zur neuen Gesellschaftsordnung.

Im November 1946 bereits hatte das Museum in einem Brief an den für die Volksbildung zuständigen Stadtrat Lang einen höheren Etat für Ankäufe gefordert und dabei die inhaltliche Ausrichtung der Ankäufe definiert: „Wir haben einen lächerlich kleinen Etat für Ausstellungen und Ankauf. […] Es fehlt ja noch ganz ein Kabinett junger Kunst. Die Nazis haben uns die Modernen als entartet weggenommen. Auch fehlt, was die SMA als zweckmäßige Neuerung vorschlägt, politische Graphik und zeitgenössische Dokumente, die wir nach und nach erwerben möchten.“ Vier Jahre später sollte er in einem Artikel in der National-Zeitung vom 28.3.1950 über das Lebendige Museum die Schwerpunkte seiner Erwerbungspolitik noch mal darlegen, dabei ist er allerdings besonders mit Blick auf die Moderne zurückhaltender: „Was soll man ankaufen? Selbstverständlich zunächst Werke, die die Gewähr bieten, daß sie den Menschen unserer Zeit wirklich etwas zu sagen haben. Soll man aber auch Werke sammeln, von denen man weiß, daß sie nur einem verhältnismäßig kleinen Kreis von Kunstinteressierten ansprechen? Ja, auch diese!“ Man sieht in den vorsichtigen Formulierungen, daß die Diskussionen um die sogenannte formalistische Kunst und den volkserzieherischen Charakter des Museums seine Spuren hinterlassen haben. Jahn versucht, sowohl dem von der SED bzw. dann der Staatlichen Kunstkommission formulierten Auftrag zur Verbreitung von Laienkunst und realistischen Werken mit sogenanntem fortschrittlichem Inhalt mit seinen eigenen Ansprüchen als Kunsthistoriker zu verbinden, was sich im Übrigen auch in Ausstellungen und Vorträgen wie die Vergleichende Bildbetrachtung. Ein Beitrag zur Frage Realismus – Formalismus, 1951 zuerst im Leipziger Museum und dann in Chemnitz? gezeigt, oder Form und Inhalt, die er 1952 zur ästhetischen Fortbildung von Arbeitern durch Betriebe wandern ließ.

Moderne in Leipzig und die Aktion Entartete Kunst Da das Schwerpunktthema der Tagung die Moderne ist, werde ich mich im Folgenden vor allem auf den ersten und dritten der hier genannten Punkte konzentrieren. Wie bereits angedeutet, war die heute klassische Moderne in Leipzig nie besonders präsent, auch wenn die erste Ausstellung der Brücke-Künstler 1905 in der Leipziger Kunsthandlung P. H. Beyer & Sohn stattfand. Das Museum hat sich anders als der Kunstverein nicht übermäßig stark für die moderne Kunst eingesetzt. Die erste Erwerbung moderner Kunst war 1921 der Ankauf von Emil Noldes Verspottung Christi von 1909. 1910 und 1914 war das Gemälde im Leipziger Kunstverein ausgestellt gewesen, jedoch zögerte das Museum mit einem Erwerb, da es den gleichen Skandal befürchtet wie es die Moritzburg in Halle erlebte, als sie 1913 Noldes Abendmahl kaufte. In dieser Zögerlichkeit zeigt sich bereits, daß das Leipziger Museum der Moderne längst nicht so aufgeschlossen war wie etwa die Moritzburg. Um Noldes Verspottung Christi, heute im Brücke-Museum, gruppierten sich durch Ankäufe im Laufe der 1920er Jahre weitere Gemälde von Max Pechsteins, Lyonel Feininger, Erich Heckel, Oskar Kokoschka, Karl Schmidt-Rottluff, Max Beckmann, Alexander Kanoldt oder Karl Hofer und anderen zu einer Abteilung Moderne. Plastiken von Wilhelm Lehmbruck oder Alexander Archipenko sowie neu erworbene moderne, expressionistische und veristische Grafiken, etwa von Kollwitz, Barlach, Beckmann, Dix, Grosz, Feininger, Klee, Matisse, Kandinsky oder Chagall ergänzten den Bestand. Durch die 1931 wieder abgezogene Dauerleihgabe des Dresdener Kunsthistorikers Karl Lilienfeld kamen für das Leipziger Museum zentrale Werke der Moderne von Pechstein, Schmidt-Rottluff, Kirchner, Jawlensky, Marc, Klee, Kandinsky, Campendonk und Vlaminck konnte das Museum in den 1920er Jahren einen eindrucksvollen Einblick in das moderne Kunstschaffen bieten. Noch unter den Nationalsozialisten erwarb man Otto Muellers Liebespaar und Erich Heckels Stilleben mit Lilien sowie Grafiken von Nolde, Heckel und Corinth, wurde aber noch vor der Säuberungsaktion zur Entarten Kunst auf Betreiben des städtischen Kulturamtes zum Verkauf von zwei Liebermann-Gemälden und eines Pissaro-Gemäldes gezwungen. Im Zuge der ab 1937 einsetzenden Vorbereitung zur Beschlagnahmung und Entfernung sogenannter entarteter Kunst, denen das Museum ohne Widerstand Folge leistete, ging ein Großteil dieses bescheidenen Modernebestands mit 18 Gemälden, 51 Aquarellen und 283 Druckgrafiken dauerhaft verloren. Erst nach der Wende konnten aus dem ursprünglichen Bestand Oskar Kokoschkas Genfer See, Otto Mueller Liebespaar und Karl Hofers Tischgesellschaft zurückgekauft werden.

Auch wenn die Verluste durch den Nationalsozialismus im Vergleich zu anderen Häusern in Leipzig noch überschaubar waren, versuchte man nach dem Zweiten Weltkrieg durch Erwerbungen einiger Arbeiten der verfemten Moderne diese in Teilen wieder zu rehabilitieren. Dabei standen antifaschistische, expressionistische und veristische Ansätze der modernen Figuration im Vordergrund. Künstler aus dem Umkreis des Bauhauses oder abstrakte Werke wurden offenbar nicht übermäßig beachtet gezogen, ohne daß diese anfangs völlig ausgeschlossen wurden. Vorrangiges Ziel war es, wieder eine Abteilung Moderne aufzubauen, dabei spielte es neben praktischen Erwägungen bis zum Ausbruch des Kalten Kriegs keine grundsätzliche Rolle, ob die Künstler aus dem Osten oder dem Westen kamen. So schreibt die Kustodin Margarete Hartwig im März 1947 einen Brief an den abstrahierend arbeitenden Ernst Geitlinger in Seeshaupt bei München mit Blick auf die Erwerbung eines Gemäldes, das sie in der ersten Allgemeine Deutschen Kunstausstellung 1946 in Dresden gesehen hatte: „Da wir unserem Museum wieder ein Kabinett moderner Kunst anschließen möchten, würden wir sehr gern dem Erwerb eines Ihrer Werke nähertreten. […] Wir sind bei Neuerwerbungen moderner Kunst, die wir sehr lieben und die wir dem Publikum sehr gern wieder zugänglich machen möchten, auf das Entgegenkommen der Künstlerschaft angewiesen und würden uns freuen, auch Ihre Unterstützung zu finden.“ Leider wurde die Chance auf den Erwerb einer abstrakten Arbeit nicht genutzt, es fand aus unbekannten Gründen kein Ankauf statt.

Pechstein Man versuchte sich im Museum nach 1945 zuerst auf den Expressionismus aus dem Umkreis der Brücke zu konzentrieren, der ja durch die Nähe zu Dresden auch eine regionale Spezialität war. Der später in der Formalismusdebatte wieder aufgenommene Vorwurf der Vorbereitung des Faschismus durch den Expressionismus, den Alfred Kurella und dann Georg Lukács 1937 in der Expressionismudebatte der Exilzeitschrift Das Wort gemacht hatten, wurde erst nach dem Ausbruch des Kalten Krieges und der Durchsetzung der SED-Diktatur nach 1947 zwischenzeitlich Teil der offiziellen Kunstpolitik, wurde aber von der Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Museums nicht geteilt. So bittet Frau Hartig in einem Brief vom März 1947 Max Pechstein in Berlin: „Leider haben wir während der Herrschaft des 3. Reiches in unserem Museum alle Werke moderner Kunst eingebüßt. Wir müssen nun ganz von vorn anfangen, Bilder der von uns sehr verehrten Meister des Expressionismus langsam wieder zusammenzubringen, um sie der Öffentlichkeit wieder zugänglich zu machen. Wir haben in einer Ausstellung ‚Befreite Kunst’ eine Leihgabe von Ihnen ausstellen können. Nun möchten wir aber für unser Museums selbst eines von Ihren Bildern erwerben.“ Aufgrund finanzieller Schwierigkeiten bittet sie Pechstein dann, „Verständnis für die recht missliche finanzielle Lage der Museen haben, die uns zwingt, Sie um Ihr möglichstes Entgegenkommen bei der Preisgestaltung zu bitten.“ Auch hier haben die Verhandlungen zu keinem Erfolg geführt, der hier gezeigte Pechstein kam über einen Nachlass ins Museum.

Heckel/Nolde Da die finanzielle Ausstattung des Museums keine großen Erwerbungen zuließ, verfiel man auf die Idee hochwertige Reproduktionen expressionistischer Kunstwerke in einer Auflage von 1.500 Stück zu verkaufen. So bittet zum Beispiel Johannes Jahn in einem Brief vom Februar 1947 Erich Heckel um die Reproduktionserlaubnis seines Aquarells Kornblumenstilleben und schreibt zur Begründung: „Wie Ihnen bekannt sein dürfte, haben auch wir gelegentlich der Naziaktion gegen die ‚Entartete Kunst’ fast unsere sämtlichen ‚diesbezüglichen’ Bestände eingebüßt. Jetzt fangen wir mit den bescheidensten Mitteln und unter großen Schwierigkeiten an, einen neuen Grundstock junger deutscher Kunst zu legen. In diesem Zusammenhang tragen wir uns mit den Absicht, ein ansprechendes, aber auch für die neue Richtung charakteristisches Museumsblatt in kleiner Auflage herauszubringen, um damit auch finanziell in die Lage zu kommen, weitere Anschaffungen modernerer Bildwerke und vor allem zeitnaher Graphik vornehmen zu können.“ Vorher, im Herbst 1946 bereits, hatte das Museum eine entsprechende Korrespondenz mit Emil Nolde geführt: „Das in unserem Museum von Ihnen befindliche Bild Verspottung Christi ist leider als entartete Kunst von den Nazikommissionen entfernt worden. Wir hoffen, für dieses verloren gegangene Werk in absehbarer Zeit wieder einen Ersatz erwerben zu können und warten dafür auf eine Gelegenheit, denn wir möchten selbstverständlich die moderne deutsche Kunst wieder in unserem Museum vertreten haben. Wir haben nur noch 3 schöne Aquarelle von Ihrer Hand in unserer Graphischen Sammlung und erlauben uns, bezüglich der der Reproduktion des einen uns an Sie zu wenden. Es heißt Mohn und Iris und es handelt sich um folgendes: Wir sind, wie Sie sich sicher denken können, sehr knapp an Mitteln, um nicht zu sagen gänzlich mittellos. Da wir durch den Krieg sehr gelitten haben, unser Museum ist gänzlich verbombt, viele Bilder und Rahmen beschädigt, können wir den Aufbau eben wegen Mangel an Mitteln nur sehr langsam und unzulänglich vornehmen. Um dem etwas abzuhelfen, sind wir auf die Idee gekommen, einen Museumsfonds zu schaffen. Wir wollen ein Kunstblatt herausgeben und das zu einem Preis von ca. 1500 Exemplaren und haben dafür Ihr oben genanntes Aquarell ausgewählt. Es handelt sich also hierbei um einen wohltätigen Zweck und nicht um einen kapitalistischen Verkauf.“ Da Nolde, anders als Heckel, es aus qualitativen Erwägungen ablehnt, seine Werke reproduziert zu sehen, versucht Frau Hartig ihn noch mal mit Blick auf Noldes umstrittene Rolle im Dritten Reich unter Druck zu setzen mit der Bemerkung, daß „einflussreiche Clique aus politischen Gründen dagegen war“ ihn auszuwählen, die Bemühungen blieben aber erfolglos. Die Vorwürfe, die gegen Nolde erhoben wurden, wurden in den Diskussionen um den Formalismus und Realismus zunehmend gegen die expressionistische Kunst erhoben, so daß neben dem Ankauf von Christian Rohlfs Sonnenrose von 1934 oder von einem Peter August Böckstiegels Lehmgrubenarbeiter von 1919 anläßlich der 1950 im Museum veranstalteten Böckstiegel-Ausstellung die Erwerbungen in dieser Richtung immer weniger werden. Anders als in der Grafiken ist der Anteil an expressionistischen und modernen Gemälden unter den Erwerbungen allerdings verschwindend gering. In der Grafik wurden jedoch seit 1946 Zeichnungen, Aquarelle und Druckgrafiken unter anderem von Käthe Kollwitz, Barlach, Grosz, Dix, Felixmüller, Pechstein, Nolde, Schmidt-Rottluff, Heckel, Beckmann, Feininger, Kanoldt Hofer, Grundig und auch Picasso und Léger angekauft.

Hofer Das Museum suchte in der Zeit den Kontakt direkt mit den Künstlern, kaufte aus Ausstellungen heraus oder versuchte über den Kunsthandel Werke zu erwerben. Man kaufte bei der Kunsthandlung Engewald in Leipzig, bei der Galerie Henning in Halle, bei Mayer und Kühl in Dresden oder über die Galerie Lothar Hempe in Weimar, der Werke von Otto Mueller, August Macke und Karl Hofer vermitteln sollte, um „die Lücken unserer Sammlung nach der Moderne hin wieder aufzufüllen“, wie Frau Hartig im Februar 1947 schrieb. Von Hempe hatte man 1948 auch die Karl Hofer-Ausstellung übernommen. Denn mit zunehmender Propagierung des Realismus in der SBZ steigt auch im Museum das Interesse an Werken des sogenannten expressiven Realismus von Karl Hofer, die ebenfalls im Zuge der Aktion entartete Kunst aus dem Bestand gelöscht worden war. In den späten 1940er und frühen 1950er Jahren prägte Hofer durch seine Bilder ebenso wie durch sein Amt als Direktor der Berliner Kunsthochschule wie auch als Herausgeber der Zeitschrift Bildenden Kunst die gesamtdeutsche Kunstszene, die sich noch nicht unversöhnlich zwischen Ost und West gegenüberstand. Sieben Jahre vor dem großen Eklat der Kontroverse über Figuration und Abstraktion zwischen Karl Hofer und Will Grohmann, die beide noch gemeinsam 1946 in der Jury ersten Allgemeinen Deutschen Kunstausstellung in Dresden saßen, wurde Hofer 1948 zu Ehren die von Hempe zusammengestellte Ausstellung im Museum gezeigt, die als „eine Art Wiedergutmachungsaktion auf künstlerischem Gebiet“ gedacht war, wie es in der Ausstellung hieß. Zum gleichen Anlaß des 70. Geburtstags des Künstler 1948 wurden auch in Karlsruhe, Kassel und Berlin Hofer-Werke präsentiert.

Ein Jahr zuvor bereits hatten Jahn und Hartig in einem Brief an Hofer das Gespräch über den Erwerb eines seiner Gemälde gesucht: „Wie von Ihnen gewiss noch erinnerlich, hatte unser Museum ein Bild von Ihnen, das mit anderen im dritten Reich durch eine bestimmte Commission als ‚Entartete Kunst’ ausgeschieden worden ist. Wir bedauern das als spezielle Freunde neuer Kunst unendlich und sind nun nach allen Kräften bestrebt, die so schmerzlichen Lücken nach Möglichkeiten wieder aufzufüllen. Dem entgegen steht nun allerdings die heute so geringe finanzielle Bewegungsfreiheit der Museen, die eine grosszügige Kunstpolitik von vornherein beinahe unmöglich macht. Wir sind daher, wenn wir junge Kunst nach all diesen Jahren der Verschüttung wieder populär machen wollen – und wir tun dies bereits durch Vorträge und Ausstellungen – auf die Mithilfe der Künstlerschaft angewiesen. Deshalb erlauben wir uns an Sie verehrter Herr Professor die Bitte zu richten, uns ein oder zwei Leihgaben für unser Museum zu geben. Wir würden gern einmal zu diesem Zweck nach Berlin kommen. Vielleicht ist es uns auch möglich, ein Bild von Ihnen zu erwerben, wenn uns eine entgegenkommende Preisbildung die Möglichkeit dazu lässt.“ Auch hier ist es leider nicht zum Erwerb eines Bildes gekommen, aber zu der Leihgabe des Bildes Frauen am Meer, das 1946 auf der Allgemeinen Deutschen Kunstausstellung in Dresden gezeigt wurde und seit 1948 im Museum der bildenden Künste Leipzig hängt.

Grundig Mit dem Hofer-Bild wird ein zweiter kurzzeitiger Schwerpunkt in der Erwerbungspolitik des Hauses in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre deutlich, nämlich die antifaschistische und engagierte Kunst der 1920er und 1930er Jahre, besonders sogenannte ‚proletarische-revolutionäre‘ Werke der Assoziation Revolutionärer Bildender Künstler vor allem aus Leipzig und Dresden wie Alfred Frank, Kurt Magritz, Otto Griebel (erst 72 erworben), Wilhelm Lachnitt, Theo Balden (erst 79 erworben) oder Hans und Lea Grundig. Herausragendes Zeugnis dieser Zeit ist Hans Grundigs erste Fassung der Opfer des Faschismus von 1946, das 1949 auf der zweiten Allgemeinen Kunstausstellung gezeigt wurde. Zum Ankauf von Kunstwerken auf dieser Ausstellung war 1949 eigens eine Delegation bestehend aus dem damaligen Leipziger Oberbürgermeister Opitz, dem Kulturstadtrat Lang, dem Dezernenten für Volksbildung Hartig sowie dem Rektor der Hochschule Kurt Massloff und dem Hochschulprofessor und Künstler Kurt Magritz nach Dresden, um Kunstwerke zum Ankauf für das Museum auszusuchen, ohne den Museumsdirektor Jahn. Sie entschließen sich am Ende für den Erwerb von Grundigs Opfer der Faschismus und seiner Tafel Chaos des Triptychons Das Tausendjährige Reich von 1938, heute in Dresden, eine Reihe von Grafiken von Lea Grundig, Walter Münzes Bildnis Alfred Frank (1949), Kurt Magritz‘ Spanische Vision (1949) in Erinnerung an den Bürgerkrieg und einer Abreit des damals noch an der Leipziger Hochschule unterrichtenden Max Schwimmer. Grundig und Opitz kannten sich aus gemeinsamer Zeit im KZ Sachsenhausen, so daß Grundig sich entschloß, in Erinnerung an gemeinsames Leid der Stadt Leipzig das Gemälde Opfer des Faschismus zu schenken. Der Ankauf von Grundigs Tafel Chaos, dem ursprünglich der Erwerb des gesamten heute in Dresden befindlichen Triptychons folgen sollte, war Leipzig das erste Museum in Deutschland das nach dem Krieg überhaupt eine Arbeit von Grundig erwarb.

Anfang der 50er Jahre läßt das Engagement für die proletarisch-revolutionäre Kunst unter dem Eindruck der Formalismusdebatten und den Forderungen nach Durchsetzung des eines utopisch-optimistischen sozialistischen Realismus durch die Partei nach. Werke wie Grundigs Opfer des Faschismus – nach ihrer Rehabilitierung wurden später auch Theo Baldens Blinde Krieger (1945) und Otto Griebels Selbstbildnis vor dem brennenden Dresden (1945) erworben – entsprachen in ihrer Rückwärtswendung und mahnenden Erinnerung nicht den kulturpolitischen Erfordernissen einer vorwärtweisenden, aktivierenden, optimistischen und fortschrittlichen Kunst. Hans Grundig selbst bechreibt seine zunehmende Isolation in einem Brief an Gertrud Clasen 1949 mit den Worten: „Warum ausgerechnet für unsere Museen und Sammlunge die bürgerliche Indifferenz angekauft wird, das ist mir unverständlich. […] Es hat den Anschein, daß niemand an das Vergangene erinnert sein möchte, und als ob ein nicht eingestandenes Schuldgefühl zu verhindern sucht, nicht diese kämpferische Kunst so zu verankern, daß in späteren Zeiten die Menschen sagen können – was mag das wohl für eine unmenschliche Periode des deutschen Volkes gewesen sein, wenn solche Werke entstehen mussten.“ Diese Passage ist mit Blick auf die ausbleibende Vergangenheitsaufarbeitung in der SBZ/DDR, und auch im Westen, interessant, da sich die DDR als das gute und antifaschistische Deutschland empfand und die marxistisch-leninistische teleologische Geschichtsauffassung die Schuldfrage der Deutschen stärker unter dem Blickwinkel des Klassenkampfes als der individueller Verantwortung stellte. Die von Grundig gezeigten Leiden, zumal in Anlehnung an religiöse Bildformen dargestellt, wurden trotz ihres hohen politischen Engagements als formalistisch abgelehnt, die Zeit eines stalinistischen Realismus war angebrochen. Zwar waren die Ankäufe der Grundig-Arbeiten 1951 noch in einer Ausstellung zu Ehren von Hans und Lea Grundig präsentiert worden, die im Rahmen einer Festwoche zur Eröffnung des Fünfjahresplans organisiert wurde. Doch wurde das Museum vom Dezernat Volksbildung dafür gerügt, daß die Eröffnung und dann auch die angeordnete Diskussion der Ausstellung „zu leger erschien, zu wenig systematisch und genügend tief auf das Hauptproblem Formalismus und Realismus eingehend empfunden worden“. Die Museen sollten endlich Werke zeigen, die unter Anleitung eines „entwickelten gesellschaftlichen Bewußtsein […] Zugang zu den fortschrittlichen Menschen des Aufbaus“ finden sollten, wie bereits 1948 die Sächsische Arbeitsgemeinschaft Bildenden Kunst im Rahmen des Zweijahresplans forderte. Die dort gezeigte Kunst sollte der Normerfüllung der Jahrespläne, nämlich „Produktionssteigerung, Aktivistenbewegung, Bündnis zwischen Arbeitern und Intellektuellen, Kampf dem Bummelantentum und den Wirtschaftssaboteuren“, dienlich sein.

Zwar versucht das Leipziger Museum weiterhin, vor allem in der Tauwetterperiode von 1953 bis 1956 seine kunsthistorische Kompetenz nicht vollständig der Parteilinie zu unterwerfen, wie Ausstellungen von Picasso oder Kokoschka 1956 zeigen, nachdem der Versuch einer Ausstellung des „Formalistenhäuptlings“ Braque 1950 noch verboten wurde. Auch wollte sich das Museum keineswegs in ideologischen Wettstreit mit der Hochschule für Grafik und Buchkunst stellen, die unter dem Rektor Kurt Massloff und dem Prof. Kurt Magritz, der dann auch Mitglied der Staatlichen Kunstkommission war, zu einer Kaderausbildungsstätte sozialistischer Künstler machen wollten. Denn nach dem Zweiten Weltkrieg sollte Leipzig, Geburtsstadt Ulbrichts und neben Weimar ein historischer Ort klassischer deutscher Kultur, zum sozialistischen Kunstzentrum ausgebaut werden, da die künstlerischen Zentren in Ostdeutschland, Berlin, Dresden und Halle, durch eigene Traditionen vorbelastet waren. Das städtische Museum konnte sich diesen Anforderungen nicht verweigern. Der Nicht-Erwerb des gesamten Grundig-Triptychons Das Tausendjährige Reich, der ursprünglich zur Diskussion stand und die Rückgabe der Einzeltafel nach Dresden sind ebenso ein Zeichen einer gewissen politischen Unterwerfung wie die geplanten Einkäufe von Werken des sozialistischen Realismus auf der „stalinistischsten aller zentralen Kunstaustellungen im Jahr 1953“, wie Karl-Siegbert Rehberg sagt, in Dresden, was jedoch aus finanziellen Gründen scheiterte.

Die Museumsleitung sieht sich seit der Gründung der DDR 1949, der Verabschiedung zuerst des Zweijahresplans 1949–1951 und dann des Fünfjahresplans zunehmend auch in seinen Kaufentscheidungen unter Druck gesetzt. So begründet der Dezernent für Volksbildung Hartig die nur vorläufige Teilfreigabe der Mittel zum Erwerb von Kunstwerken in einer Notiz für Leipziger Oberbürgermeister 1951 mit der noch zu erfüllenden Zeitverbundenheit und Bewußtseinsbildung, das heißt dem Folgen der Parteilinie: „Das Museum der bildenden Künste in Leipzig […] hat es in den letzten Jahren an dem Bemühen nicht fehlen lassen, durch Ankäufe Lücken zu schließen, Sammlungsabrundungen vorzunehmen und auch in gebührende Weise das künstlerische Schaffen der Gegenwart zu berücksichtigen. In verstärktem Maße muß sich die Ankaufstätigkeit der Museen darauf ausrichten, die neue Bewußtseinsbildung auch aus den Bereichen des künstlerischen Schaffens zu unterstützen und damit die Zielsetzung des Fünfjahresplans von dieser Seite her zu fördern. Ein Museum von der Größe und Bedeutung des Leipziger Museums […] hat hierbei gewichtige Aufgaben zu erfüllen. Zwar wird das Museum auch fernerhin darauf achten müssen, durch Ankauf bedeutender Werke unseres nationalen Kulturerbes seine Bestände zu ergänzen, aber es wird vor allen Dingen die großen Ausstellungen der DDR nach richtungsweisenden Werken solche Künstler zu überprüfen haben, die das richtige Verständnis für eine fortschrittliche Entwicklung unter Beweis stellen.“ Das Dezernat forder zum einen den Ankauf von Werken auf entsprechenden Ausstellungen wie etwa die vom Verband Bildender Künstler organisierten Leipziger Bezirksausstellungen, auf der das Museum zum Beispiel von dem Leipzgier Akademielehrer Karl Miersch, der, wie ein Vergleich mit einem Werk aus den 1920er Jahren zeigt, sich der neuen Kunst in Form und Inhalt angepaßt hat. Zum anderen werden vom Museum auch Methoden erwartet, um zu solchen Werken zu gelangen, die ein fortschrittliches Kunst- und Gesellschaftsverständnis ausdrücken. Denn, so Hartig: „Die bildende Kunst, wie alle Kunstübungen unserer Zeit, steht im Zeichen der Überwindung einer überwiegend formalistisch betriebenen Kunst und der Hinwendung zu einer aus den Quellen des gesunden Lebens des Volkes schöpfenden sozialistischen Realismus mit dem klaren Ziel, Kunstwerke zu erlangen, die mit den Mitteln wirklichen künstlerischen handwerklichen Könnens die fortschrittlichen Inhalte unserer Zeit optimistisch, anregend und vorwärtstreibend sichtbar machen. Im Rahmen dieser Bewußtseinshaltung und Verantwortung sollen sich die Ankäufe des Museums der bildenden Künste bewegen.“ Ein Mittel, das hierzu, das ich zum Schluß hin erwähnen möchte, war die Ausschreibung eines künstlerischen Wettbewerbs durch das Museum. Ein Teil des jährlichen Ankaufsetats sollte dazu verwendet werden, der Wettbewerb für sächsische Bildhauer und Maler in der Zeitung veröffentlicht werden. Während der ursprüngliche Ausschreibungstext von Jahn als lediglich als Vorgabe nannte, „ein Werk zu schaffen, das den Gedanken der Einheit künstlerisch gestaltet“, wurde er durch das vorgesetzte Dezernat ergänzt um den Zusatz: „oder des Kampfes um den Frieden oder des Fünfjahresplan“. Kurz bevor dieser nun politisch korrigierte Texte veröffentlicht wurde, erhielten das Museum und das Dezernat Volksbildung im Mai 1951 Kenntnis von einem ähnlichen Vorhaben in Berlin, wo die Regierung der DDR einen Wettbewerb zur „Förderung einer zeitnahen, den gesellschaftlichen Problemen zugewandten Kunst“ ausgelobt hatte, die in der Ausstellung Künstler schaffen für den Frieden münden sollte. Infolgedessen verzichtete die Stadt Leipzig auf einen eigenen Wettbewerb und entschied sich, auf der dann Ende 1951 stattfindenden Ausstellung das Gemälde Thomas Müntzer von Bert Heller einzukaufen. Das Bild entsprach voll und ganz der Parteilinie, da der Parteigenossen eine fortschrittliches, weil sozialrevolutionäres historisches Thema in einfachster künstlerischer Form für ein großes Publikum aus Arbeitern und Bauern umgesetzt hatte und damit einen ersten Schritt auf dem Weg nach Bitterfeld gegangen war. Bis zur Durchsetzung der Leipziger Schule durch Tübke, Heisig und Mattheuer Mitte der 60er Jahre sollte das Museum der bildenden Künste unter dem Druck der Partei diesen Weg in seiner Ankaufspolitik leider mit tragen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

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